: NEU IM CINEMA: „Winckelmanns Reisen“ Der Blues eines Handlungsreisenden
Ernst Winckelmann reist unentwegt durch ein graues, ewig gleiches Schleswig-Holstein: von Glückstadt nach Itzehoe und wieder zurück. In einem alten, schon recht schäbigen Mercedes klappert er die Friseurläden ab, um Haarwaschmittel zu verkaufen, aber genauso dröge und erfolglos, wie er sich durch sein privates Dasein wurstelt, preist er auch Pohls Schuppenshampoo an. Sieben Jahre lang trauert er schon seiner Exfrau Hilde nach, seine junge Freundin Aline träumt von einer Zukunft als Hotelfachfrau in Oostende, und ihr Vater, der fast der einzige Kunde in seiner eigenen Kneipe ist, erinnert sich sehnsüchtig an glorreiche Zeiten im schönen (von ihm sehr norddeutsch ausgesprochenen) Miami.
Sie dösen alle am wirklichen Leben vorbei, und so minimalistisch, wie sich ihre Alltagsgeschichten ausnehmen, hat sie Regisseur Jan Schütte auch inszeniert. Er will nach eigener Aussage ein Kino machen, „das auf die gigantische Gefühlssauce verzichten kann, ohne gleich vollkommen cool und gefühlskalt zu werden. Ein auf das Wesentliche und Minimale reduziertes Kino.“ In klassischem Schwarzweiß gedreht, dessen Bilder so ausschließlich in der norddeutsche Tristesse versinken, daß sie schon wieder spannend und schön anzusehen ist, wirken die sorgsam inszenierten Episoden nie langweilig oder larmoyant. Dafür mag Schütte seine Filmfiguren viel zu sehr — bei allen Unzulänglichkeiten verlieren Winckelmann und Aline weder ihren trockenen Witz noch ihre Würde. Die Rollen wurden Wolf-Dietrich Sprenger und Susanne Lothar auf den Leib geschneidert, und sie passen wie angegossen.
Das Absurde steckt auch im ganz normalen, scheinbar unspektakulären Alltag, und der ewige Kleinkrieg Winckelmanns mit einem Friseur oder das Vertretertreffen der Shampoofirma gehören zu den dünngesäten komischen Glanzleistungen des deutschen Films. Ähnlich wie in Wim Wenders „Alice in den Städten“ muß sich der schon fast verlorene Held im letzten Teil des Films mit einem ihm anvertrauten kleinen Mädchen abplagen, das ihn schließlich aus seiner Lethargie herausreißt. Schütte gönnt Winckelmann ein etwas optimistisches Ende, aber ewig schweigt das norddeutsche Flachland. Wilfried Hippen
Kommunalkino im Cinema
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