■ Nach dem Klimagipfel: Mit der Angst leben: Wo kein Wille, nutzt auch keine Gewalt
Es stimmt. Die Zeit drängt und dennoch geschieht nichts. Darüber muß man zutiefst erschrecken. Gerade haben wir wieder auf dem Klimagipfel erlebt, wie mächtige Lobbyisten der Erdöl-, Auto- und Kohleindustrie den Fortschritt blockieren. Und in Deutschland sieht es kaum anders aus: Wir wissen, aber gehandelt wird nicht. Angst über die Langsamkeit der Veränderung ist angebracht.
Was aber bewegt dennoch einen wie Jens Reich (im Spiegel von letzter Woche), der die sozialistische Diktatur am eigenen Leibe erfahren hat, in Begriffen wie „befehlen“ und „Klaps auf den Hinterkopf“ zu sprechen? Warum antwortet ein Bürgerrechtler, der den realexistierenden Sozialismus am eigenen Leib miterlebte und sah, mit welchen Mitteln die Ziele erreicht wurden, auf die Frage: „Mehr Diktatur (...) wagen?“ mit Ja!?
Weil er glaubt, die Politik sei unfähig. „Mit der Legislative wird man die Dinge nicht in den Griff bekommen.“ Deswegen fordert er einen ökologischen Rat, der Verfassungsrang besitzt, 15 Jahre an der Macht ist und „so laut befehlen kann, daß die Politik endlich aufwacht“.
Auch wenn es sich bei Jens Reichs Gedankenkonstrukt um eine Handvoll Männer und Frauen an der Spitze handelt: Im Grunde ist es doch nichts anderes als die Suche nach dem großen alten weisen Mann, der starken Hand, „dem lieben Gott“, der alles richtet – und den anderen die Verantwortung abnimmt. Aber selbst wenn es diese Menschen gibt, wie sollen sie in diesen ökologischen Rat gelangen? Wer wählt ihn? Die Wähler? Oder der Bundestag? Dann kann er wohl kaum besser werden, als es die Politik zur Zeit auch schon ist. Also soll er doch bestimmt werden? Von wem? Roman Herzog? Jens Reich? Dem Kanzler? Wer bitte schön kontrolliert diesen Rat? Da zur Grundidee gehört, daß das Ratsmitglied 15 und nicht nur vier Jahre seiner Macht sicher sein soll, bedeutet dies auch, daß die betreffende Person im Grunde nicht abwählbar sein darf.
Die Vorstellung ist nicht nur elitär, sondern auch eine zutiefst etatistische, die die Möglichkeiten der Politik und des Staates überhöht. Schließlich ist die ökologische Wende das größte Reformprojekt der Moderne. Das kann nicht durch die Politik allein durchgesetzt werden. Dafür muß die Wirtschaft sich zumindest offen zeigen. Und auch der vielbeschworene „kleine Mann, die kleine Frau auf der Straße“ müssen Entscheidungen akzeptieren und vor allem auch mitmachen. Wenn derzeit etwas versagt, dann die gesamte Gesellschaft und nicht nur die Politik.
Und es ist eine äußerst national beschränkte Vorstellung: Die ökologische Frage ist eine globale. Auf internationale Strukturen angewandt, verheißen solche Vorstellungen ein „ökologisches Gewaltmonopol“ für die UNO, eine schnelle Eingreiftruppe also, die die „richtige Weltökologie“ durchsetzen soll. Übrigens werden solche Gedanken durchaus auch von anderen angedacht: Hans-Dietrich Genscher forderte eine „Grünhelm-Mission zur Sicherung des Friedens und unserer natürlichen Lebensgrundlagen“. Wann? Schon im Januar 1992. Wo? Vor Kollegen auf der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“. Wenn als sicher gilt, daß wir stärkere Verteilungskonflikte über die „Verschmutzungsrechte dieser Erde“ bekommen, dann wäre auch nicht undenkbar, „Grünhelme“ auch gegen den Willen des entsprechenden Landes einzusetzen: die Täter sind natürlich die ressourcenschwachen Industriestaaten, die sich so ihren Wohlstand erhalten wollen.
Aber der Verbrauch der Ressourcen läßt sich nicht mit Waffen stoppen. Die letzten Jahre haben doch gezeigt, daß man große Probleme nicht mit Zwang lösen kann: Geburtenkontrolle etwa durch Druck erreichen zu wollen, ist brutal und zudem wenig erfolgreich. Wirkungsvoller sind Alphabetisierungskampagnen, Erhöhung des Ausbildungsstandards und Rentensicherheit insbesondere bei Frauen.
Es wären wirklich tiefgreifende Veränderungen nötig, um unsere Welt zu bewahren. Wie Jens Reich weiß auch ich nicht, ob es gelingen kann. Aber wenn es schiefgehen sollte, befürchte ich nicht das Ende dieser Welt oder der Gattung Mensch. Irgendwie wird es ein Weiterleben geben. Die Frage ist nur wie! Ich befürchte, es könnte zu einer Weltwirtschaftskrise aufgrund der ökologischen Folgekosten kommen. Ich befürchte den Verlust der Zivilität, der Demokratie und des Sozialstaates, weil das Wohlstandsmodell nicht mehr funktioniert. Unser gesellschaftliches System hat wie das ökologische System auch eine Pufferphase. Wird diese überschritten, bricht das System zusammen. Das ehemalige Jugoslawien ist dafür ein trauriges Beispiel.
Daß die Vernunft einer elitären Gruppe uns aus der Ökokrise retten könnte, glauben vor allem die Macher selbst. Aber gerade dieser Ansatz hat uns in die Krise geführt: Wir müssen wieder lernen, daß wir nicht die Natur beherrschen, sondern immer noch ein Teil von ihr sind. Macht rangiert heute vor Weisheit. Hierarchisches Denken hat Vorrang vor vernetztem. Ökologie aber bedeutet, das Ganze in seiner Komplexität zu begreifen. Dies gilt auch für die Veränderung dieser Gesellschaft. Insofern ist Jens Reichs Ansatz antiökologisch und nicht dialogorientiert. Diktatur ist der Kern des Problems und nicht die Lösung (Rudolf Bahro).
Es bleibt nur der mühselige Weg der Aufklärung, der Einsicht, der Weg des vorausschauenden und verantwortungsvollen Handelns. Die Drohung mit der Diktatur hilft dabei wenig. Im Gegenteil: Sie verstärkt die Ängste vor der Veränderung.
Lieber Jens Reich: Bitte denken Sie noch einmal darüber nach, was Sie da gesagt haben. Ich mache seit Jahren Umweltpolitik. Und auch ich war einmal an einem Punkt angelangt, an dem ich mir überlegt habe aufzuhören, weil ich glaubte, die alltägliche Belastung, das Wissen um die dramatische Situation nicht mehr aushalten zu können. Wir müssen lernen, mit der Angst zu leben. Uns bleibt nichts anderes. Michaele Hustedt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen