: NEUES REISEN - ABER WANN?
■ Der Trend zur anspruchsvollen Pauschalreise Eine Standortbestimmung der Tourismuskritik anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Gruppe Neues Reisen
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Heinrich K., Bankangestellter, war mit seiner vierköpfigen Familie auf Mallorca, pauschal natürlich. Bleibende Erinnerung: durchgelegene Betten, das harte Frühstücksei, die unfreundliche Massenabfertigung am abendlichen kalten Büffet. Aber ansonsten war es schön, zum Beispiel in der Strandbar, „wo es wirklich sehr kommunikativ“ zuging. Heinz M., genannt Enzo, Werbegraphiker, Tierkreiszeichen Lö- we, verbrachte seine Ferien auf Ibiza, ebenfalls pauschal, nur etwas teurer. Noch heute schwärmt er von den zahlreichen Boutiquen, die echt „schick, schick, aber nicht totschick“ sind, den Nachtbars mit fetzigem Ambiente und dem spanischen Sekt, der in der Qualität kaum echtem französischen Champagner nachsteht. Heinrich K. und Enzo, beide aus München, haben wirklich nichts miteinander zu tun. Ganz andere Szene. Von der Feierabendgestaltung bis zum Reiseprospekt, von der Elastik-Badehose bis zu den Boxershorts ist ihnen nichts gemein. Doch sowohl der biedere Heinrich K. mit Schirmmütze als auch der schicke Enzo mit der gewagteren Schiebermütze liegen voll im Reisetrend: Pauschalreisen.
Und diese bestimmen mehr und mehr das Reisegeschehen, referierte Gerhard Armanski, Altvater der Tourismuskritik und Mitglied der Gruppe Neues Reisen (GNR), beim kritischen Rückblick der Gruppe auf ihr zehnjähriges Bestehen, wo von der Forderung nach „Nichtreisen“ bis „Sanft Reisen“ so manche Stilblüte mitkreiert wurde. An Armanskis Standortbestimmung der Tourismuskritik anläßlich des GNR -Jubiläums orientieren sich auch im wesentlichen die folgenden Ausführungen.
Ein Drittel der Bundesbürger verreist inzwischen pauschal. Der Massentourist im Stil Heinrich K.s ist jedoch eine aussterbende Gattung. Mehr und mehr setzt sich ein Mittelklassetourismus a la Mövenpick oder Club Mediterranee durch. Tourismus als Serienanfertigung, nach dem Motto „Wie hätten Sie's denn gerne?“: 60 Prozent Erholung, 20 Prozent Kultur, zehn Prozent Abenteuer und den Rest zur freien Verfügung? Und das alles in einer bestimmten Preislage. Eine Vor- und Versorge rund um die Uhr. Was einst die Oberschicht auf Luxusreisen genoß, hat sich als prägende touristische Form durchgesetzt, der Inhalt ist nur eine Preisfrage. Man setzt auf Diversifizierung, denn auch hier kommt es auf die individuelle Note an.
Mit dem Martini an der Reeling am Nordpol - da bleibt allerdings nicht mehr der Duft der großen weiten Welt, sondern ein Gefühl der Abgeschmacktheit, des längst Bekannten. Und außer sich selbst und seinem Wohlbefinden gibt es auch nicht mehr viel zu entdecken. Ob Heinrich K. auf Mallorca oder Enzo auf Ibiza, das Land ist völlige Nebensache.
Die touristische Mittelklasse-Veranstaltung ist ein permanenter Basar, der sich zwischen Strand, Palmen und Sonne natürlich besonders malerisch ausnimmt: von früh bis spät Animation, die sich in einem geschlossenen sozialen und kulturellen Kreislauf abspielt. Und je entwickelter die touristische Infrastruktur, um so facettenreicher der Basar, um so mehr wird das Land zur bloßen Kulisse.
Eigentlich ist die Fremde völlig uninteressant, denn an ihrer Oberfläche hat sich eine vertraute „Weltzivilisation“ eingenistet. Wer es mit zehn englischen Worten von Alaska bis Feuerland schafft, den kann auch das schlechte Englisch des chinesischen Reiseleiters nicht erschüttern, im Gegenteil, eben das macht selbst den Chinesen vertraut, und auch dort kommt man gewandt zurecht. Denn der „Stachel der Fremde“ tritt höchstens noch als Splitter bei einer der Landestradition entsprechend zu scharfgewürzten Fischsuppe auf. Die Geheimnisse der Fremde sind von gestern, und die Reisenden von heute schielen auf die Programme von morgen. Wachstumsbranche
Tourismus
Und dafür läßt man sich sicherlich noch einiges einfallen. Tourismus ist weltweit die Wachstumsbranche. Während sich die Handelsbedingungen der Dritte-Welt-Länder verschlechtern, die Kluft zwischen Industrie- und Dritte -Welt-Ländern vergrößert, scheint für die meisten mit touristischen Ressourcen ausgestatteten Länder der Tourismus das Allheilmittel zu sein. Vietnam, Laos, Lateinamerika oder Malediven - die Kette wäre endlos fortzusetzen -, alle setzen auf die devisenbringende Ferienindustrie. Der ökonomische Zwang, in dem viele Entwicklungsländer stecken, verbessert natürlich die Marktbedingungen der Tourismuskonzerne. Und so läuft und läuft das ungleiche Geschäft mit der Nord-Südverschickung, bei dem es dem einen ums Überleben, dem anderen ums Erleben beziehungsweise Erholen geht. Wer letztlich daran verdient, ist ein altes Anliegen der Tourismuskritik: zunächst die Konzerne, die einen Großteil der Devisen selbst auffressen, dann eine landestypische Bourgeoisie und zuletzt das Land, um so mehr, je diversifizierter seine Wirtschaft ist. Länder wie Spanien, Italien oder Portugal verdienen natürlich am Tourismus mit. Was sie nicht verdienen, ist die zerstörte, verdreckte Landschaft in den touristischen Hochburgen. Aber da sind sie ja selber schuld, meinen die Touristikkonzerne, die sich dann eben ein ungestörteres Fleckchen erobern, und wenn das nicht mehr geht - die weißen Flecken auf der Landkarte werden rar -, wird die Vertrauensfrage gestellt: Politiker oder Touristen - wer war's? Doch nichtsdestotrotz entwickelt sich das Mittelmeer von der Türkei bis Portugal zum klassischen mitteleuropäischen Tourismusraum. So läutet die Wiege der europäischen Kultur nun auch deren abgeschmackten Abgesang ein: ein wirtschaftlich und kulturell vereintes Europa mit Großkonzernen, Großflughäfen und dreisprachigem Animationsprogramm. Kritik - an wem?
Und wo soll nun schlichte Tourismuskritik an dieser sich diversifizierenden und organisierenden Kulturerrungenschaft Urlaub ansetzen? Gerhard Armanski von der Gruppe Neues Reisen, die sich in ihrer zehnjährigen Geschichte wohl am aufrichtigsten der industriellen Umarmungsversuche erwehrte, sieht vor dem Hintergrund einer sozialen, ökonomischen und kulturellen Wendelandschaft zugunsten eines Wirtschaftsliberalismus veränderte Ausgangsbedingungen. Während der sozialliberalen Ära in den siebziger Jahren rannte die Tourismuskritik offene Türen ein. Betroffenheit allerorten, bei Parteien, Gewerkschaften etc., die in dem Scheineinverständnis „Was machen wir praktisch“ gipfelte. In diesem Reformklima wurden zwar die Anliegen der Tourismuskritik ernstgenommen, doch wurden globale Zusammenhänge wie Weltwirtschaft oder Ökologie immer mehr zugunsten eines praxisorientierten Aktivismus ausgeklammert. Und dieser wiederum wurde erfolgreich von den Strategen der Reisekonzerne aufgesogen; für den Alternativen, die Rad -Wandertour, den Ökologen, die Bergwanderung mit Müllsammlung und anschließender öffentlicher Müllgedenkfeier, für den kritischen Konsumenten, das umfassende sanfte Modell auf Gomera (Wohnen bei Einheimischen, Leben mit Mücken). So wurde die Kritik nicht nur scheinbar ernstgenommen, sondern auch scheinbar entkräftet. Die Industrie selbst kümmert sich ums allgemeine Wohl: dem der Touristen und dem der Bereisten. Und das alles ganz trendy.
Also, was bleibt der Gruppe Neues Reisen mit ihrem tourismuskritischen Anliegen übrig? Mitsteuern oder Gegensteuern. „Wir sollten nicht weiterhin total auf die Branche starren, sondern Tourismuskritik verstärkt als Teil der Kulturkritik betrachten. Sonst wird die Kritik so flach wie die touristische Veranstaltung selbst“, resümierte Christel Burghoff von der GNR die fatale Konsequenz der vereinnahmten Kritik. Also Kritik an der Pauschalreise von Heinrich K. und Enzo? Nein, nicht ums sauertöpfische Miesmachen geht's der GNR, sondern um die müde Veranstaltung Tourismus, deren Abenteuer nur noch Plagiate sind. Daß diese weiterhin als Original verkauft werden, ohne Rücksicht auf Land und Leute, daran soll die Kritik ansetzen und nicht an der Verbesserung des Plagiats. Weniger ist manchmal mehr.
Edith Kresta
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