Nach den Anschlägen in Norwegen: Im Netz der Trauer

Das Web wird in Norwegen dazu verwendet, die Anschläge zu verarbeiten. Wildfremde Menschen bieten bei Facebook Hilfe an, andere organisieren Lichterumzüge.

Virtuelle Menschenkette: So geht Trost spenden im Internet. Bild: screenshot/vg.no

Ørsta und Volda sind zwei kleine, verschlafene Städtchen an der Westküste Norwegens, die zusammen mit den umliegenden Dörfern keine 20.000 Einwohner haben. Besonders stolz ist man hier auf einen fast acht Kilometer langen Unterseetunnel, der der tiefste seiner Art auf der ganzen Welt sein soll. Er sorgt dafür, dass man sich hier nicht mehr ganz so abgelegen vorkommt: Statt mindestens drei Fähren über die umliegenden Fjorde reicht nun nur noch eine, um in den Bezirkshauptort Ålesund zu gelangen.

Ørsta und Volda gehören zu den Städten, in die am Freitag die Trauer eingezogen ist. Die AUF, die Nachwuchsorganisation der norwegischen Sozialdemokraten, hat auch von hier Abgesandte ins Sommerlager nach Utøya geschickt. Eine von ihnen, die 18-jährige Guro aus Ørsta, wird immer noch vermisst, während ihr Kumpel Øyvind aus Volda knapp dem Tode entronnen ist. Er habe "die Patronenhülsen neben sich auf den Boden fallen hören", erzählt er der Lokalzeitung in einem Videointerview mit unglaublicher Fassung. "Ich hoffte das Beste, erwartete aber das Schlimmste".

Aufgefangen werden Øyvind wie die Angehörigen von Guro nicht nur durch ihr näheres Umfeld, durch Familie, Nachbarn und Freunde, sondern auch durch das Internet. Auf Facebook bildeten sich nach der unfassbaren Tat von Freitag schnell Unterstützungsgruppen, Support Groups, wo sich gegenseitig geholfen wird. "Wir senden Euch warme Wünsche", schreibt einer und unterzeichnet mit einem Herz auf Øyvinds Pinnwand.

Auf Facebook wurde auch ein Lichterumzug organisiert, der am Montagabend stattfand. Drei AUF-Mitglieder starteten //www.facebook.com/event.php?eid=246458532039728:den Aufruf, mit Fackeln für Demokratie und Solidarität auf die Straße zu gehen. In wenigen Stunden waren 800 Menschen in der Gruppe – ein enormer Wert, wenn man bedenkt, wie klein die Kommunen sind. Am Montag kamen die Menschen dann ins Zentrum von Ørsta, um gemeinsam zu demonstrieren, mit Øyvind und anderen. 3.500 Personen kamen, es fand sich kaum genügend Platz vor der kleinen Kirche, wo die Abschlusskundgebung stattfand.

Auch in Osla und anderswo – die AUF-Mitglieder kamen aus dem ganzen Land – spielten sich ähnliche Szenen ab. Das Netz wird genutzt, um sich zu unterstützen, Gruppen zu bilden. Die Bedeutung der sozialen Medien zeigte sich schon daran, dass die ersten Notrufe nicht nur per Handy bei der Polizei eingingen, sondern auch per Twitter verbreitet wurden. //www.facebook.com/pages/Prableen-Kaur/121225141271258:Prableen Kaur, eine AUF-Nachwuchspolitikerin, aktualisierte, während der Killer noch um sich schoss, ihre Twitter- und Facebook-Feeds, um ihren Freunden mitzuteilen, dass sie noch "sicher" sei. Kurze Zeit später war Anders Behring Breivik bei ihr, erschoss die, die um sie auf dem Boden Schutz gesucht hatten.

Kaur überlebte nur, weil sie sich überzeugend tot stellte – liegend auf einem toten Körper, zwei tote Körper auf ihr. Als sie von der Polizei in das Hotel gebracht wurde, das als Sammelstelle für die Überlebenden diente, borgte sie sich einen PC, um mitzuteilen, dass sie überlebt habe – es war eine schnellere Möglichkeit, als alle Verwandten und Freunde, die so lange auf Nachricht gewartet hatten, anzurufen oder ihnen eine SMS zu schicken.

Verdens Gang ("Der Lauf der Welt"), die größte Boulevardzeitung des Landes, setzte auf ein Symbol im Netz: Eine Menschenkette, bei der sich kleine Avatare einfach die Hand geben. Jeder der möchte, kann mitmachen, sich ein Männlein passend zu seinem Geschlecht aussuchen, seinen Namen eintragen und erhält ein kleines Fähnchen unter ihm, dass die Landesherkunft kennzeichnet. "In Verabscheuung gegenüber Gewalt und Mitgefühl mit allen Opfern" und für Zusammenhalt stehen die Nutzer dort nun virtuell zusammen. Am Wochenende kamen schnell 300.000 User, die sich eintrugen, mittlerweile sind es über 750.000. Kein bedeutendes, aber immerhin ein kleines Zeichen, dass aus den Anschlägen Zusammenhalt kommt und keine Spaltung.

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