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Nach dem Tod einer OffiziersanwärterinStreit auf der "Gorch Fock"

Eine junge Frau starb im November 2010 auf dem Segelschulschiff "Gorch Fock". Wie jetzt bekannt wurde, gab es danach Krach zwischen der Führung und Auszubildenden.

Klarmachen zum Aufentern: Bei einem solchen Manöver ereignete sich der Todessturz auf der Gorch Fock. Bild: dpa

HAMBURG taz | Ein tragischer Fall und seine Folgen: Im November vergangenen Jahres starb eine Offiziersanwärterin auf dem Segelschulschiff "Gorch Fock", als sie aus der Takelage auf das Deck stürzte. Das Unglück ereignete sich in Brasilien nahe der Stadt Salvador da Bahia.

Jetzt wird bekannt, dass es zwischen der Führung des Schiffs und weiteren Offiziersanwärtern in der Folge schwere Auseinandersetzungen gab. Dies geht aus einem Brief hervor, den Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus an die Mitglieder des Verteidigungsausschusses richtet und der der taz vorliegt.

Viele Offiziersanwärter wollten "unmittelbar nach dem schmerzhaften Verlust der Kameradin" nicht mehr in die Segel klettern, berichtet Königshaus. "Andere wollten nicht mit der ,Gorch Fock' weiterfahren". Ihre Vorgesetzten warfen vier von ihnen daraufhin Meuterei und Aufhetzen vor und brachten auch die "Aberkennung der Eignung zum Offizier" ins Spiel. "Zu Gesprächen über die Vorwürfe sei die Schiffsführung nicht bereit gewesen", steht in dem Brief.

Zu den angedrohten Folgen kam es nicht, weil die Marineführung beschloss, die Ausbildung auf dem Schiff nach dem Unfall auszusetzen. Offiziell begründeten das Marine-Sprecher damals damit, dass durch die Ermittlungen zu viel Ausbildungszeit verloren gegangen sei und die Offiziersanwärter noch nicht in der Lage seien mitzusegeln.

Beim Aufentern, also dem Hochklettern in die Takelage zum Hissen der Segel, geschah der Unfall. Nach diesem betonte die Marine immer wieder, dass dies freiwillig sei und niemand gezwungen werde. Doch die Berichte, die dem Mitarbeiter des Wehrbeauftragten gemacht wurden, klingen da ganz anders. Es sei starker Druck aufgebaut worden, "von manchem als Nötigung" empfunden.

"Wenn Sie nicht hochgehen, fliegen Sie morgen nach Hause" und "können das Offizierspatent vergessen", habe es gegenüber den Offiziersanwärtern vonseiten der Stammbesatzung geheißen. Oder auch: "Geben Sie Gas, stellen Sie sich nicht so an!" So sei eine Offiziersanwärterin mit "ausgeprägter Höhenangst" dazu gebracht worden, auf den höchsten Mast zu klettern.

Darüber hinaus hat es Beschwerden über sexuelle Belästigungen beim Duschen gegeben. "Jeder müsse seinen Arsch hinhalten", habe es gegenüber einem Offiziersanwärter geheißen. Dem Vorwurf sei die Schiffsführung aber nachgegangen, steht in dem Brief.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt zu den Vorwürfen: "Der Inspektor der Marine hat vorbehaltlose und umfassende Aufklärung gegenüber dem Verteidigungsminister zugesagt." Zeitnah werde ein Ermittlungsteam zur "Gorch Fock" reisen. Diese ist gerade unterwegs in Südamerika – vor rund einer Woche hat sie Kap Horn umsegelt.

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17 Kommentare

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  • S
    Sailor

    Jeder Unfall ist zutiefst bedauerlich !

     

    Aber ...

    Ernsthaft Soldat sein, ist nicht ungefährlich (wie auch manch anderer Beruf). Auch nicht in der Ausbildung.

    Arbeitschutz und die nötige Härte für diesen Job zu entwickeln, ist nicht vollständig vereinbar. Im Einsatz gibt es auch keine Berufsgenossenschaft.

     

    Ich bin selbst vor 25 Jahren auf der Top und wochenlang ziemlich seekrank gewesen, so wie zehntausende vor und nach mir.

    Ich war manchmal ganz weit unten, aber es hat mit etwas Lebenstüchtigkeit gebracht.

    Es ist eine bewährte Kompensation von überbehüteten Zuhause, vollkommen lebensfremder Quasselschule und Nullbock-Einflüssen (so nannte man das damals noch nicht) für einen jungen Mann. Das gilt wohl heute auch für die junge Frauen.

     

    ---

    Einen gestandenen Kommandanten feuern, um in der die Meute der sensationsgierigen und herum winselnden Journalisten zu punkten ... ist wohl eine Idee der medienbewußten Frau v. Guttenberg.

  • F
    Franz

    Gutti wankt.

    Der Herr Baron wird nun - endlich - entzaubert. War aber auch Zeit! Der kritiklose Mob (Sorry, wir einfachen Bürger sind leider so) ist dem eleganten, stets eloquent auftretenden Adeligen seit Monaten ja blind nachgelaufen und hat ihn angehimmelt. "Ach, dieser GUTTI ist ja so süß." Dabei vertritt er knallhart die Interessen der Rüstungsindustrie, indem er die Bundeswehr auf Effizienz trimmen möchte damit sie für Auslandseinsätze begehrter und kompetent wird. Als nächster Schritt folgt zwangsläufig eine sündteure Modernisierung der Ausrüstungen. Damit kann die Wirtschaft sehr gute Geschäfte machen. Dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht die bislang billigen Zivis entfallen, hat Guttenberg nicht im geringsten interessiert. Wir - zumeist naiven - Bürger werden demnächst große Augen machen wenn die Kommunen dann für Sozialausgaben plötzlich viel mehr Geld brauchen (das sie nicht haben ...) weil die Zivis wegfallen und deshalb überall sonst zu streichen beginnen oder halt die Gebühren drastisch erhöhen! Guttenberg und Merkel haben die vielfachen Hinweise ignoriert, die bisherige Wehrpflicht in eine "Bürgerpflicht" umzuwandeln, sodass dann ALLE jungen Menschen (egal ob Männlein oder Weiblein) zumindest 6 Monate Dienst tun müssten (wahlweise Bundeswehr oder Zivildienst). Merkel war (wie bei vielem) ganz einfach nicht in der Lage, das zu begreifen. "Gutti" hat es zwar erfasst, sich aber nicht dafür interessiert. Er ist ja mit der Bundeswehr auch wirklich ZU beschäftigt. Mit den erneuten Skandalen kann er sich nun aber nicht mehr so einfach abputzen wie ihm das bei der Kundus-Affäre gelang. Dass er damals nicht alle Informationen hatte, glaubt ihm doch kaum keiner. Er hatte sich VERSCHÄTZT, als er meinte, uns alle für dumm verkaufen zu können und musste dann aber rasch umschwenken, um seine Haut zu retten. Das wird er auch jetzt wieder versuchen und er hält gewiss schon Ausschau nach dem einen oder anderen Bauernopfer, das ihm, dem armen Herrn Minister, manches verschwiegen habe.

  • R
    ronald

    natürlich haben die kadetten das recht sich zu weigern. wenn ihnen im vorfeld zugestanden wurde, dass sie nicht in die takelage müssen, dann kann man sie nicht dazu zwingen. damit das schiff seetüchtig bleibt, ist die stammbesatzung an bord. man kann natürlich über sinn- und unsinn derartiger zugeständnisse debattieren, aber sie kurzerhand auf see zu revidieren ist einfach nicht hinzunehmen.

    einer meiner vorschreiber meinte, die grundausbildung sei schließlich kein ponyhof - mag sein, dann sollte das aber auch den kadetten klar gemacht werden. das aufgabenfeld muss definiert werden. und wenn es da dann heißt, etwas ist freiwillig, dann ist das halt so...

  • TS
    Thomas Sch.

    Das Hinaufklettern in die Masten ist betriebsnotwendig um Segel zu setzen oder zu bergen und keine Veranstaltung, um Seekadetten zu schikanieren. Sich zu weigern, Segel zu setzen oder zu bergen, kann also eine das ganze Schiff und die Mannschaft gefährdende Situation bis hin zum Untergang heraufbeschwören. Durch die situationsbedingte Notwendigkeit auf einem Schiff, ist es auch undenkbar, daß jeder Befehl á la 68er erstmal "auf gesellschaftliche Relevanz" oder Ähnliches hin durchdiskutiert wird. Wer auf einem Segelschiff sich nicht traut, in die Takelage aufzusteigen, hat auf einem solchen Schiff nichts zu suchen. Wer Befehle verweigert und die Mannschaft dadurch in Gefahr bringt, wird zwar nicht mehr in Ketten gelegt, hätte es aber verdient und kann froh sein, wenn man ihn „nur“ nach Hause schickt.

  • Y
    YonPipol

    Na und??

     

    Warum wollen diese junge Leute in die Marine, wenn sie nicht die Aufgaben machen wollen/können?!

     

    Es ist traurig, dass ein Mädchen ihr Leben verloren hat, aber solche Unfälle sind nicht Exklusiv eines Segelnschiffes, es kann in jeden Umständen auch passieren.

  • WL
    W. Lorenzen-Pranger

    Warum steht in diesem Artikel nicht, daß die Rekrutin mit nur 1,59 zu klein war, und gar nicht in die Takelage gedurft hätte. Ob ihrer Körpergröße hätte sie sich dort nicht sicher bewegen können schreiben andere Zeitungen.

    Außerdem bleibt die Frage offen, wieso es offenbar keine ordentlichen Sicherungsmaßnahmen gab, wie in allen anderen Berufen in großer Höhe üblich.

    Und noch was: Warum habt ihr eine Kommentareinrichtung, wenn ihr die Kommentare schärfer zensiert, also nicht veröffentlicht, wie die Springer-Presse, etwa das Hetzblatt "Welt-Online"?

  • UK
    Ulli Kaeufl

    Die drei mit erheblicher Verzögerung bekanntgewordenen ernsten Vorfälle bei der Bundeswehr sollten denen zu denken geben, die glauben der Verzicht auf die Wehrpflicht sei was Gutes. Wir erleben gerade wie sich hier ein Staat im Staat etabliert, und wie die Armee der politischen oder zivilen Kontrolle entgleitet. Vielleicht funktioniert die meines Erachtens zu Recht hochgelobte Innnere Führung nur in einer Wehrpflichtarmee?!

  • S
    Schwaig

    Der Tod der Soladtin ist zu bedauern.

    Es sollte jedoch jedem klar sein, die Bundeswehr ist intern keine demokratische Veranstaltung, für eine "früher notwendige" Verteidigung ist dies auch nötig.

     

    Befehlen ist gehorsam zu leisten, sofern sie nicht gegen das Grundgesetz (oder eine Straftat sind) verstoßen.

     

    Jedem sollte auch klar sein, dass er auf einem Segelschulschiff nichts zu suchen hat, sofern er - aus welchen Gründen auch immer - nicht den Mast hoch kann.

     

    Scheinbar haben sich diverse Personen welche auf dem Schiff angetreten sind dies nicht klar gemacht.

     

    Auch gibt es auf einem Schiff nichts zu vermitteln und dies - auch wenn es vielleicht nicht in unsere Zeit passt - hat seine Gründe.

  • H
    Hermelin

    Fraktionsübergreifender Antrag:

     

    Der repräsentative Militärtourismus zu Karrierezwecken ist kontraproduktiv und wird aus Sicherheitsgründen abgeschafft. 6 tote junge Menschen mahnen zur Vorsicht.

  • OH
    Onkel Hotte

    Den vom Wehrdienst tendenziell unbeleckten taz-Schreibern und Lesern ein paar Anmerkungen:

     

    "Die Fock" ist nichts anderes als eine Grundausbildungskompanie, kein Erlebnissegeln ala "Alexander v. Humboldt" sondern gezieltes Heranführen an Leistungsgrenzen unter Marinebedingungen. Diese sind auf einem Segelschiff naturgemäß viel unmittelbarer als meinethalben auf einem Tender. Das manchem der "starken Druck" als Nötigung vorkommt ist normal blos sollten Jene dann konsequent die Ablösung vom Lehrgang einreichen und sich anderweitig orientieren. Marine ist kein Ponyhof.

     

    Die "Aberkennung der Eignung zum Offizier (Charakterliche Nichteignung)" ist keine verkappte Strafe sondern genauso nachvollziehbar wie das sog. "totprüfen" im technischen Ingenieurstudium.

     

    Zur OA mit der Höhenangst...das Vorgehen ist Standart, im Heer wäre das das Abseilen aus einem Fenster oder die Überwindung eines Flußes oder Schlucht am Seil. Soldatische Standartfähigkeiten.

     

    Was jedoch ZU RECHT ein schwerer Fehler in der Menschenführung ist ist die fehlende Nachbereitung des Vorfalls. Wir haben wahrlich genug Militärgeistliche welche für solche Situationen geschult sind. Ob die Entschlußfassung des Kommandanten disziplinarische Folgen haben soll/muss ist der Prüfauftrag an den Wehrbeauftragten.

  • WL
    W. Lorenzen-Pranger

    Wie kann eigentlich jemand aus der Takelage so eines Schiffes abstürzen? Für jeden Circusartisten, für jeden Dachdecker oder Schornsteinfeger oder wer sonst in die Höhe steigt, gilt eine Sicherungspflicht. Hier, unter den erschwerten Bedingungen durch Schwankungen des Schiffs und besondere Windeinwirkung nicht?

    Das ist völlig unerständlich - und, sollte es zutreffen, daß nicht besonders gesichert wird, völlig verantwortungslos.

  • D
    deviant

    Gut, dass uns die taz aufklärt; wer hätte schon ahnen können, dass es auf einem militärischen Schulschiff militärischen Drill gibt?

     

    Übrigens: Soldaten tragen Uniformen! JA! UNIFORMEN! Und das nach '45!

  • SH
    seiner Herrlichkeit

    Na her Journalist,

     

    klammheimliche Freude?

     

    Neeeee i wo denn !!

  • B
    Bedenkenträger

    Klar, dass sowas früher oder später passieren musste. Ich war selbst in der Marine und weiß, dass die Disziplin in der Truppe teilweise an allen Ecken und Enden untergraben ist - und das nur zu oft von oben her. Den korrekten Vorgesetzten gibt es in der Marine kaum noch; heute ist man miteinander verkumpelt und feiert miteinander. Das kann mitunter zu Problemen in den Verhältnissen führen. Hinzu kommt, dass die Nachwuchswerbung junge Leute mit dem Versprechen toller Berufsaussichten und des großen Abenteuers ködert, nicht aber mit dem wichtigen Hinweis, dass auch die Marine Militär ist, in dessen Welt Dinge wie Disziplin, Befehl, Gehorsam, Selbstüberwindung, Verwundung und u. U. Tod ihren Platz fordern. Vielleicht ist das alles ein Mitgrund dafür, dass es in der Marine heute Offiziersanwärter gibt, die der Ansicht sind, Befehle von Vorgesetzten würden keinen Anspruch auf Gehorsam hervorbringen, sondern wären praktisch als mehr oder weniger freundlich vorgebrachte Bitten zu verstehen, denen man nach freiem Gutdünken entsprechen könne oder auch nicht. Und nun, da mal jemand den Mut besaß, solchen Leuten den Kopf zu waschen, gerät gleich die ganze Marine unter Durck, weil sie angeblich ein bisweilen gefährlicher Arbeitsplatz sei. Ich bitte dabei zu bedenken: ALLE Offizieranwärter sind freiwillig bei der Bundeswehr und hätten sich gehalten sehen sollen, sich vorher darüber zu informieren, was Dienst in den Streitkräften bedeuten und gefährlich und unbequem sein kann.

  • IW
    ick wunder mir...
  • OM
    Olaf Mertens

    Ich will ja nicht irgendwelchen Schleifern beim Bund das Wort reden, aber was um alles in der Welt macht jemand mit "ausgeprägter Höhenangst" bei einer Ausbildung auf einem Segelschulschiff???

  • J
    Jansen

    Die schönen weißen Segel verdecken die schwarze, menschenverachtende Seele der Schiffsführung.

     

    Fünf Menschen 'runtergefallen, tot ? Macht nichts, kommt vor. Schwamm drüber, weitermachen.

     

    1. Weltkrieg verloren ? Macht nichts, lag bloß am "Dolchstoß". Internierte Flotte selbst versenken, Schuldfrage abschütteln, weiterrüsten.

     

    2. Weltkrieg verloren ? Macht nichts, gegen "überlegene" Feindkräfte untergegangen. Bißchen abwarten, ollen Rahsegler nach reaktionärem Heimatdichter benennen und zum Symbol nationalen Stolzes aufblähen. Werbung im Ausland machen für sauberes Deutschland. Wenn die wüßten...

     

    Toller Dienstposten, den ganzen Tag Rekruten kommandieren, bis sie vom Mast fallen und auf Steuerzahlers Kosten militärisch nutzlos um die Welt fahren.

     

    Wann wird das Marinetheater endlich plattgemacht ?