■ Nach dem Münchner Plutonium-Urteil bleibt ein fader Nachgeschmack – die Angebotslage war nie besser: Warten auf den Markt
Unschuldslämmer saßen in München nicht auf der Anklagebank. Selbst wenn die Pullacher BND- Truppe die drei Angeklagten mit horrenden Summen für ein paar Gramm Plutonium erst richtig heiß gemacht haben sollte, bleibt die Skrupellosigkeit, mit der der Todesstoff per Linienflugzeug im Aktenköfferchen von Moskau nach München gejettet wurde. Deshalb wandern die gescheiterten Plutoniumdealer zu Recht hinter Gitter. Ein fader Nachgeschmack bleibt trotzdem.
Denn jeder ahnt, daß auf die Anklagebank auch jene gehört hätten, die im Hintergrund die Strippen zogen. Die saßen nicht nur in Pullach, sondern wohl auch in München und Bonn. Man muß kein Anhänger der These vom ausschließlich staatlich ausgelösten Plutoniummarkt sein. Ebensowenig muß man glauben, daß der ganze Deal von vornherein als Medienereignis aus sachfremden Erwägungen inszeniert wurde. Trotzdem bleibt die Tatsache, daß die Verantwortlichen, an der Spitze Bernd Schmidbauer, der Agentenführer im Kanzleramt, spätestens hätten einschreiten müssen, als klar war, wie der Stoff nach München kommen würde. Daß dies nicht geschah, ist und bleibt ein krimineller Akt.
Die staatlichen Akteure verteidigen sich mit dem Staubsauerargument: Um den ohnehin vagabundierenden Bombenbstoff vom Markt zu saugen, sei gar nichts anderes übriggeblieben, als selbst als Akteur in den Gang der Dinge einzugreifen. Das ist, sieht man einmal ab vom unsäglichen Transport mit dem Lufthansajet, ein ehrenwertes Argument — wenn es auf den konkreten Fall zutrifft. Eine der Fragen, die der Bonner Untersuchungsausschuß zu klären hat, ist also die, ob die 363 Gramm Plutonium schon im Angebot waren, bevor Schmidbauers Leute die Sauganlage einschalteten, oder erst danach. Im zweiten Fall müßte Kohls Agentenführer gehen, entweder wegen Unfähigkeit oder weil tatsächlich Wahlkampfmotive und die Interessen des BND den Aktionismus des Apparats auslösten.
Wahrscheinlich ist ein solches Ende nicht. Wie auch immer Schmidbauer und Co. aus der Geschichte herauskommen, es wäre fatal, wenn hinter ihren möglicherweise unlauteren Motiven die eigentliche Gefahr verschwände. Die deutschen Geheimdienste haben die Plutoniumgefahr nicht, wie der Spiegel glaubte titeln zu müssen, „erfunden“. Sie ist da. Nach dem Ende der Blockkonfrontation sind die rasant wachsenden Spaltstoffmengen im militärischen wie zivilen Bereich auf Dauer nicht vollständig unter Kontrolle zu halten. Daß es Angebote gibt, bestreitet niemand. Abnehmer werden sich finden. Wenn nicht früher, dann eben später. Etwas anderes anzunehmen, wäre naiv und unverantwortlich. Illegal verschoben wird von jeher alles, was verboten und deshalb teuer ist. Und schließlich: Warum sollten sich Staaten, die bekanntermaßen seit Jahrzehnten zäh und geduldig rund um den Globus heimlich ihre Nuklearia akquirieren, ausgerechnet jetzt zurückziehen? Die Angebotslage war nie besser als heute. Gerd Rosenkranz
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