NOTIZEN ZUR STIMMUNGSLAGE DER NATION — TEIL II: „Die aus'm Busch wolle net schaffe“
Das Zugpersonal im Intercity zwischen Stuttgart und Saarbrücken sieht weder den Tarifabschluß noch die Zukunft rosig ■ Auf den Schienen Bascha Mika
„Ganz Deutschland kann mich am Arsch lecken!“, grölt der Mann im ausgebleichten T-Shirt. Sein sehniger Arm, mit der Tätowierung dort, wo andere Leute ihre Impfnarben haben, kracht auf die Tischplatte. Den Kopf will er gerade dazulegen, da wird er an der Schulter gepackt. „Kommen Sie mal mit“, sagt einer der Beamten in blauer Bundesbahnuniform. Die Schaffner ziehen den Alkoholschwangeren hinter dem Tisch hervor und schieben ihn aus dem Speisewagen. „Da sehen Sie, wie die Stimmung in diesem Land ist“, murmelt der Koch, der aus seiner winzigen Zugküche guckt. „So was passiert immer öfter.“
Die beiden Beamten sind in das Zugrestaurant zurückgekommen. „Nur Ärger hat man mit denen aus dem Osten“, stöhnt der eine mit den Spanielfalten um den Mund.
„Fast so schlimm wie die Ausländer. Dabei hab' ich gar nichts gegen die, wenn sie sich anständig benehmen — wie die Japaner zum Beispiel. Am schlimmsten sind die aus'm Busch. Die wolle net schaffe.“
„Die kommen doch nur her“, mischt sich sein schnauzbärtiger Kollege ein, „um sich Geld abzuholen. Und mär zahle, zahle, zahle. Aber rein kommt nichts!“
Der dritte Schaffner des Intercity zwischen Stuttgart und Saarbrücken hat seinen Kontrollgang beendet und plaziert sich am Tisch. Er mustert die beiden durch seine schmale Goldrandbrille und nuschelt zwischen zwei Schluck Kaffee: „Ich weiß gar nicht, was ihr wollt. Ich bin zufrieden.“
„Was bist Du?“ Der mit dem Schnauz rupft sich die silberbekordelte Mütze vom Kopf. „Mit dem Lohn bin ich auf jeden Fall nicht zufrieden! 18 Prozent liegen wir im öffentlichen Dienst hinter der freien Wirtschaft zurück.“ Seit mehr als zwanzig Jahren ist jeder der drei auf den Schienen. Streiken wollte eigentlich keiner, schon wegen der „Kunden“ nicht. „Und die 5,4 Prozent“, mosert der eine jetzt weiter, „werden uns doch woanders wieder weggenommen. Da hätt' man doch gleich den Schlichterspruch annehmen können.“
„Aber das ist doch dem Kohl sei Schuld!“ „Den wähl' ich auch nimmer. Ich bin zwar in der CDU. Aber wenn der noch mal drankommt, versteh' ich die Welt nicht mehr.“
„Bis auf einmal hab' ich auch immer CDU gewählt“, nickt der mit den Hundefalten, „das ist vorbei. Erst sagt der Kohl, er will die Ministergehälter kürzen, jetzt tut er so, als hätte er nie was davon gehört. Und mit den Diäten genauso.“
Das Gesicht der Oberkellnerin lächelt über der roten Weste mit dem Abzeichen der „Deutsche Schlaf- und Speisewagengesellschaft“. Doch beim Stichwort „Zukunft“ verfliegt die professionelle Miene. „Es ist doch alles so schlecht. Wo soll das denn hinführen mit den Arbeitsplätzen, der Ausländerfeindlichkeit, der Inflationsrate? Und die Zinsen, die steigen und steigen.“
Angst um ihre Rente, meint die Fünfzigjährige, habe sie schon lange. Ausgeliefert fühle sie sich. „Aber was bleibt einem übrig, als abzuwarten? Es ist so ungewiß alles“, zuckt sie die Schultern.
Und der Koch lehnt sich aus seiner rollenden Kombüse und sinniert: „Jetzt hat doch jeder Angst um seinen Arbeitplatz. Früher waren wir zu viert pro Tour: Oberkellner, Kellner, Spüler und ich. Inzwischen sind wir nur noch zu dritt, auf zwei sollen wir runter, weil die DSG Schulden hat — genau wie die Bahn.“
„Früher war es ein schönes Arbeiten. Aber der Streß ist soviel schlimmer geworden und das Arbeitsklima so schlecht. Bald geht es einfach nicht mehr“, schüttelt die Kellnerin den Kopf. „Aber es gibt ja keine Arbeitsplätze, und wenn man in das Alter kommt, traut man sich nichts mehr zu sagen.“
Demnächst soll die DSG mit der ostdeutschen „Mitropa“ zusammengelegt werden. Was das für die Angestellten heißt, wissen sie nicht. „Mitropa hat doch überhaupt kein Geld. Die kriegen zehn, wir über 16 Mark die Stunde“, erzählt der Koch.
„Zigmal haben wir schon beim Betriebsrat gefragt, was werden wird. Nie kriegen wir eine Antwort. Ich hab' Familie. Ich muß doch sicher sein, was morgen kommt. Daß wir das nicht wissen, ist das Schlimmste.“
Er greift zur 'Bild‘-Zeitung, die ein Fahrgast auf dem Tresen vergessen hat. „Die Sonne scheint über ganz Deutschland“, heißt der erste Satz des Aufmachers.
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