■ Vom Nachttisch geräumt: My Home is my Empire
Eine Geschichte der Inennarchitektur des 20.Jahrhunderts. Eine Schatzkammer mit einem halben Tausend Abbildungen. Alte Fotos, Skizzen und Zeichnungen machen deutlich, was seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als schönes Raumdesign angesehen wurde. Wer sich nicht fürs Thema interessiert, wird trotzdem gern in dem Band blättern. Wo sonst kann man auf sechs Ansichten des Grünen Zimmers des Weißen Hauses in Washington die Entwicklung der ästhetischen Ansichten von 1865 bis 1906 verfolgen? Das Hauptaugenmerk des Autors Stephen Calloway, eines Kurators des Victoria & Albert Museums, liegt auf der Entwicklung in Großbritannien. Ein wenig Wien und Darmstadt, Paris und Brüssel täuschen darüber nicht hinweg. Das stört nicht weiter. Schön wäre nur gewesen, man hätte das im Untertitel oder wenigstens auf dem Klappentext deutlicher gemacht. Trotz dieser Einschränkung: das Buch bietet sicherlich den beeindruckendsten derzeit erhältlichen Schnellkurs ins Thema.
Den Hauptreiz für den Ignoranten in Sachen Innenarchitektur machen freilich die Fotos aus, auf denen man die Räume sehen kann, in denen ein paar Werke der englischsprachigen Weltliteratur dieses Jahrhunderts entstanden sind. Zum Beispiel die Arbeitszimmer von Vita Sackville-West und T.H. Lawrence oder das von Herbert Read in den dreißiger Jahren. Auf der alten Abbildung ist der grobe Charme der von Adolf Loos gestalteten Diele für Tristan Tzaras Pariser Haus nur noch zu ahnen; Liberaces kalifornischer Barock der sechziger Jahre ist dafür nur um so deutlicher. Andy Warhols Salon in seinem New Yorker Stadthaus, eine geordnete Rumpelkammer, zitiert weniger genau, dafür aber desto prächtiger, was der Philosoph des zitierenden Geschmacks, Mario Praz, in seiner Wohnung in der römischen Via Giulia schon zusammengetragen hatte: das Empire als Kunst der Jäger und Sammler.
Stephen Calloway: Raumdesign — Wohnen im 20.Jahrhundert. Übersetzt von Siglinde Summerer und Gerda Kurz, Busse & Seewald-Verlag, 407Seiten mit 524 Schwarzweiß- und farbigen Abbildungen, 198,—DM.
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