Muslimische Fußballmannschaft: Kicken ohne Flüche
Als sich der SV Muslime in Hamburg gründete, bestanden Polizei und Dachverband auf einer Prüfung. Inzwischen hat der Verein drei Fairnesspreise gewonnen.
HAMBURG taz | Mahmut Sariz hat vor dem Hamburger SV Muslime schon bei anderen Fußballvereinen gespielt und stieß dabei mit seinem Glauben immer wieder an die Grenzen deutscher Kreisliga-Traditionen. „Es sind eigentlich drei Dinge, die mich immer wieder gestört haben – Bier und Zigaretten nach dem Spiel, das gemeinsame Nacktduschen und das Fluchen“, erklärt der kräftige Mann im grünen Trainingsanzug und blickt etwas nervös auf sein Klemmbrett.
Eigentlich hat er heute nur wenig Zeit für die Fragen von Journalisten. Er will seine Mannschaft vor der Kreisklassen-Saison auf 22 Spieler verkleinern und außerdem ist es das letzte Training vor dem Ramadan, der Fastenzeit der Moslems und eine der fünf Säulen des Islams.
Mehrere Wochen lang werden seine Spieler tagsüber weder essen noch trinken. Normales Kraft- und Konditionstraining muss in dieser Zeit ausfallen, stattdessen will er mit der Mannschaft an der Taktik arbeiten. Auch die beiden ersten Saisonspiele fallen in den Fastenmonat, an eine Unterbrechung des Fastens denkt trotzdem keiner.
„Ohne Frage lieben wir den Sport, aber der Glaube geht immer vor“, sagt Sebastian Hamza Hollatz, Fußball-Obmann beim SV Muslime und eigentlich Stammkraft. Eine schwere Knieverletzung zwingt ihn gerade zum Zuschauen. Nur von der Bank aus darf er beobachten, wie Trainer Sariz die Mannschaft mit Steigerungsläufen zur nötigen Fitness quält. Immer wieder traben die knapp 30 Spieler im strömenden Regen an der Trainerbank vorbei und sprinten auf Pfiff über den rot-schlammigen Hartplatz in der Nähe des Berliner Tors.
Äußerlich fallen auf den ersten Blick die knielangen Hosen der Mannschaft auf. „In der Überlieferung des Propheten Mohammed steht, dass der Mann vom Nabel bis über die Knie bedeckt sein soll“, erklärt Hollatz die längeren Hosen.
Der zweite Unterschied zum normalen Amateurfußball-Alltag ist nicht ganz so offensichtlich. Egal, ob ein Ball neben das Tor geht oder der Regen stärker wird: Auf dem Platz ertönen weder Beschwerden noch Flüche. „Für uns gehören Beleidigungen oder Fouls nicht auf den Fußballplatz. Emotionen sind völlig normal, aber man sollte respektvoll bleiben“, erklärt Sariz und gibt gleichzeitig zu, dass auch er manchmal schimpfend an der Seitenlinie steht. „Aber schon wenige Augenblicke später tut mir das dann leid, und ich merke, dass die Situation gar nicht die Aufregung wert war.“
Fairness neben und auf dem Platz ist ein sehr angenehmer Vorsatz, der gerade bei den Schiedsrichtern merklich gut ankommt. Ähnlich sportlich ist auch die Abstinenz in Sachen Alkohol und Tabak. „Ich finde, Zigaretten und Bier gehören nicht auf den Sportplatz und haben einen schlechten Einfluss auf die Jugendlichen. Immerhin schauen sie zu den erwachsenen Spielern auf“, glaubt Sariz und fügt hinzu. „Und ein ,Scheiße‘ klingt für einen Moslem eben doppelt schlimm, weil er sich selbst im Alltag sehr zurücknimmt.“
Sich zurücknehmen, das eigene Verhalten erklären und auf Unverständnis stoßen: Davon hatten die Brüder Nabil und Adel Chabrak und Abderachim Rosner im Jahr 2008 endlich genug. Auf der heimischen Couch beschlossen sie die Gründung des muslimischen Sportvereins „SV Muslime“. Ein Name, der gerade am Anfang durchaus auf Skepsis und Ablehnung stieß. Die Polizei bestand, obwohl knapp 70 Prozent der Gründungsmitglieder einen deutschen Pass haben, auf eine Mitgliederüberprüfung.
Auch beim Hamburger Fußball Verband (HFV) war man bei der Anmeldung der Mannschaft erstmal skeptisch, was seinen Grund sicher auch in der anhaltenden Berichterstattung über islamistischen Terrorismus hatte. „Wir haben die Anmeldung erstmal natürlich geprüft und schon genauer hingeschaut. Allerdings hat sich jeder Verdacht schnell als haltlos erwiesen“, erklärt HFV-Pressesprecher Carsten Byernetzki. „Im Verband hatte man sicherlich auch Angst vor einer weiteren ausländischen Mannschaft, die jedes Wochenende mit brutalen Fouls Spielabbrüche oder sogar Schlägereien provoziert“, vermutet Mahmut Sariz vom Verein heute.
Inzwischen ist die generelle Skepsis fast verflogen, und im Verband spricht man inzwischen sogar von einem „nur positiv aufgefallenen“ Projekt. Einen bedeutenden Beitrag dazu hat sicherlich der dreimalige Gewinn des Fairnesspreises geleistet. Auch sonst sind die „Korankicker“, wie der NDR sie einmal nannte, im normalen Liga-Alltag angekommen, mit allen Vorteilen und Schwierigkeiten. Sportlich ist die Mannschaft in der letzten Saison mit 18 Punkten aus der Kreisliga abgestiegen. Der Vorstand des Vereins tagt größtenteils in den Wohnungen oder am Arbeitsplatz der Mitglieder.
Auf dem Platz ist man Untermieter des Sporting Club Hamburg, eines portugiesischen Vereins. „Fast 70 Prozent unserer Spieler sind Studenten, darum fehlt uns das Geld für eigene Räumlichkeiten oder gar einen Kunstrasenplatz. Für finanzielle Unterstützung durch das Bezirksamt und für Winter-Hallenzeiten kämpfe ich gerade noch“, sagt Hollatz und zuckt lächelnd die Schultern. „Aber diese Probleme kennt jeder neue Verein.“
Anders ist das schon bei den Vorurteilen, wie der Obmann erklärt: „Naja, einige Leute werfen erstmal alle Muslime in einen Topf. Bestes Beispiel dafür ist der Bart. Im Islam ist er eigentlich Symbol des Glaubens und wurde bereits vom Propheten getragen.“ Trotzdem tragen viele Muslime keinen Bart, auch aus Angst vor Vorurteilen. Dabei spielen Politik und einzelne religiöse Strömungen beim SV Muslime bewusst keine Rolle.
Auch den Vorwurf, man betreibe eine Parallelgesellschaft, weist Hollatz von sich. „Wir würden uns über mehr nicht-moslemische Mitspieler freuen“, sagt er. Der Letzte habe den Verein schweren Herzens wegen seines Studiums in Peru verlassen. „Unsere Türen stehen jedem offen, egal ob Christ oder Atheist.“ Und während des Ramadans dürfte derjenige durchaus essen und trinken. Dafür müsse er dann im Training mehr laufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland