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Archiv-Artikel

NATALIE TENBERG ÜBER HABSELIGKEITENFRÜHER GAB ES FUNKWECKER, RADIOWECKER, REISEWECKER, BIMMELWECKER – HEUTE REICHEN MOBILTELEFONE MIT WECKFUNKTION Endstation Manufactum

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Donnerstag

Josef Winkler

Wortklauberei

Freitag

David Denk

Fernsehen

Montag

Susanne Klingner

Die Farbe Lila

Dienstag

Martin Unfried

Ökosex

Mittwoch

Kübra Yücel

Das Tuch

Wir sind bei den Nachbarn schräg unten, bei denen links und eigentlich auch denen rechts in Ungnade gefallen. Nicht weil wir den Müll falsch sortiert hätten oder mit einem Stinktier durchs Treppenhaus marschiert wären. Nein, wir gelten seit vorletztem Wochenende als miese, uneinsichtige Ruhestörer und schlimme Lügner noch dazu.

Freitagnachmittag nämlich waren wir fröhlich in ein langes Wochenende weit weg von Berlin gefahren. Am frühen Abend jedoch begann etwas aus unserer Wohnung zu piepen. Ziemlich laut, ziemlich regelmäßig und anscheinend vor allem ziemlich nervtötend. „Sie haben einfach Ihren Wecker angelassen“, wurde uns am Samstagmittag, es piepte noch immer, fernmündlich vorgeworfen. Vielleicht wären die Beziehungen zu den entnervten Nachbarn heute wesentlich besser, hätte ich einfach „Oje!“ gesagt und schnelle Hilfe versprochen. Leider aber war ich von dem kuriosen Vorwurf komplett überrumpelt. „Kann gar nicht sein, wir haben nämlich keine Wecker!“, sagte ich, es ganz mit der Wahrheit haltend. „Kann doch nicht sein!“, kam es zurück.

Wo, überlegte ich später, sind eigentlich die ganzen Wecker geblieben, die ich im Laufe meines Lebens besessen haben muss? Da gab es vor langer Zeit einen weißen Würfel von Sony, danach eine einfache Uhr der Aldi-Marke „tropby“, es gab Funkwecker, Radiowecker, Reisewecker und sogar einen besonders nervigen mit zwei Glöckchen, die zur Weckzeit gebimmelt wurden, selbstverständlich ohne Schlummertaste. All diese Wecker verschwanden in irgendeinem Nichts. Heute brauche ich keine Hardware mehr, um wach zu werden, sondern nur noch eine penetrante Weckfunktion. Im Handy. Das ist genauso laut und es bleibt mehr Platz auf dem Nachttisch für Lektüre. Prima.

Oder sollte ich doch um so ein simples, zweckdienliches Gerät wie den Wecker trauern? Schließlich ist er ja das krasse Gegenteil von solchem Zierunrat wie der Kuckucksuhr oder Haustür-Strohkränzen. Und „Täglich grüßt das Murmeltier“ wäre ohne den Klappzahlenwecker, der immer wieder um sechs Uhr „I Got You Babe“ spielt, nicht annähernd so lustig. Sollte der Wecker nur noch eine traurige Existenz in verstaubten alten Geschäften oder im Manufactum-Katalog fristen? Fast hätte ich ihn durch einen beherzten Kauf aus dieser Lage befreit, da erinnerte ich mich an die vielen miesen Stunden, die mir meine Wecker bereitet hatten. Das Handy bimmelt selbstverständlich genauso effektiv, gleicht jedoch alle negativen Gefühle des Morgens durch SMS und eingehende Anrufe während des Tages aus. Also kaufte ich doch keinen Wecker.

Trotzdem wunderte ich mich: Was war aus den ganzen Menschen geworden, die in den Jahren ante Nokia in der Uhrenindustrie tätig waren? Zogen sie in stiller Absprache alle gemeinsam nach Sachsen-Anhalt, um ihr Leben lang pervers früh aufzustehen?

„Der Rauchmelder war’s“, sagte ich ein paar Tage später, als ich die Nachbarin am Müllcontainer traf. „Ein seltener Fehlalarm.“ „Kann schon sein“, antwortete sie unwirsch. „Aber das mit dem Wecker, das glaube ich trotzdem nicht.“