Nach dem Länderspiel gegen Argentinien: Scharfzüngiger Streit
Deutschland unterliegt in einem Freundschaftsspiel Argentinien 1:3. Danach wird deutlich, wie sehr das deutsche Selbstwertgefühl bei der EM gelitten hat.
Es war bereits kurz vor Mitternacht, als vor dem Kabinentrakt im Frankfurter Stadion die ersten Barrikaden stürzten und die Ordner ihren letzten Widerstand aufgaben. Immer dichter drängelte sich die Medienmeute um den ohnehin längst umzingelten Lionel Messi.
Offensichtlich hat sich der argentinische Ausnahmekönner an solche Ausnahmezustände längst gewöhnt. Irgendwie hat er sich auch aus dieser ausweglosen Situation befreien können; statt einer einfachen Körpertäuschung haben simple Sätze nach dem 3:1 beim Angstgegner genügt. „Deutschland ist eine Weltmacht, aber wir sind auf einem guten Weg.“ Eben auch, weil sich Messi irgendwann zu einer aktiven Teilnahme an diesem Freundschaftskick entschied.
Wegen dem Megastar war am Ende oft ein Raunen durch die Arena gegangen, doch für die scharfzüngigen Töne sorgte hier hinterher der Verlierer selbst. Joachim Löw hat sich nämlich später nicht mit den fiesen Finten des Weltfußballers, sondern mit den verbalen Attacken eines ehemaligen Welttorhüters befassen müssen.
„Wir haben defensiv einfach große Probleme“, hatte Fernsehexperte Oliver Kahn genörgelt. Und: „Der Bundestrainer muss sich mal grundsätzlich Gedanken machen – Spielphilosophie hin oder her.“ Der ehemalige Nationaltorwart versteht sich als Bewahrer der defensiven Ideale, was naturgemäß mit einem Liebhaber des offensiven Stils wie Löw zu Konflikten führen.
Nachlässigkeit, Unerfahrenheit und Schusseligkeit
Der 52-Jährige hatte zwar selbst gesehen, wie Nachlässigkeit (Eigentor Sami Khedira), Unerfahrenheit (Platzverweis Ron-Robert Zieler), aber auch Schusseligkeit (Gegentore zum 0:2 und 0:3) in die nächste Niederlage mündeten, aber solch eine Schelte wollte und konnte Löw nicht zulassen – hatte nicht die Kundschaft im Frankfurter Stadtwald Applaus für den unterhaltsamen Abend gespendet?
„Ich teile seine Meinung nur bedingt“, sagte der Löw trotzig. „Wenn uns einer vorwirft, bei uns haben zehn Prozent Willen gefehlt, sehe ich das nicht so. Wer kann das beurteilen? Es gab keinen Spieler, der nicht alles gegeben hat.“ Weil der beim ZDF längst nicht mehr unumstrittene Kahn die Motivation bemängelte („Wir bekommen wieder drei Stück. Da muss ich mich doch auch mal ärgern!“), fuhr sein ehemaliger Mitspieler Oliver Bierhoff die Retourkutsche und erinnerte ihn an seine Regungslosigkeit nach dem fatalen Fehlgriff im WM-Finale 2002.
Kahn wiederum empfand diese Einlassung als niveaulos. Die Missstimmung im Umfeld verriet, wie sehr das Aus im EM-Halbfinale das schwarz-rot-goldene Selbstwertgefühl gekränkt hat; plötzlich genügen wieder Kleinigkeiten, um die gesamte Statik zu zerstören.
Symbolhaft, was der geknickte Keeper Zieler über die Schlüsselszene verriet: „Ich habe es ja ahnen können: Bleibe ich drin, oder gehe ich raus? Es ist ärgerlich, dass ich die Mannschaft geschwächt habe.“
Pechvogel Zieler
Der 23-Jährige, in der 104-jährigen Länderspielgeschichte der erste mit einem Feldverweis bedachte Torhüter, gilt nach nur zwei Länderspielen als ähnlich belastet wie der noch drei Jahre jüngere Marc-André ter Stegen, der trotz eines gehaltenen Messi-Elfmeters nun die Hypothek von acht Gegentoren aus zwei DFB-Einsätzen mit sich herumschleppt.
Löw verteidigte seine wankenden Torwarttalente und machte weder Zieler („Ron-Robert kommt einen Tick zu spät. Die Regel ist einfach unsinnig“) noch ter Stegen („Marc-André muss man nicht aufbauen, er konnte an den Toren nichts machen“) einen Vorwurf. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Ausbootung des routinierten Tim Wiese einem blinden Aktionismus gehorchte.
In nur drei Wochen versammelt sich die deutsche Auswahl im niedersächsischen Barsinghausen, um sich für die ersten Aufgaben in der Qualifikation für die WM 2014 vorzubereiten. Vor dem Prestigeduell in Wien gegen Österreich (11. September) steht zuerst der Pflichttermin gegen die Färöer Inseln in Hannover (7. September) an. Dieser Gegner gibt eigentlich die Garantie, jede Messi-ähnliche Aufregung vorher und nachher auszuschließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen