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Archiv-Artikel

Muss ein Patriot ein Idiot sein?

„Elitären Professoren aus Cambridge fällt es leicht, zu einem Krieg aufzurufen, in dem weder ihre Söhne kämpfen noch ihre Freunde sterben werden“, meint Stephen Eric Bronner. Mit den „US-Akademikern gegen den Krieg“ bereiste er den Irak

Interview WOLFGANG GAST

taz: Mr Bronner, Sie waren mit einer Gruppe von Akademikern aus den USA im Irak zu Besuch. Die Regierung in Washington wirft dem Regime von Saddam Hussein vor, weiterhin nach Massenvernichtungsmitteln zu streben. Sie haben mit irakischen Intellektuellen und Wissenschaftlern gesprochen. Was sagen die zu diesen Vorwürfen?

Von den Regierungsvertretern, mit denen wir sprachen, wurden diese Behauptungen natürlich stets zurückgewiesen. Andererseits ist wohl auch nachvollziehbar, dass einfache Intellektuelle keinen privilegierten Einblick bekommen, ob ihr paranoides und geheimnistuerisches Regime Massenvernichtungswaffen besitzt. Die Frage ist doch, ob entweder die UN oder die Ankläger irgendeinen haltbaren Beweis vorlegen können. Trotz allem Wutgeheule können weder die Regierung Bush noch Premierminister Blair bisher irgendetwas auf den Tisch legen. Dem kann ich wenig hinzufügen. Aber ich kann Ihnen versichern: Als wir eine Anlage besichtigten, die zuvor von UN-Experten auf die Möglichkeit solcher Waffenherstellung untersucht worden war, machte das auf mich eher den Eindruck eines Chemielabors einer abgerissenen Schule in einem verarmten Wohnviertel.

Wurden Sie bei Ihrem Aufenthalt und bei Ihren Besuchen behindert, von der Polizei oder den Geheimdiensten? Konnten Sie sich Ihre Gesprächspartner selbst auswählen?

Wir wurden nicht behindert. Aber es war offensichtlich, dass immer Agenten des Regimes unter uns waren. Die ganze Rundreise war straff organisiert. Die Universität von Babylon inszenierte eine große Studentendemonstration mit Schildern und Sprechchören auf unser Wohlergehen. Eine Kindergartengruppe sang Loblieder auf Saddam, und eine Gruppe von Kindern mit Downsyndrom sang für den Frieden. Es war zum Teil sehr bewegend. Weniger rührend waren die „wissenschaftlichen“ Papiere, die uns von einer Gruppe von Parteisoldaten – einige sahen aus wie aus Stalins Zentralkomitee entlaufen – überreicht wurden. Dazu gehörten auch der Dekan einer Sportschule und der Vorsitzende irgendeines irakischen Freundschaftskomitees sowie ein weiterer, der augenscheinlich in das Mikrofon verliebt war.

Es sind seit mehreren Wochen immer wieder Friedensaktivisten, Künstler und Liedermacher aus aller Welt in den Irak gereist, um gegen den drohenden Krieg zu protestieren. Auch Sie sind ausdrücklich als „Akademiker für den Frieden“ in den Irak gereist. Müssen Sie nicht befürchten, dass Ihr Aufenthalt von Saddam Hussein propagandistisch ausgeschlachtet wird?

Das ist doch das alte Spiel: „Mein Land bleibt mein Land, im Guten wie im Bösen.“ Wenn ich mich recht entsinne, behaupteten damals die Kommunisten, dass ihre Kritiker dem imperialistischen Feind eine „objektive Rechtfertigung“ lieferten. Ich erinnere mich auch noch gut an die Slogans aus Zeiten des Vietnamkriegs: „Man ist entweder für oder gegen uns!“ oder, noch besser: „Amerika! Lieb es oder hau ab!“ Diese alten Slogans machen wieder die Runde. Natürlich geht es darum, die Erfahrungen bürgerlicher Freiheiten zu untermauern, sowie um die Möglichkeit, einen unabhängigen Standpunkt einzunehmen. Diese Vorstellungen gehen aber stets von der Annahme aus, dass der Patriot jemand ist, der blindlings seinem Anführer folgt und eher gehorcht als nachdenkt. Wer waren denn die wahren Patrioten während des Vietnamkriegs? Diejenigen, die immer weiter junge Männer zum Sterben in einen Krieg schickten, der nicht gewonnen werden konnte? Oder die, die gegen diesen Krieg protestierten? Muss man als Patriot zum Idioten werden?

Eine Reihe Intellektueller in den USA fordern notfalls auch den gewaltsamen Regierungswechsel im Irak. Wie stehen Sie dazu?

Ich vertusche hier nicht die brutale und korrupte Diktatur Saddam Husseins. In jedem Interview und in jedem meiner Artikel habe ich immer versucht, zwischen der Zivilbevölkerung und dem Regime zu unterscheiden. Ganz gewöhnliche Iraker, mit denen ich zusammengetroffen bin, standen dem Regime scheinbar kritisch gegenüber, einige sogar sehr. Aber niemand sagte, dass er eine Bombardierung des Landes begrüßen würde oder dass er bereit sei, zu sterben, oder zusehen möchte, wie seine Angehörigen sterben, um Saddam Hussein loszuwerden. Elitären Professoren aus Princeton oder Cambridge fällt es leicht, zu einem Krieg aufzurufen, in dem weder ihre Söhne kämpfen noch ihre ausländischen Freunde sterben werden.

Und von denen distanzieren Sie sich?

Einer der Gründe, warum ich nach Bagdad gefahren bin, war, in die Gesichter derjenigen zu blicken, die wahrscheinlich Opfer dieses Krieges werden. Während ich einerseits die Demagogie meiner Regierung und ihre Bereitschaft, internationales Recht zu brechen, beklage, würde ich andererseits Präsident Bush und Premierminister Blair gratulieren, wenn sie die Welt mit einem Minimum an Töten und Zerstören von Saddam befreiten und ein demokratisches Regime im Irak einführten.

Ich glaube jedoch nicht, dass das möglich ist. Die Vereinten Nationen haben die Zahl der Opfer bereits auf hunderttausende geschätzt, und die Zahl der Flüchtlinge wird in die Millionen gehen. Ein Angriff der Vereinigten Staaten könnte einen Bürgerkrieg im Irak auslösen sowie andere regionale Konflikte, in die die Türkei und der Iran verwickelt wären.

Ein Krieg birgt für Sie also unberechenbare Gefahren?

Es besteht sogar die vage Gefahr eines Atomkriegs. Albert Camus sprach einst von der Notwendigkeit, das „Prinzip der gerechtfertigten Schuld“ im politischen Geschehen anzuerkennen. Ich glaube, dass unser Engagement für einen solchen Krieg mit dem Irak uns die Schuld aufbürden würde, unangemessen hohe Kosten zu verursachen. Und, egal ob dies historisch richtig oder falsch ist, ich werde meine Ablehnung eines Krieges, der noch nicht einmal im Ansatz gerechtfertigt ist und der mit dem Leben von Millionen Menschen spielt, niemals bedauern.

Übersetzung von Tim Mücke