piwik no script img

Nach Ehec-Fund an SalatgurkenKeiner will's gewesen sein

Befindet sich die Quelle für die Verunreinigung von Gurken mit dem Ehec-Erreger in Spanien, Holland oder Deutschland? Darüber wird heftig gestritten, derweil die Zahl der Erkrankungen weiter steigt.

So soll's gewesen sein: Gurke am Boden der Hamburger Großmarkthalle. Bild: dpa

HAMBURG/MAINZ afp/dpa/dapd | Bei der Suche nach der Herkunft der mit dem lebensbedrohlichen Darmkeim Ehec verseuchten Gurken sind die Gesundheitsbehörden in Hamburg wieder einen Schritt weiter. Neben den beiden bereits identifizierten Unternehmen in Spanien, von denen drei der belasteten Gurken stammten, gibt es in einem vierten Fall Hinweise auf Lieferwege aus den Niederlanden, wie die Gesundheitsbehörde am Freitag mitteilte. Die Ermittlungen seien aber noch nicht abgeschlossen, so dass zunächst kein Unternehmen benannt werden konnte.

Die Niederlande bezeichneten es wiederum als unzutreffend, dass eine mit dem Ehec-Erreger infizierte Gurke aus holländischer Produktion stammen soll. "Wir haben bislang keinerlei derartigen Erkenntnisse", sagte Marian Bestelink, die Sprecherin der zuständigen Behörde für Warenprüfung (VWA), auf Anfrage. Die Meldung beruhe "vermutlich auf einem Missverständnis", sagte Bestelink. "Sie gehen möglicherweise darauf zurück, dass einer der betroffenen Gemüsebauern in Spanien, von wo wohl infizierte Gurken nach Deutschland geliefert wurden, Niederländer ist."

Aus Holland stammen aber nach allen bisherigen Erkenntnissen der VWA keine der in Deutschland entdeckten infizierten Gurken. Auf Veranlassung der VWA gingen in den Niederlanden stichprobenartige Prüfungen von Gemüse sowie die gezielte Suche nach möglicherweise betroffenen Gurken aus Spanien weiter. "Sollten wir dabei fündig werden, würden wir natürlich sofort darüber informieren und die Waren umgehend vom Markt nehmen."

"Dynamisches Geschehen"

Unterdessen bestätigte sich nach Angaben der Hamburger Gesundheitsbehörde im Fall eines in der Hansestadt Verstorbenen der Ehec-Verdacht. "Der Ausbruch geht weiter. Von gestern auf heute sind etwa 60 neue HUS-Fälle, also schwere Verläufe dieser Ehec-Infektion, dazugekommen", sagte der Direktor des Robert-Koch-Instituts (RKI), Reinhard Burger, am Freitag im ARD-"Morgenmagazin".

Binnen einer Woche wurden bereits rund 800 bestätigte und Ehec-Verdachtsfälle registriert. In Deutschland werden normalerweise im gesamten Jahr etwa 900 Infektionen mit den Bakterien gemeldet. "Wir müssen aufgrund der steigenden Zahlen immer noch von einem dynamischen Geschehen ausgehen", hieß es am Morgen aus dem niedersächsischen Gesundheitsministerium in Hannover. Auch in anderen europäischen Ländern wurden mittlerweile einige Fälle registriert, meist waren aus Deutschland kommende Reisende betroffen.

Wegen der vielen mit dem Darmkeim infizierten Patienten in deutschen Krankenhäusern könnte das Blutplasma knapp werden. "Noch haben wir ausreichend Spendenplasma zur Behandlung der Patienten, aber wenn die Situation so anhält, könnte es schwierig werden", sagte der behandelnde Nierenarzt der Medizinischen Hochschule Hannover, Jan Kielstein, am Freitag.

Um ein Nierenversagen bei den Betroffenen zu verhindern, müsse bei ihnen mindestens drei Mal ein Plasmaaustausch vorgenommen werden. "Pro Therapie brauchen wir das Blutplasma von sechs bis zehn Spendern." In der Klinik in Hannover arbeiten derzeit rund 30 Fachkräfte rund um die Uhr, um die 31 Erkrankten zu versorgen. Etwa zwei Drittel der Patienten kommen aus Lüneburg und Hamburg.

"Keine Kuhherden im Großmarkt"

Am Donnerstag waren erstmals Ehec-Erreger an Gemüse gefunden worden - an Salatgurken aus Spanien. Die Behörden in Andalusien hätten sich mit zwei Agrarbetrieben in Verbindung gesetzt, aus denen die Gurken ersten Erkenntnissen zufolge stammen, hieß es aus dem spanischen Gesundheitsministerium in Madrid. Betont wurde dort, dass aber nicht auszuschließen sei, dass die Gurken bei Transport und Handhabe in Deutschland verunreinigt wurden. Die beiden Betriebe befinden sich in den Provinzen Málaga und Almería.

Ein Manager des spanischen Herstellers Pepino Bio Frunet, von dem nachweislich eine der belasteten Gurken stammte, hatte der Bild-Zeitung vom Freitag gesagt, die mit dem Ehec-Erreger verseuchten Bio-Gurken seien auf dem Weg von Spanien nach Deutschland verunreinigt worden und während des Transports auf dem Hamburger Großmarkt heruntergefallen. In einer Reaktion sagte Hans Joachim Conrad, Vorstandschef der Verwaltungsgenossenschaft des Hamburger Großmarktes, am Freitag: "Wir treiben hier keine Kuhherden durch die Hallen."

Auch der Vorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure in Köln, Martin Müller, hielt dies für unwahrscheinlich. "So was kann passieren, aber da müsste ein ganzer Lkw und noch mehr auf den Boden gefallen sein", sagte er. "Ein, zwei Fälle - ok. Aber wie viele Gurken müssen da hingefallen sein, damit dieser Fall eintreten kann?" Denkbar wäre Müller zufolge, dass die Gurken gewaschen wurden, bevor sie verpackt oder auf die Reise geschickt wurden - und dabei mit den Bakterien in Kontakt kamen.

Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) wies den Verdacht des spanischen Gemüsebauers ebenfalls zurück. "Dass die belasteten Gurken von einer einzigen Palette stammten, die durch ein Umkippen verseucht wurden, können wir aufgrund der Probenentnahme an unterschiedlichen Stellen ausschließen", so Prüfer-Storcks.

Die spanischen Gurken waren am Donnerstag als eine Ursache für die Infektionswelle in den Fokus gerückt. An drei Salatgurken aus Spanien fand das Hamburger Hygiene-Institut den gefährlichen Durchfall- Erreger. Die Proben stammten vom Hamburger Großmarkt. Es sei aber nicht auszuschließen, dass weitere Lebensmittel eine Infektionsquelle waren, hieß es. Viele Handelskonzerne strichen zunächst nur spanische Salatgurken aus dem Angebot.

Anbauverband Bioland fordert schnellstmögliche Klärung

Der ökologische Anbauverband Bioland fordert von den Behörden eine schnellstmögliche Klärung der Herkunft des Ehec-Erregers. "Im Moment gehen die Vorwürfe hin und her", sagte der Sprecher des Verbandes, Gerald Wehde, am Freitag. "Dieses Ping-Pong führt nicht zur Klärung", sagte er weiter.

Anbauer, Verarbeiter und Verkäufer von Gurken aber auch von Gemüse allgemein seien stark von der Verunsicherung der Verbraucher betroffen. Genaue Zahlen konnte Wehde nicht nennen. "Aber ich vermute mal, dass sich die Verbraucher deutlich zurückhalten", sagte er.

Für die Branche sei dies ein schwerer Schlag, für hoch spezialisierte Betriebe könne sogar die Gefahr einer Insolvenz bestehen. "Da werden sicherlich Hilfen durch die zuständigen Behörden notwendig werden", sagte Wehde.

Ganz ausschließen könne man eine Verunreinigung, wie jetzt mit Ehec, wohl nie, meint er. "Auch mit doppelt so vielen Kontrolleuren würde ich das nicht verhindern können." Jeder müsse auf seiner Ebene dafür sorgen, dass er sauber arbeitet. "Wir leben nun mal in einer Welt, die nicht keimfrei ist."

Bioland mit Sitz in Mainz ist nach eigenen Angaben der führende ökologische Anbauverband in Deutschland. Mehr als 5.400 Biobauern und mehr als 900 Lebensmittel-Hersteller arbeiten nach Angaben des Verbandes nach dessen ökologischen Kriterien.

Bauern werfen tonnenweise Gemüse weg

Tatsächlich werfen die Bauern in Norddeutschland wegen des Ehec-Erregers tonnenweise Salatköpfe, Tomaten und Gurken auf den Müll. "Allein in Niedersachsen haben fünf Großabnehmer im Einzelhandel ihre Gemüsebestellungen storniert", sagte Axel Boese von der Fachgruppe Gemüsebau Norddeutschland am Freitag in Bremen.

"Die Bauern trifft es enorm hart, wenn die Verbraucher für einige Tage auf das frische Gemüse verzichten", sagte Johannes Funke vom Bauernverband in Berlin. Der Branchenverband hofft, dass der Markt sich schnell normalisiert.

Viele Bauern seien gezwungen, das geerntete Gemüse wegzuschmeißen. Andere ließen das Gemüse auf den Feldern und pflügten es unter, sagte Boese. Er fordert deshalb ein klares Statement von der Politik: "Es muss gesagt werden, dass deutsches Gemüse keimfrei ist."

Der stärkste je registrierte Ehec-Ausbruch

Deutschland erlebt derzeit laut RKI den stärksten je registrierten Ehec-Ausbruch, zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen. Mehrere Infizierte sind so schwer erkrankt, dass weitere Todesfälle nicht auszuschließen waren.

Ehec-Keime sind eine besonders gefährliche Form des Darmbakteriums Escherichia coli. Der Erreger ist vor allem deshalb gefährlich, weil nach Expertenangaben rund 10 bis 100 der winzigen Bakterien ausreichen, um den Durchfall auszulösen. Bei anderen Infektionen sind um ein Vielfaches mehr Erreger nötig, damit es zur Erkrankung kommt. Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine schwere Ehec-Verlaufsform, bei der giftige Stoffwechselprodukte des Bakteriums zu Nierenschäden führen können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • G
    G.Sieper

    Es werden zwar keine Kuhherden durch die Hallen getrieben, dennoch wird Gemüse mit Traktoren angeliefert. Die Traktoren werden nicht nur zum Transport von Gemüse eingesetzt. Die Reifen der Traktoren können also mit Gülle und Mist in Berührung gekommen sein und somit kontaminiert sein.

    Eigentlich müssten alle Fahrzeuge, die auf ein Grossmarktgelände kommen, durch ein Desinfektionsbad fahren.

  • KH
    Karin Haertel

    EHEC kommt unserer tatenlos zusehenen Regierung und auch Opposition wie gerufen. Damit erapart man sich die Rentenreform, allerdings steigen zuvor die Gesudheitskosten drastisch an. Als unser Gemuese noch auf konventionelle Art hergestellt wurde, da hatten wir keine Seuchenprobleme. Mit dem Beginn des Biowahns haben wir nun eigentlich nicht existierenden Krankheiten Tuer und Tor ganz weit geoeffnet.

  • N
    Nike

    Die Betroffenen, sowohl die Erkrankten, als auch die Bauern, haben mein Mitgefühl !!!

    Aber: in welcher Gesellschaft leben wir, wenn ein Agrarvertreter verlangt zu behaupten, dass "das deutsche Gemüse keimfrei" sei. Ist dieser Mann so emotionsgetrieben, dass er nicht mehr klar denken kann? Keimfreies Gemüse ?!?

    Aber unsere Gesellschaft hätte ja auch gerne den keimfreien Körper ... vielleicht sollten wir zukünftig in Computern inkarnieren ... da könnte es mit der Keimfreiheit etwas leichter sein!