Nach Wahl in Weißrussland: Prügel gegen Regierungsgegner
Nach der Präsidentenwahl sind bei Protesten in Minsk Demonstranten verletzt worden. Oppositionskandidaten und eine Reporterin wurden verschleppt. Doch die OSZE sieht keine Anzeichen für Wahlbetrug.
MINSK dpa/dapd | Bei den blutigen Protesten gegen die Präsidentenwahl im autoritären Weißrussland sind mehrere Oppositionskandidaten verletzt und rund 1000 Menschen festgenommen worden. Das berichteten unabhängige weißrussische Journalisten am Montag in der Hauptstadt Minsk. Auch in der Nacht hielten die Proteste gegen die Präsidentenwahl an. Die Polizei ging mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. Die Regierungsgegner werfen Lukaschenko Wahlbetrug vor.
Die Präsidentenkandidaten Wladimir Neklajew und Vitali Rymaschewski seien von den Polizei krankenhausreif geprügelt und dann vom Geheimdienst KGB verschleppt worden, hieß es aus den Wahlkampfstäben. Die Regierungsgegner hatten am Sonntagabend Proteste gegen den vierten Wahlsieg von Amtsinhaber Alexander Lukaschenko organisiert. Es galt aber ein Demonstrationsverbot.
Auch die prominente regierungskritische Reporterin Irina Chalip wurde verschleppt. In einem Live-Interview im Radio-Sender Echo Moskwy berichtete sie gerade von dem "brutalen Vorgehen" der Polizei, als sie selbst gewaltsam abgeführt wurde. "Oh, sie zerren mich weg. Was um Himmels willen tun sie denn", schrie sie während ihres per Telefon abgesetzten Augenzeugenberichts. "Mich schlägt die Polizei", rief sie noch mit schmerzverzerrter Stimme, bevor die Verbindung abbrach.
Seither fehle jeder Kontakt zu der Reporterin der oppositionellen russischen Zeitung Nowaja Gaseta, berichtete Echo Moskwy am Montag. Die mit internationalen Preisen ausgezeichnete Chalip ist die Ehefrau des oppositionellen weißrussischen Präsidentenkandidaten Andrej Sannikow. Der Politiker war ebenfalls verprügelt und festgenommen worden.
Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko ist nach offiziellen Angaben mit fast 80 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt worden. Wie die staatliche Wahlkommission am Montag mitteilte, stimmten am Sonntag 79,67 Prozent der Wähler für Lukaschenko. Das war etwas weniger als die 82,6 Prozent der Stimmen, die der autoritäre Politiker 2006 erhalten hatte.
Nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Weißrussland will die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ihren mit Spannung erwarteten Bericht vorstellen. Der deutsche OSZE-Missionschef Geert Ahrens hatte in einer ersten Stellungnahme kurz vor Schließung der Wahllokale von Fortschritten im Vergleich zur letzten Abstimmung vor vier Jahren gesprochen.
Die USA und die Europäische Union verurteilten das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstranten. Die Abstimmung in der Ex-Sowjetrepublik gilt traditionell als unfrei. Die Wahlbeteiligung wurde mit mehr als 90 Prozent angegeben. Lukaschenko steht bei seinen Kritikern im Ruf, der letzte "Diktator Europas" zu sein. Die Behörden gehen oft mit eiserner Härte gegen die Opposition vor. Sie hatten vor den angedrohten Protesten gepanzerte Fahrzeuge in Minsk aufgefahren. Auch mehrere Reporter wurden am Sonntag verletzt.
Von freien und fairen Wahlen könne keine Rede sein, sagte der OSZE-Wahlbeobachter und CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Schirmbeck der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der direkte Wahlvorgang sei aber nicht zu beanstanden. "Die Vorwürfe der Opposition, Lukaschenko habe Wahlbetrug begangen, kann ich - so leid es mir tut - so nicht bestätigen", sagte Schirmbeck.
OSZE-Missionschef Ahrens kritisierte, dass die staatlich kontrollierten Medien in den Tagen vor der Wahl nur noch über Lukaschenko berichtet hätten. Das Ergebnis 2006 hatte die OSZE nicht anerkannt.
Im Vorfeld der Abstimmung hatte die Bundesregierung freie und faire Wahlen in Weißrussland gefordert. Für diesen Fall stellte die Europäische Union (EU) drei Milliarden Euro Hilfsgelder in Aussicht. EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek kritisierte den Übergriff auf den Oppositionskandidaten Wladimir Nekljajew, der auf dem Weg zu der nicht genehmigten Kundgebung von Sicherheitskräften krankenhausreif geprügelt worden war.
Wütende Lukaschenko-Gegner hatten am Sonntag versucht, Regierungsgebäude zu stürmen. Allerdings stoppten Sicherheitskräfte die Demonstranten gewaltsam. Die Opposition kündigte für Montag weitere Proteste gegen die aus ihrer Sicht gefälschte Abstimmung an. Die Führung in Minsk wies Manipulationsvorwürfe zurück und forderte die anderen Kandidaten auf, ihre Niederlage einzugestehen. Die Opposition in Weißrussland ist tief gespalten und hatte sich im Vorfeld nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können.
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