Nach US-Raketenangriff in Pakistan: Talibanführer Mehsud soll tot sein
Der pakistanische Islamistenchef soll bei einem US-Angriff in Waziristan ums Leben gekommen sein. Einen Sieg über die pakistanischen Taliban bedeutet sein Tod allerdings nicht.
DEHLI taz | Er war Pakistans oberster Staatsfeind und soll den Mord an der ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto in Auftrag gegeben haben. Nun soll er getötet worden sein: Der Anführer der pakistanischen Taliban, Baitullah Mehsud, soll bei einem US-Angriff mit einer Drohne ums Leben gekommen sein.
Pakistans Außenminister Shah Mahmood Qureshi sagte am Freitag in Islamabad, es gebe "starke Anzeichen" dafür, dass Mehsud bei einem Angriff auf das Haus seines Schwiegervaters am Mittwoch gestorben sei. Ein Gefolgsmann des Islamistenanführers soll den Tod Mehsuds bestätigt haben, berichtete der pakistanische Nachrichtensender Dawn News. "Ich bestätige, dass Baitullah Mehsud und seine Frau bei einem amerikanischen Raketenangriff gestorben sind", sagte er nach Angaben des Senders. Zuvor hatten drei Geheimdienstmitarbeiter von dem Tod Mehsuds berichtet.
Eine unabhängige Bestätigung gab es jedoch bis zum Freitagabend nicht. Denn die Stammesregion Südwaziristan, in der Mehsud getötet worden sein soll, steht unter der Kontrolle der pakistanischen Taliban. "Um zu hundert Prozent sicher zu sein, müssen wir die Angabe vor Ort überprüfen", sagte Qureshi.
Mehsud war der gewählte Anführer des Dachverbandes Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP, Taliban-Bewegung in Pakistan), zu dem sich im Dezember 2007 rund drei Dutzend militante Islamistengruppen in der Grenzregion zu Afghanistan zusammengeschlossen hatten. Er selbst soll 20.000 Kämpfer befehligt haben, unter ihnen viele militante Islamisten aus dem Ausland.
Baitullah Mehsud war der Anführer der Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP, Talibanbewegung in Pakistan). Im Dezember 2007 hatten sich ca. drei Dutzend Islamistenmilizen im Nordwesten Pakistans zu dem Verband zusammengetan und Mehsud, der seine Machtbasis im Stammesgebiet Südwaziristan hatte, zum Anführer gewählt.
Die meisten der Milizen hatten sich seit dem Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan gebildet und rasch im gesamten Stammesgebiet (Fata) an der Grenze zu Afghanistan ausgebreitet. Die Region ist offiziell zwar halbautonom, wurde von Islamabad aber de facto nicht kontrolliert. Zahlreiche Dschihadi-Kämpfer aus dem Ausland schlossen sich den Milizen an. Die häufig halbkriminellen Organisationen setzten sich in der Region durch, indem sie Hunderte der Stammesältesten töteten.
Ihre Gebiete kontrollierten sie mit äußerster Gewalt. Al-Qaida und die afghanischen Taliban nutzen bis heute Südwaziristan als Rückzugsgebiet. Langsam drangen die Islamistenmilizen auch in andere Regionen im Nordwesten des Landes vor. Im Swat-Tal errichtete Milizenchef Mullah Fazlullah ein Terrorregime. Als Taliban-Kämpfer in die Region Buner vordrangen, setzte die Armee zu einer massiven Offensive gegen die Militanten in Buner und im Swat-Tal an, die bis heute andauert. In Südwaziristan bringt sich das Militär seit einigen Wochen in Stellung. ZAS
Lange sahen die USA Mehsud nicht als akute Bedrohung an, denn seine Männer griffen vorwiegend Ziele innerhalb Pakistans an. Doch im März dieses Jahres setzte das US-Außenministerium ein Kopfgeld von 5 Millionen US-Dollar auf Mehsud aus. Die US-Drohnenangriffe auf Südwaziristan nahmen zu.
In den vergangenen anderthalb Jahren hatte die Zahl der Selbstmordanschläge und bewaffneten Übergriffe, die Mehsud befehligt haben soll, derart zugenommen, dass viele Beobachter befürchteten, Pakistan könne unter der Gewalt zerbrechen. Im März hatte sich Mehsud zu dem Anschlag auf die sri-lankische Kricket-Nationalmannschaft in der ostpakistanischen Stadt Lahore bekannt. Er drohte, es werde fortan "jeder Woche" einen vergleichbar schweren Anschlag geben, sollte Pakistans Armee ihre Offensive gegen die Islamistenmilizen im Nordwesten des Landes nicht einstellen.
Das vermutlich bekannteste Opfer Mehsuds war Pakistans ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto. Im Oktober 2007 war sie aus dem Exil nach Pakistan zurückgekehrt, um bei den Parlamentswahlen als Kandidatin für den Posten des Premiers anzutreten. Noch am selben Tag sprengten sich vor ihrem Konvoi in Karatschi zwei Selbstmordattentäter in die Luft und töteten mehr als 130 Menschen. Zwei Monate später tötete sie ein weiterer Attentäter nach einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt Rawalpini bei Islamabad. Bhutto war zum Ziel geworden, weil sie erklärt hatte, sie werde im Fall eines Wahlsieges eng mit Washington zusammenarbeiten.
Pakistans Geheimdienst veröffentlichte daraufhin aufgezeichnete Telefonate, auf denen sich Mehsuds Anhänger gegenseitig zu dem erfolgreichen Attentat beglückwünschen. Doch Mehsud selbst ließ erklären, er sei nicht für den Mord an der Politikerin verantwortlich.
Einen Sieg über die pakistanischen Taliban bedeutet Mehsuds Tod jedoch nicht. Weitere hochrangige Anführer könnten seinen Platz einnehmen. Und das Schicksal eines anderen "Mehsud" zeigt, dass der Tod eines prominenten Anführers noch lange nicht das Ende des Taliban-Aufstands bedeutet: Im Juli 2007 tötete sich Abdullah Mehsud kurz vor einer Festnahme in Pakistans Provinz Belutschistan.
Abdullah Mehsud, der demselben Stamm angehört wie Baitullah, hatte sich Ende 2001 in Afghanistan Kämpfern der Nordallianz gestellt, die ihn an US-Soldaten übergaben. Er verbracht 25 Monate in Guantánamo. Nach seiner Freilassung reiste er nach Pakistan, stellte eine 5.000 Kämpfer starke Miliz auf und griff immer wieder US-geführte Truppen in Afghanistan an.
Nach seinem Tod erklärte Pakistans Regierung, die Militanz im Nordwesten des Landes werde in Kürze zusammenbrechen. Doch das Gegenteil trat ein: Mehrere andere Milizenchefs nahmen Abdullah Mehsuds Platz ein. Der Islamistenaufstand in Pakistans Nordwesten weitete sich massiv aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?