Nach den Anschlägen in Norwegen: Schweigeminute für die Opfer

Ein Land schweigt: Norwegen hat am Mittag den Opfern der Terroranschläge vom Freitag gedacht. Der Täter Behring Breivik wird am Montag einem Haftrichter vorgeführt - ohne Öffentlichkeit.

Innehalten in Oslo. Bild: dpa

OSLO dpa/afp | Mit einer Schweigeminute hat Norwegen der fast hundert Toten der Terroranschlägen vom Freitag gedacht. Überall in dem skandinavischen Land ließem die knapp fünf Millionen Bürger die Arbeit ruhen. Alle Eisenbahnzüge wurden zum Halten gebracht, in der Hauptstadt Oslo ruhte auch der Straßenverkehr.

"Zum Gedenken an die Opfer aus den Osloer Regierungsgebäuden und von Utøya erkläre ich eine Minute nationale Stille", sagte Stoltenberg vor der Aula der Osloer Universität. Nach der Schweigeminute trugen sich die Mitglieder der Königsfamilie als erste in ein ausgelegtes Kondolenzbuch ein. Bei regnerischem Wetter versammelten auf dem Vorplatz tausende Menschen.

Auch vor dem von einem Blumenmeer gesäumten Dom standen Tausende während der Schweigeminute. In den skandinavischen Nachbarländern Norwegens wurde ebenfalls landesweit eine Schweigeminute ausgerufen.

Der geständige Attentäter Anders Behring Breivik wurde später in Oslo einem Haftrichter vorgeführt. Die Anhörung findet hinter verschlossenen Türen statt. Breivik werde unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Presse dem Haftrichter in Oslo vorgeführt, teilte die Justiz kurz vor dem Termin am frühen Nachmittag mit. Der 32-Jährige hatte in Verhören nach den beiden Anschlägen vom Freitag mit mindestens 93 Toten, erklärt, dass er seine Motive vor dem Haftrichter darlegen wolle. Dafür wünsche er Öffentlichkeit. Außerdem äußerte er den Wunsch, "in Uniform" vor dem Richter erscheinen zu dürfen. In seinem sogenannten "Manifest" im Internet hatte Breivik geschrieben, dass er die Zeit nach einer möglichen Festnahme als "Propagandaphase" nutzen wolle.

Behring Breivik hat am Freitag auf der Fjordinsel Utøya mindestens 86 Teilnehmer eines sozialdemokratischen Jugendlagers getötet. Kurz vorher starben mindestens sieben Menschen durch eine von dem Rechtsradikalen platzierte Autobombe im Osloer Regierungsviertel. Zu den Opfern des Massakers auf der Insel Utøya gehört auch ein Stiefbruder der norwegischen Prinzessin Mette-Marit. Wie das Dagbladet in der Online-Ausgabe berichtete, wurde der 51-jährige Polizist Trond Berntsen erschossen, als er seinen zehnjährigen Sohn schützen wollte. Berntsens Vater war mit der Mutter Mette-Marits, Marit Tjessem, verheiratet. Eine Hofsprecherin sagte der Nachrichtenagentur NTB: "Die Gedanken der Prinzessin sind bei den nächsten Angehörigen."

Nach den Ermittlungen handelte der Massenmörder wahrscheinlich als Einzeltäter. Neun Jahre lang soll er seine Taten geplant haben. Die Polizei äußerte sich am Sonntagabend zurückhaltend zum Motiv. Sie stieß im Internet auf eine 1.500 Seiten lange Hassschrift des Mannes.

Frühere Ministerpräsidentin Ziel?

Eine Anti-Terror-Einheit konnte während des Anschlags erst kein geeignetes Boot auftreiben. Als die Polizei endlich auf der Insel eintraf, ließ sich Breivik ohne Gegenwehr festnehmen. Obwohl er bereits seit gut einer Stunde um sich geschossen hatte, verfügte er zu dem Zeitpunkt "noch über große Mengen Munition". Das teilte Ermittlungschef Sveinung Sponheim am Sonntag in Oslo mit. Mit ihrem "schnellen und kompetenten Eingreifen" habe die Polizei einen noch weit schlimmeren Ausgang des Massakers verhindert, hieß es weiter seitens der Polizei. Sie verteidigte sich gegen den Vorwurf, sie habe bei dem Anschlag am Freitag nicht rasch genug reagiert. Der Polizeioffizier Johan Frederiksen trat Angaben entgegen, wonach der Schütze auf der Insel Utöya erst nach anderthalb Stunden überwältigt wurde. Zwischen der ersten Meldung der örtlichen Polizei an die Osloer Polizei um 17.30 Uhr und dem Hilfeersuchen um 17.38 Uhr seien acht Minuten vergangen, sagte Frederiksen. Um 18.25 Uhr sei dann ein schwerbewaffnetes Sondereinsatzkommando aus der Hauptstadt auf Utöya eingetroffen und habe Behring Breivik zwei Minuten später überwältigt.

Offenbar wollte der Attentäter auf Utøya auch die frühere Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ermorden. Die Osloer Zeitung Aftenposten berichtete am Montagmorgen in ihrer Online-Ausgabe unter Berufung auf Polizeikreise, dass der 32-jährige Behring Breivik dies bei Verhören angegeben habe. Brundtland (72) ist die international bekannteste sozialdemokratische Politikerin aus Norwegen. Sie war nach mehreren Amtszeiten als Ministerpräsidentin bis 2003 Generalsekretärin der Weltgesundheitsorganisation WHO. Brundtland trat am frühen Freitagnachmittag beim sozialdemokratischen Jugendlager auf.

Breivik hatte die oft als "Landesmutter" bezeichnete Politikerin in seinem Internet-"Manifest" als "Landesmörderin" bezeichnet. Vor der Polizei gab der Attentäter nach den Angaben von Aftenposten an, dass er sich auf der Insel verspätet habe. Auch seine Pläne für die vorherigen Bombenexplosionen seien eigentlich umfassender gewesen. Vor dem Massaker hatte der 32-jährige Norweger im etwa 40 Kilometer entfernten Oslo mit einer selbstgebauten Autobombe Teile der Innenstadt in eine Trümmerlandschaft verwandelt. Mindestens sieben Menschen wurden durch die Wucht der Explosion und Trümmer getötet. Das Büro von Ministerpräsident Stoltenberg wurde völlig verwüstet.

Untersuchung des Geisteszustandes

In einem Geständnis bezeichnete Breivik seine Taten als "grausam, aber notwendig". Keine drei Stunden vor dem ersten Anschlag hatte er ein wirres "Manifest" im Internet abgeschlossen: "Ich glaube, dies wird mein letzter Eintrag sein." Er wolle Europa vor "Marxismus und Islamisierung" retten. In dem Text stufte er "multikulturelle" Kräfte als Feinde ein. Er beschrieb den Bau einer Bombe, erwähnte auch die Jugendorganisation, die das Inselcamp organisiert hat. Niemandem habe er von seinen Plänen erzählt. Der Mann hat weder Frau noch Kinder. "Er sagt, dass er allein gehandelt hat. Das müssen wir jetzt sehr genau überprüfen", erklärte Sponheim.

Seit dem Frühjahr hatte Breivik sechs Tonnen Kunstdünger zusammengekauft, der zur Herstellung von Bomben geeignet war. Der Hobbyschütze hatte über Netzwerke im Internet Kontakte in die rechte Szene. Er soll nun auf seinen Geisteszustand untersucht werden. "Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat", so Verteidiger Geir Lippestad in örtlichen Medien.

Die Beamten fürchteten, dass noch weitere Todesopfer entdeckt werden könnten. Rund um Utøya suchten Spezialisten am Sonntag nach mindestens vier Vermissten.

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