: NUENGNATITHORN STEINLE
■ Die Frauen in der Fremde
Ende April besuchten Crille Kallmeyer und ich das Songkran-Fest, eine jährliche Veranstaltung des Thai -Vereins. Was in den Dörfern des tropischen Thailand eine festlich-rituelle Anrufung um Regen war, geriet im durchaus regennassen Berlin zum Spektakel. Aber nicht genug. Sozusagen eine dritte Schicht verbarg sich unter der Verkleidung des traditionellen Wasserfestes und der geselligen, kulturbetonten Veranstaltung: die Ausstellung für Werbung für einen der erfolgreichsten Exportartikel Thailands - die Thai-Frau nämlich. Jedenfalls sah Crille Kallmeyer das so. Als besonders kraß war ihr noch das Songkran-Fest vor zwei Jahren, damals im Riesensaal der alten TU-Mensa, in Erinnerung. Die Bühne war so weit entfernt, daß nur die ersten Reihen Thai-Tanz, Thai-Boxen und Tombola hatten folgen können. Weiter hinten herrschte Bierzeltstimmung. Mit allen Anzeichen des Wohlbefindens, eine Büchse Bier in der Hand, waren deutsche Männer zwischen den Tischreihen umhergegangen und hatten Thailänderinnen taxiert. Etliche besonders bauchige zwischen 40 und 60 Jahren hatte Crille Kallmeyer gleich der Kategorie Lustmolch zugerechnet: den Hosenbund gelockert und im Bewußtsein, daß diese Veranstaltung speziell für die gemacht sei, hätten diese Männer - die, so Crille Kallmeyers Urteil, auf jedem „normalen Fest diskret an der Theke hängengeblieben wären“ -, hätten diese Männer also im Vollgefühl ihrer Stärke dreist und „Lippen leckend“ einzelne Thai-Frauen ins Auge gefaßt.
Dieses Jahr, im wesentlich kleineren Festsaal des Zehlendorfer Rathauses hatte Crille Kallmeyer solche Enthemmtheit nicht wiedergefunden. Alles war enger und kontrollierter. Vorne, am Bühnenrand gab es eine Reihe deutscher Männer, die mit dem Eifer von Großwildjägern Fotoserien der Tänzerinnen schossen. An den Essensständen im Vorderraum traf Crille Kallmeyer einige ehemalige Schülerinnen, unter ihnen Frau Nuengnatithorn Steinle, eine lebenslustige, offenbar in das deutsche Leben mit eingepaßte Frau. Wie sie engagiert und auch lustig von Plänen zur Neuanlage ihres Gartens berichtete, hätte sie mit jedem einheimischen Kleingärtner fachsimpeln können. Vor 15 Jahren war, wie Crille Kallmeyer später erzählte, Frau Steinle schon einmals verheiratet gewesen. Damals mit einem Amerikaner. Sieben Monate, bis ihr Ehemann starb, hatte sie in San Francisco gelebt. Dann war sie mit ihrem mittelgroßen Erbteil nach Thailand zurückgekehrt und hatte, als das Geld aufgebraucht war, Herrn Steinle geehelicht. „Und wenn er stirbt“, pflegte sie zu sagen, „dann heirate ich einen Australier.“ Für Crille Kallmeyer war Frau Steinle immer schon ungewöhnlich gewesen. Zeigte sie nicht, daß - wie verbogen auch immer - unterschiedliche Haltungen auch im prinzipiell abhängigen Dasein der Thai-Frauen möglich waren? Zynisch, rebellisch, berechnend - Crille Kallmeyer fand alles, was nur einen Schritt von der Klischee-Haltung der lammfromm, passiv-ergebenen Thai-Frau abwich, an sich berechtigt und gut!
Grit Bartels
Aus: „Die Frauen in der Fremde“, in „Die andere Chronik 1988“, Hrsg. M. Rutschky, Kiepenheuer & Witsch.
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