NACHTS IST WAS LOS : Ruf nach Ruhe
Neulich bin ich nach Mitte gereist, wo man statt in Kneipen in Galerien oder Fahrradläden sitzt und kleine Biere kippt. Hoffest im Schokoladen. Es war voll. Auf der Straße: eine Traube struppiger Menschen. Ein gealterter Punk, das verbliebene Haar in ein spitzes grünes Horn und eine einsame Dreadlock geteilt, stand da und eine junge Frau mit nagelneuem Bad-Religion-T-Shirt.
Plötzlich wurde der bierselige Frieden gestört: Aus dem Nachbarhaus flog eine Wasserbombe. Noch eine. Und noch eine. Keine fünf Minuten später ein Polizeiauto. Noch eins. Dann noch eins. Neun Beamte kamen die Straße herab – drangen in das Nachbarhaus ein, um den zu schnappen, der da Bomben auf Punks geworfen hatte. Ganz langsam beschreibe ich B. am Handy das Geschehen. „Ganz klar“, erkläre ich. „Auch andere Hoods haben ganz schöne Spießersöhne.“ Aber B. versteht nur Bahnhof. Er war lieber in Neukölln geblieben.
Um fünf Uhr erwache ich in meinem Bett. „Da oben leuchten die Steeernee, und unten leuheuchten wir“, blökt ein zweistimmiger Männerchor im betrunkenen Stakkato unter dem Fenster. Der klare Höhepunkt der Darbietung: „Rabimmel, rabammel, rabumm!“
Und schon kommt Bewegung in das verschlafene Neuköllner Gässlein. Ein Fenster wird zugeschlagen, das Glas vibriert. „Ruhe!“, brüllt wer von links. „Arschloch!“, antwortet jemand rechts. Türen öffnen und schließen sich, es scheppert, irgendwer dreht seine Musikanlage kurz auf volle Lautstärke. Ein dumpfer Knall. Klirren. Gegenüber hat wer von sehr weit oben einen Blumentopf nach sehr weit unten geworfen. Ich stehe senkrecht im Bett. Die ganze Nachbarschaft hat sich zum kakofonen Nachtkonzert getroffen. Das Crescendo: der Ruf nach der Polizei. Zufrieden ziehen sich darauf alle ins Bett zurück, nur der Männerchor lacht sich schlapp. „Polizei! Polizeihei!“, echot er noch ein Weilchen. Dann ist es still. SONJA VOGEL