■ Nach dem Rückschritt in Rio: Mehr Einsatz der EU!
Der Ansatz der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten zur Erhaltung der Artenvielfalt in der Landwirtschaft basiert auf einer Reihe von Ungereimtheiten. Die europäische Landwirtschaft ist für die Sicherheit ihrer genetischen Vielfalt völlig von Afrika, Asien und Lateinamerika abhängig. Viele Nutzpflanzen, die heute in Europa angebaut werden, haben das Zentrum ihrer Vielfalt in der Dritten Welt, wo Bauern seit 12.000 Jahren durch Ausprobieren, Auswählen und Aufheben von Saaten eine unglaubliche Bandbreite von genetischen Variationen hervorgebracht haben. Europäische Züchter, Bauern und Verbraucher sind auch künftig auf diese genetischen Ressourcen angewiesen, wenn die Landwirtschaft den neuen Schwierigkeiten gewachsen sein soll, die durch Klimaveränderung, Schädlingsentwicklung etc. auf sie zukommen. Während Europa also in hohem Maß vom Reichtum der Pflanzenvielfalt im Süden profitiert hat und weiterhin profitiert, haben die Regierungen sehr wenig für die Bauern in der Dritten Welt getan.
Die EU hat sich bisher nicht hervorgetan, die landwirtschaftlichen Ressourcen dort zu erhalten, wo sie wachsen. Fast alle Regierungsgelder zum Schutz der Artenvielfalt sind in den massiven Aufbau von Genbanken geflossen, wo die Saaten in Kühlhäusern gelagert werden, wo sie trotz allem langsam vor sich hin sterben. Vor allem vernachlässigt diese Strategie die Rolle der Bauern, die das Überleben der Vielfalt sichern. Das Programm zum Erhalt und Gebrauch der genetischen Ressourcen in der Landwirtschaft, das die EU gerade startet, ist endlich ein Schritt in die richtige Richtung – nachdem das Europäische Parlament und viele Organisationen seit Jahren darauf gedrängt haben.
Doch da ist auch noch die Frage, wem die Artenvielfalt im Süden nützt. Europa hat bisher wenig getan, um sicherzustellen, daß den Bauern in den Entwicklungsländern ihre Pflanzenvielfalt weiterhin zur Verfügung steht und sie die Kontrolle darüber behalten. In den 80er Jahren gab es positive Schritte, als sich die Europäischen Staaten bei der Welternährungsorganisation FAO für einen Internationalen Ausschuß für Pflanzengenetische Ressourcen (IBPGR) stark machten. Ausdrücklich erkennt der Ausschuß die Rechte der Bauern an – die Idee, daß die lokalen Gemeinschaften im Süden Ausgleich und Unterstützung dafür bekommen müssen, daß sie den größten Beitrag für die Zukunft der weltweiten Ernährung leisten.
Aber diese schönen Grundsätze müßten in Taten umgesetzt werden. Die Artenschutzkonvention, die die europäischen Regierungen in Rio unterzeichnet haben, ist ein Rückschritt. Zwar ist sie eine rechtlich bindende Zusage der Unterzeichner, sich für die Artenvielfalt einzusetzen, aber sie hat durch den Passus über geistiges Eigentum auch die Türen geöffnet für die Patentierung von Leben. Die Möglichkeit für Monopole, Kontrolle über die Artenvielfalt der Erde zu gewinnen, steht in völligem Widerspruch zu den Interessen der Bauern in der Dritten Welt und beraubt sie ihrer kulturellen Leistungen, die in den Saaten stecken, von denen wir leben. Renée Vellvé
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