Nach Zwangsenteigung: Widerstand in Disneyland

■ Bei Paris entsteht Europas größter Freizeitpark „Euro Disneyland“ / Seit gestern gibts Aktien / Aus Entenhausen berichtet A. Smoltczyk

Während im Westen von Paris der Präsident ein „Eureka der Kultur“ verkündigt, um der transatlantischen Barbarei Einhalt zu gebieten, jagen im Osten emsige Caterpillar durch die Ebenen des Marnetals. Über staubige Pisten werden Erdhügel hin und her gewuchtet, Bulldozer und Drainageleger versuchen Ordnung in das Chaos zu bringen und Landvermesser schreiten den Horizont ab. Kein Zweifel, hier ist Großes im Entstehen, hier wird eine neue, eine bessere Welt gebaut: „Euro-Disneyland“, Kernstück der teuersten Baustelle des Kontinents und ermöglicht durch das einmalige Zusammentreffen von jakobinischer Zentralstaatlichkeit, Dagobert Duckscher Ethik und Entenhausener Ästhetik.

Auf 500 Hektar besten Ackerbodens, der bislang schnöde Zuckerrüben und Mais hervorbrachte, wird bis 1992 ein „Magic Kingdom“ sprießen, mit Abenteuer-, Phantasie- und Entdeckungsabteilungen. Zwei Golfplätze, das größte Einkaufszentrum Europas, Luxus-Wohnungen, Hotels und Solarien - alles im Zeichen der Mäuse aus Orlando.

Und das ist erst der Anfang. Bis zum Jahr 2015, so ist den bunten Landkarten im Pavillon der Erschließungsgesellschaft EPAFrance zu entnehmen, wird die Kunststadt Marne-la-Vallee, 30 Kilometer östlich von Paris gelegen, einen Ring von Industrien, einer Uni, 700.000 Quadratmetern Büros, Kongreßzentren und Wohnungen um Disneyland legen, um Marne und Disney zum „Treffpunkt Europas Nr. 1“ zu machen, wie Eurodisney-Chef Robert Fitzpatrick jubiliert. Elf Millionen Besucher werden dann jedes Jahr angeflogen kommen, mit dem Superschnellzug TGV durch den Kanaltunnel flitzen oder in stetem Zug auf den Autobahnen aus Richtung Bundesrepublik anrollen. Ein Traum von Größe im Nennwert von 50 Milliarden Franc.

„Eine Gaunerei, wenn Sie mich fragen“, gibt da allerdings der Patron einer Aluminiumschmiede zu bedenken, dessen Unternehmen einer High-Tech-Zone zu weichen hat. „Staatliche Enteignung zugunsten einer US-Firma. Disney alleine hätte mit uns verhandeln müssen. Jetzt, wo der Staat ein öffentliches Interesse dekretiert hat, müssen wir jeden Preis akzeptieren“, sagt er. Tatsächlich entbehren die Modalitäten der Landnahme nicht jener kapitalistischen Skrupellosigkeit, durch die Dagobert groß und Disney reich geworden ist. Ohne die etwaig Betroffenen anzuhören, unterschrieben die französische Regierung Fabius, der Regionalrat und der Micky-Manager Michael Eisner 1985 einen Jahrhundertvertrag, in dem Frankreich den reichen Onkels aus Orlando unter anderem die Enteignung von 60 Großbauern versprach. Es ging um 1.945 Hektar Land - die größte Enteignungsaktion seit dem Sturm auf die Bastille. Die Bauern, die sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen haben, durften wählen: entweder Zwangsenteignung zu neun Franc pro Quadratmeter, oder „gütliche Einigung“ zu elf Franc. Und auch die volle Entschädigung gibt es nur, falls der Landwirt sich innerhalb von sechs Monaten neues Terrain sucht: „Aber so guten Boden gibt es nicht oft in Frankreich“, sagt Gilles Vanderkerchow, dessen Acker zu einem Autobahnzubringer ernannt wurde.

Durch die Enteignung ist die öffentliche EPAFrance Eigentümerin des Areals geworden. Doch ist sie per Vertrag verpflichtet, das gesamte Land an „Euro-Disneyland“ weiterzuverkaufen, falls diese es wünscht - zum Selbstkostenpreis selbstverständlich. 2.000 Hektar vollständig erschlossenen Landes vor den Toren der Boomtown Paris, und das zum Preis für landwirtschaftliche Grundstücke des Jahres 1971 - mehr kann auch ein erfolgsverwöhnter Wallstreet-Raider wie Michael Reisner nicht verlangen. Den zu erwartenden Reingewinn des Deals im Marnetal schätzen Banker auf zwanzig Milliarden Franc.

Nicht weniger märchenhaft als diese Definition von Allgemeinwohl ist die Finanzierung des Großprojekts. Die Lizenzgeberin „Walt Disney Company“ (Umsatz 1988: 3,4 Milliarden Dollar) wird beim ersten Bauabschnitt nur einen Bruchteil der Gesamtkosten von 15 Milliarden Franc zu tragen haben. 4,5 Milliarden gewährt ein Bankenkonsortium, weitere 4,8 Milliarden zu Vorzugszinsen schießt die staatseigene Depositenkasse CDC zu, eine Gefälligkeit, die den öffentlichen Haushalt jährlich 80 Millionen Franc kosten wird. Der Hauptteil der Baukosten, 6,2 Milliarden, sollen schließlich an den europäischen Börsen aufgetrieben werden. Seit dem gestrigen Montag sind die „Euro Disneyland„-Aktien zum Nennwert von 72 Franc zu haben. Allerdings mußte auf die vorgesehene Eröffnungszeremonie am Donnerstag verzichtet werden: als Micky-Mäuse verkleidete Jungkommunisten hatten Oberduck Eisner mit Ketschup und Eiern beworfen. „Micky, go home!“ war gerufen worden, und: „Dagobert, gib uns unsere Mäuse wieder“.

Doch auch für die Kommunisten sitzt der Hauptverantwortliche im eigenen Land. Frankreichs Unterhändler haben sich, aus Angst, vom Standort Barcelona ausgestochen zu werden, auf Vertragsbedingungen eingelassen, wie sie einer Bananenrepublik Ehre machen würden. Die gesamte Erschließung des Geländes geht zu Lasten des Staates. Also Autobahnanschluß, Verlängerung der Schnellbahn RER um elf Kilometer, TGV-Bahnhöfe, Wasser-, Strom- und Telefonanschlüsse. Kosten in Höhe von mindestens 1,6 Milliarden Franc. Dazu kommen noch kleine Aufmerksamkeiten wie vorzeitige Abschreibungsmöglichkeiten, Mehrwertsteuerhalbierung, Einspruchsrecht bei allen Flächennutzungspläne im Umkreis von 30 Kilometern sowie die Zusage, keine Tarifverträge in Disneyland abzuschließen ein „Magic Kingdom“ in jeder Hinsicht. Den betroffenen fünf Gemeinden, deren Bürgermeister das Projekt seit Anbeginn unterstützt hatten, platzte erst der Kragen, als vergangene Woche publik wurde, daß den Anwohnern der Zutritt zum RER -Bahnhof „Disneyland“ gar nicht gestattet sein würde. Kurzentschlossen verweigerten sie die Baugenehmigung. Ein Protest, der, wie der kommunistische Regionalrat Edmond Dechery meint, „keinen Effekt haben wird, weil Disneyland ausschließlich Angelegenheit des Zentralstaats ist“.

Der Ökonom Alain Lipietz kommt in einem Gutachten, das er für die Disney-Gegner geschrieben hat, zu dem Ergebnis, daß Eurodisney die öffentliche Hand 4,4 Milliarden Franc kosten wird, dabei nicht gerechnet die entgangenen Einnahmen durch das Immobiliengeschäft. Die ökologischen Folgen sind erst recht nicht zu schätzen: „Man baut nicht eine Stadt, deren betonierte Oberfläche dem inneren Paris entspricht, ohne daß sich der Grundwasserspiegel absenkt“, befürchtet der grüne Gemeinderat und Ingenieur Alain Rist-Torel, Vorsitzender der Bürgerinitiative ACiDE.

All die Risiken, Subventionen und Rechtskonstrukte im Dienste der US-Maus nehmen Frankreichs Politiker in Kauf, weil sie hoffen, das Marnetal zur Arbeitsplatz- und Devisenquelle machen zu können. 12.000 Jobs versprechen ihre Studien: „In Wirklichkeit werden es großenteils unqualifizierte Saisonjobs sein: Popcorn-Verkäufer oder Cola -Büchsen-Aufleser, wie in den anderen Disney-Parks“, meint dagegen Regionalrat Dechery, und Alain Lipietz schätzt, daß jeder der 7.500 real neu geschaffenen Arbeitsplätze über eine halbe Million Franc Steuergelder kosten wird.

Angesichts der Erfahrungen anderer Freizeitparks ist es ebenso zweifelhaft, ob die erhofften sechs Milliarden Deviseneinnahmen tatsächlich jemals eintreffen, durch die Frankreichs chronisch negative Zahlungsbilanz verbessert werden soll (siehe Kasten).

Erfolgreich waren die französischen Verhandler bislang nur in einem Punkt. Um den Unkenrufen von einem „kulturellen Waterloo“, einem „Brückenkopf der Unkultur im Marnetal“ Einhalt zu gebieten, wurde im Vertrag ein Passus aufgenommen, nachdem der europäischen Kultur ein angemessener Platz in der Phantasiewelt eingeräumt werden müßte. So geschah es denn auch. Euro-Disneyland-Chef Fitzpatrick gelobte rechtzeitig vor der Aktienausgabe öffentlich, daß sämtliche Donalds, Goofies und Mickies neben Englisch „auch französisch“ parlieren würden. Damit wäre das Abendland wieder einmal gerettet.