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Muss Europa deutsch werden? Antwort 6Echt keine Lösung

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Der deutsche Perfektionismus zerstört tonnenweise Lebensfreude.

Z ehn Jahre hat es gebraucht, bis er endlich kam!" Suzana zeigt lachend und mit kreisenden Augen auf die dicken Brillengläser ihres Sohnes, bevor sie ihm geduldig bei den Hausaufgaben hilft.

"Und - willst du noch mehr Kinder?"

"Klar, aber es passiert ja nix." Kein Schuldgefühl, keine Schuldzuweisung, stattdessen unaufgeregtes Einsehen in die eigene Ohnmacht. Wie ungewohnt, wie angenehm!

Ich sitze mit Suzana in einer der Reichensiedlungen 40 Kilometeraußerhalb von Kairo. In ihrer Gesichtslosigkeit ähnelt diese sehr den Neubaugebieten im Rhein-Main-Gebiet, dort, bei den Mülltonnen, die in kleinen Waschbetonhäuschen verborgen wurden, bin ich aufgewachsen.

Jetzt trinke ich auf Suzanas Terrasse Tee in der Wintersonne und fühle mich in New Cairo, so weit weg von Kindheitsorten, sofort heimisch.

Die Frage für 2012

Muss Europa deutsch werden? Diese Frage stellten wir anlässlich des Euro-Gerangels der vergangenen Monate acht handverlesenen Autoren der taz. Sie geben die Antwort auf die wichtigste Frage für das Jahr 2012. Guten Rutsch!

Doch in Deutschland, stelle ich mir vor, hätte eine Frau im gleichen Alter und mit ähnlicher sozialer Stellung, also Ende dreißig, gebildet, beruflich erfolgreich, den gleichen Satz unwillkürlich mit Stirnfalten und einem Seufzen unterlegt, hätte mir womöglich erzählt, welchen aufreibenden Gebrauch sie und ihr Mann von der modernen Reproduk-tionsmedizin gemacht haben.

Suzana aber lacht und nichts in ihrem Gesicht deutet auf Selbstzerknirschung hin. Es liegt nicht in ihrer Hand, sie gibt sich Mühe, aber wenn es nicht passiert, passiert es eben nicht, inschallah. Wofür sollte sie sich schämen? Dass sie die Norm nicht erfüllt, bereitet ihr vielleicht Probleme, aber sicher kein schlechtes Gewissen.

Nein, ich will nicht, dass jene zumal in Deutschlands Mittelschicht grassierende Manier, ich bin für alles verantwortlich, ich will Kontrolle und der Zufall ist mein Feind, Grenzen überwindet und auch noch Europa infiziert.

Diese stete Anmaßung und Überforderung, dieser elende Perfektionismus, er vernichtet schon hierzulande tonnenweise Lebensfreude, und zwar jeden Tag aufs Neue. Das ist echt keine Lösung.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

2 Kommentare

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  • A
    achwe

    Ich finde man muss einen Mittelweg finden zwischen Kontrolle, Regeln und einer Kompleten Freiheit. Man kann dies mit einem ganz einfachem Beispiel untermauern, in Deutschland ist es normal, dass das Trotwar voll ist mit Hundescheiße, es gibt zwar ein Gesetz das Hundebesitzer dazu zwingt den Kot zu entfernen, es wird aber nicht kontrolliert. Sprich man hat eine Freiheit, die Person kann sozusagen frei entscheiden, was sie macht. In der Schweiz ist das anders, dort wird das Gesetz hart kontrolliert und der Hundehalter außerdem bestraft, aber dort achten die Bürger auch darauf das Staatseigentum sauber gehalten wird und nicht im Dreck versinkt.

  • S
    suswe

    Was in Deutschland zu viel geregelt wird, regelt man woanders zuwenig. Man kann Dinge zu Tode ordnen, aber ganz ohne kommt man nicht klar.