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„Nach dem Gemütswert benannt“

■ Glücksstraße? Gleimstraße? Nie mehr rätseln! Es gibt ein Buch!

Was ist ein „Einblick in die historische Welt der Straßennamen“? Haben Namen eine Welt? Welche historische Welt hat „Hamburger Straße“? Schlag nach bei Frau Porsch, von der das Zitat stammt. Ihr Buch wurde gestern vom stellvertretenden Bürgerschaftspräsidenten, Herrn Dittbrenner, der Presse vorgestellt: „Bremer Straßenlexikon. Band 3. Ostertor, Hastedt“. Unter „Hamburger Straße“ wird uns Hamburg erklärt. Hansestadt an der Elbe. 1,73 Mio Einwohner. Rathaus auf 4.000 Pfählen errichtet. Seit 1949 Bundesland. Usw. usf.. Will man das wissen? Kann man das missen?

Hartungstraße: Angelegt 1874 und nach dem Bauunternehmer Hartung benannt. Aha. Hastedter Dorfstraße: Nach dem Stadtteil benannt, führt sie durch den ehem. Dorfkern. Ach so! Grundstraße: Die Ableitung des Namens ist unbekannt. Schade! Es gibt im Ostertor und in Hastedt 58 Straßen, die nach Städten benannt sind. Alle Städte werden erschöpfend vorgestellt. Wuppertal: benannt nach der Wupper, rechter Nebenfluß des Rheins. Und erst die 36 Berühmten! Goethestraße: benannt nach Johann Wolfgang von Goethe, Dichter, geboren am ... Nach einer vielseitigen Erziehung ....

Na gut. Denken wir an den Bewohner der Goslarer Straße. Wie konnte er bisher leben ohne die Information, daß Goslar zu Füßen des Rammelsberges liegt. Allerdings muß die Bewohnerin des Möhnewegs weiter ohne die Erkenntis dahinvegetieren, daß die Möhnetalsperre im WK II böse bombardiert wurde. Das steht nicht in Frau Porschs Buch, hinter dem im übrigen auch Herr Pohlmann steckt, dessen Verdienste um das sog. „Kulturwandern“ in Bremen überhaupt nicht richtig genug eingeschätzt werden können.

13 Straßen in Hastedt und dem Ostertor sind nach Vornamen benannt, im Buch steht hinter den Straßennamen, daß sie nach Vornamen benannt sind. „Identität mit der Straße, in der man wohnt,“ forderte bei der Buchvorstellung Präsident Dittbrenner. Freuen dürfen sich die Bewohnerinnen der Helenenstraße, weil es sich hier nicht um einen Vornamen, sondern um einen Teil des Gesamtnamens Helene Engelken handelt, der ein Eckgrundstück gehörte, woraufhin die Helenenstraße nur eine Sackgasse werden konnte, was die Prostitution beförderte.

Der Fluch des schematischen Denkens führt zur Erklärung der Blumenstraße: Angelegt 1819, evtl. auch schon 1806, und nach den Pflanzen benannt. Entsprechenden Quatsch darf man mit Recht von Namenserklärungen zu Länderstraßen, Volksstammstraßen, Berufsstraßen, Bergstraßen, Tierstraßen und sonstigen Pflanzenstraßen erwarten. Doch vielleicht geht es eigentlich ja um Gerechtigkeit. Niemand soll zu kurz kommen, der in einer Straße wohnt. Jedem sei Erfolg beschieden beim Nachschlagen. Was kann einer dafür, daß er in der Hessenstraße wohnt? Wo es doch einige interessante Straßennamen tatsächlich gibt.

Der Wagenbrettweg etwa erinnert an Hermann Wagenbrett. Er besaß eine Badeanstalt am Osterdeich, wo er 1915 durchsetzte, daß vollständig bekleidete Frauen hinter einem Bretterzaun Mittwochs zwei Stunden lang baden durften. Oder Gleimstraße: Betty Gleim richtete zwei Lehranstalten für Mädchen ein, wollte, daß Frauen Geld verdienen können, schrieb 1808 das „Bremische Kochbuch“ und gründete einen Betrieb, um Frauenarbeitsplätze zu schaffen. Gern liest man von berühmten Bremern und auch alles Erdenkliche über den Dobben und den Sielwall und das Suhrfeld und die Schleifmühle, das ist Bremer Heimatkunde, das ist „offensiv Geschichte näherbringen“ (Pohlmann). Und wenn man dann wieder über die Sonnenstraße stolpert (nach der Sonne benannt. Die Sonne ist ein Fixstern ...), blättert man schnell zur Glücksstraße: nach dem Gemütswert benannt... BuS

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