Nach Posse um Chefredaktion: "Spiegel"-Verkauf bricht ein

Auch nach der Freistellung von Chefredakteur Stefan Aust ist beim Hamburger Nachrichtenmagazin kein Ende der Querelen abzusehen.

Von wegen ruhigeres Fahrwasser... In der "Spiegel"-Redaktion ist weiter was los. Bild: ap

Im März 2007 trafen 250 Redakteure des Nachrichtenmagazins Spiegel eine Entscheidung: Sie beschlossen mit großer Mehrheit, einen Graben zu schließen. Bei der Wahl der fünfköpfigen Führung der Mitarbeiter KG, die die Mehrheit der Anteile am Spiegel-Verlag hält, lehnten sie die Kandidaten Thomas Darnstädt und Gabor Steingart ab.

Steingart galt als Gefolgsmann von Stefan Aust und als dessen potenzieller Nachfolger. Intern aber wurde Aust autokratisches Auftreten vorgeworfen; extern wie intern warfen ihm Kritiker vor, eine neoliberale Linie zu verfolgen - und deren prominentester Vertreter in der Redaktion hieß Steingart.

Darnstädt dagegen war einer von Austs Gegenspielern. Er und Steingart polarisierten. Die Redakteure wählten damals Kandidaten, die eher für den Ausgleich zu stehen schienen. Der Spiegel, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung damals, sollte so wieder "in ein ruhigeres Fahrwasser" geraten. Heute weiß man: Es blieb beim "sollte".

Heute, ein knappes Jahr später, gibt es zunächst einmal eine Zahl. Die Einzelverkäufe sind im vierten Quartal 2007 auf 337.500 Exemplare gesunken. Im dritten Quartal waren es noch 416.800 gewesen. Ein Einbruch von fast 20 Prozent und das schlechteste Ergebnis seit 2003. Möglicherweise liegt das an der schlechten Presse, die im vierten Quartal ordnerweise über den Spiegel erschien und nicht gut fürs Image war. Vielleicht auch daran, dass der Spiegel, wie Franziska Augstein, die Tochter des Magazingründers Rudolf Augstein, einmal konstatierte, inhaltlich dürftiger geworden sei. Sicher ist nur: Der Spiegel verkauft zwar auch am Ende von Austs wirtschaftlich erfolgreicher Zeit als Chefredakteur noch immer insgesamt über eine Million Exemplare. Am Kiosk aber greifen heute deutlich weniger Leser zum Spiegel.

Seit Aust im Novemberurlaub davon erfuhr, dass er nicht bis über 2008 hinaus Chefredakteur bleiben würde, erinnert das Nachrichtenmagazin an einen schlingernden Tanker im Sturm. Nachdem ihn Geschäftsführer Frank in einem kurzen Gespräch am Dienstag informiert hatte, dass er ab sofort von seinen Aufgaben als Chefredakteur freigestellt sei, ließ sich Aust mit dem Satz zitieren, er sei "erleichtert, dass das Theater ein Ende hat". Der treffenden Bewertung der Vorgänge ist nur eines hinzuzufügen: Es hat gar kein Ende.

Aust hat Kündigungsschutzklage eingereicht und laut Hamburger Abendblatt ein Abfindungsangebot abgelehnt, das "bis an die wirtschaftlichen und moralischen Grenzen gegangen sei". Es soll sich um einen hohen einstelligen Millionenbetrag handeln. Im NDR stichelte Aust zurück, er hätte nur zwei Tage Zeit gehabt, das Angebot anzunehmen. Selbst dass sich Aust wieder in die Chefredaktion zurückklagt, ist nicht völlig ausgeschlossen - wenn auch im Grunde abwegig.

Ruhiges Fahrwasser sollte es geben, ein schlingernder Tanker wurde daraus, und jetzt sagt sich Aust: Nach mir die Sintflut.

Nun gerät Geschäftsführer Mario Frank in die Kritik. Er war eine treibende Kraft bei Absägen von Aust, das genauso grenzwertig verlief wie die Suche nach einem Nachfolger. Dass "nicht alles glücklich verlaufen" sei, gab Frank bei einer Betriebsversammlung am Dienstag selbst zu. Und er kündigte den Redakteuren - die quasi seine Arbeitgeber sind - die Streichung ihrer Jahrestantiemen an. Die nehmen das als Zeichen dafür, dass Frank aus dem Spiegel ein betriebswirtschaftlich funktionierendes Gebilde machen wolle - auf Kosten liebgewonnener Privilegien der Redaktion.

Und schon als Frank für den Spiegel 50 Prozent der Anteile an der Financial Times Deutschland kaufen wollte, grätschte die Mitarbeiter KG dazwischen - zu viel Interessenpolitik im Sinne von Mitgesellschafter Gruner+Jahr wird Frank, der selbst von G + J kam, nicht gestattet. Hätte der Spiegel die FTD-Anteile übernommen, hätte noch ein weiterer Gesellschafter die FTD mitgetragen - und damit auch die roten Zahlen, die die FTD noch schreibt. So aber musste Gruner + Jahr selbst ran.

Laut Hamburger Abendblatt denken die Augstein-Erben um Jakob Augstein, die 24 Prozent am Verlag halten, darüber nach, Spiegel-Geschäftsführer Frank - eventuell auch Gruner + Jahr - für die Millionen-Abfindung an Aust in Regress zu nehmen. Jakob Augstein bestätigte das allerdings nicht. Und wie das gehen sollte, wäre eine interessante Frage: Die Augstein-Erben sind schließlich nur Minderheitsgesellschafter.

Vorerst gibt es also weiter Streit - aber immerhin auch einen Gewinner: die Redaktion. Sie hat nun mit Mathias Müller von Blumencron und Georg Mascolo eine Chefredaktion, die wieder mehr mit dem Leben zu tun hat.

Das ist doch schon mal ein Anfang.

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