NACHTBUSHALTESTELLE : Ungezeugt
Letzten Mittwoch haben die Surfpoeten wieder bis tief in den Donnerstag gefeiert und getanzt, und einige von uns haben danach sicher eine neue Generation gezeugt. Ich hab mich von meinem Kumpel Christoph zur Bushaltestelle bringen lassen: „Die hat den ganzen Abend mit mir geflirtet, und am Ende erzählt sie dann, ‚Ich habe einen Freund!‘ “, klagt Christoph. „Das werden Männer nie begreifen, dass manche Frauen vielleicht einfach nur zum Tanzen gehen“, sage ich. „Ja. Du bist genauso eine! Mit dir wollten doch auch alle schlafen!“, schimpft Christoph.
„Das kommt, weil ich so schön bin, und daher, dass wir in einer Disko waren. Da will jeder mit jedem schlafen. Darum geht’s doch!“, sage ich. „Also gibst du es doch zu“, stellt Christoph fest, „es geht um Sex.“ Erklär einem Pinguin die Wonnen der Wüste. Christoph fängt an zu weinen. „Mit mir wollte keiner schlafen!“, heult er. „Och, Christoph!“, sage ich, „woher willst du das denn wissen? Hast du denn überhaupt jeden in der Disko gefragt? Die Dragqueen mit den dicken Brüsten, die hätte doch bestimmt mit dir geschlafen.“
Ich ernte empörtes Schluchzen: „Die wollte ich aber nich! Ich wollte die kleine Spanierin, die aussah wie Amy Winehouse. Aber die wollte mich nicht.“ Mit neu beflügeltem Selbstmitleid schmettert er: „Keiner will mit mir schlafen!“ über die Straße.
„Nun hab doch mal Erbarmen und nimm ihn mit zu dir nach Hause, damit wir hier endlich schlafen können!“, schallt von weit oben eine fremde Stimme zu uns hernieder. Im dritten Stock des Hauses, vor dem sich die Bushaltestelle befindet, hat jemand seinen Kopf aus dem Fenster gehängt. „Seit zehn Minuten höre ich mir hier euer Vorspielgelaber an“, sagt der Kopf, „könnt ihr nicht einfach knutschen? Das ist wenigstens leise!“ – „Nee“, sage ich, „tut mir leid, ich habe einen Freund.“ Christophs Weinen hallt von den Wänden wider. LEA STREISAND