NEULICH IM SFB FERNSEHER: Die Verführung des Banalen
■ Oder wie man kostenlos und hochmoralisch zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt
Nichts scheint dringender zur Zeit, und nichts auch scheint zur Zeit befriedigender im Westen, das heißt im Deutschland der Grenzen von 1989. Ehe die Hausbesetzer sich in der neuen Ostwohnung niederlassen, muß gewischt, geputzt, gelüftet werden. Und wo wir Altwestler auf die berüchtigten »dunklen Kapitel« stoßen, die wir aus eigener Erfahrung gut kennen und mit denen es sich bislang, bei uns hier, gut leben ließ, müssen sie nun, bei denen da, aufgehellt, ans Licht gehoben, sichtbar gemacht werden. Das Aufhellen betreiben die alten Bewohner noch selber: Akten verschwinden, Lebensläufe werden mit Gesinnungs-Tippex behandelt, neue Garderobe wird gekauft, windbewegliche Mäntel zum Beispiel und weiße Westen. Das ist so üblich, hüben wie drüben, wenn die Zeiten sich ändern. Auch das kennen wir.
Für den Rest an Beleuchtung des dunklen Ostens sehen wir Altwestler uns zuständig. Allen voran das Lichtmedium par excellence, das Fernsehen. Seine Aufgabe, die ideelle Gesamtsendung auch im missionarischen Sinne des Wortes — der es sich in diesen postmuralen Monaten verschrieben hat —, lautet: So grausam war der Osten wirklich!
Da sprechen sich Spitzel und Bespitzelte vor der Kamera aus; da werden »Luxuslimousinen«, Ferienvillen, Aktenkeller, Ballkleider, »konspirative Wohnungen«, Geheimpapiere, versiffte Klos, Waffenarsenale, klotzige Edelhölzerbüros, Videopornoszenen zur Erbauung der ehemals Herrschenden, goldene Badezimmerarmaturen, Requisitenkammern für die Allesbeobachter und Freßlisten für KaDeWe-Einkäufe vorgeführt. Meist sind diese Bilder zwecks Intensivierung der Erschütterung verschnitten mit Zeremonialszenen aus der vergangenen Herrscherzeit.
Und bei der Betrachtung eben dieser besinnungslosen Mischung hat die staunende Zuschauerin gelegentlich den Eindruck, da seien ratlos-empörte Ethnologen auf einen kleinen Staat im fernen Afrika gestoßen, den ein durchgeknallter Stammesfürst drangsalisiert hatte. Und das durchaus mit avancierten Methoden, die vom zivilisierten Westen abgeguckt sind, aber in dieser absurden Mischung so total daneben. Immer hart an der Grenze zum Jämmerlich-Lächerlichen, zum groß Gemeinten und klein Geratenen.
Dieser Eindruck wäre nun allerdings fatal, weil er die Botschaft von der grausamen Grausamkeit des zerschlagenen kommunistischen Regimes unterläuft. Also müssen die Bilder Rahmen erhalten, die quasi die Sehrichtung vorgeben, den präsentierten Befund gebührend nah rücken und gebührend böse erscheinen lassen.
Wie zum Beispiel in der SFB-Dokumentation am Donnerstag abend im Ersten. Innenansichten der Macht im DRR-Staat hieß der Untertitel und fügte sich, so formuliert, durchaus in die gewohnten Lese-, Hör- und Sehstücke über die durchstasifizierte ehemalige DDR. Und darein fügte sich ebenso das gezeigte Material. Vielleicht war es ein bißchen sensationeller, ein bißchen mühsamer zu investigieren: Eine lachende Spitzelfrau tritt auf, ein amüsierter Honecker- Gärtner, eine herzzerreißend zerrissene Generalstaatsanwältin etc. etc. Das ist gewiß zum Nachdenken angetan. Nur — nachdenken kann man gar nicht mehr, weil schon vorgedacht wurde. Die Sendung hatte nämlich noch einen zweiten, den Haupttitel: Die Banalität des Bösen. Und der sitzt!
Indem die SendungsmacherInnen sich den Titel einer der ganz wenigen scharfen Analysen des Nationalsozialismus aneignen, den des Eichmann-Buches von Hannah Arendt, tun sie zweierlei. Erstens — Arendt war Jüdin — usurpieren sie als Autoren den Blick aus der Opferperspektive. Und zweitens — man braucht es fast nicht mehr zu sagen, so offensichtlich ist die Richtung — schalten sie Nazistaat und DDR-Staat gleich; mit dem feinen, nicht ausdrücklich formulierten Unterschied: Das Naziregime wurde »uns« auferlegt, beim Stasi-Staat aber haben alle mitgemacht. Was nur heißen kann: Die da drüben waren schlimmer.
Und dieser Vorgang bestätigt einen Grundverdacht. Es scheint so, als sei der Zusammenbruch des real existierenden DDR-Sozialismus die willkommene Gelegenheit für uns Erben des Nationalsozialismus, eine unerledigte Schuld endlich und nun ein für allemal ersatzabzudienen. Und die scheinbar so irrationale Heftigkeit des westlichen Aufräum-, Aufklärungs-, Anschuldigungsdrängens stützt diesen Verdacht. [Nur ein Bruchteil dieser Vehemenz bei der Bewältigung der eigenen Faschismusvergangenheit... d. säzzer]
Was der bundesdeutsche Nachfolgestaat seit 1945 nicht hat leisten wollen, weil es um die eigene Vergangenheit ging, vollzieht er nun am übernommenen Staat und an der fremden Vergangenheit. Die Reinigung des Stasi- = Nazistaats, die Bloßlegung seiner »dunklen« Geschichte erledigt stillschweigend die — man sieht es ja — des vergleichsweise gar nicht so schlimmen Nazideutschlands mit. Psychoanalytisch, und damit durchaus verharmlosend, heißt solch ein Handeln, das primären Schmerz auf sekundäre Lust umlenkt, Waschzwang. Christel Dormagen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen