Musikmesse Atlantic Music Expo: Das Nervenzentrum der Kapverden
Vier Tage lang traf sich die internationale Musikszene im in Praia. Hunderte Zuschauer flanierten durch die Stadt und genossen Gratiskonzerte.
Eine sanfte Brise weht vom Atlantik über Praia. Wie von ihr getragen, wandert das Festivalpublikum durch die Straßen der Hauptstadt der Kapverden. Zwei Bühnen, die abwechselnd bespielt werden, stehen im Stadtzentrum: Eine befindet sich an der verkehrsberuhigten Rua Piedonal mit ihren bunten Häuserfassaden im Kolonialstil, die andere auf dem begrünten Platz Albuquerque zwei Blocks weiter.
Gerade hat der Guineer Djeli Moussa Condé seine Kora unter frenetischem Applaus auf der einen Bühne abgelegt, gleich wird auf der anderen der Lokalheld Puto Makina seine energetische Mischung aus Afrobeat und Kizomba zum Besten geben. Danach wird wieder gemeinsam flaniert, um dem brasilianischen Singer-Songwriter Naldinho Freire zu lauschen. Hunderte Zuschauer sind auf den Straßen Praias unterwegs, stets begrüßt von neuen Klängen.
Vier Tage lang wird Praia mit seinen 140.000 Einwohnern so zum Ort der Begegnung. Die Gratiskonzerte, bei denen lokale und internationale MusikerInnen von beiden Seiten des Atlantiks zu entdecken sind, finden im Rahmen der Atlantic Music Expo (AME) statt. Seit 2012 hat sich die Musikmesse, die neben den 30 Konzerten und DJ-Auftritten auch Konferenzen und einen professionellen Markt bietet, zu einem wichtigen Akteur der Branche entwickelt. Dieses Jahr sind 500 TeilnehmerInnen aus 35 Ländern angereist.
In Praia ist man sehr offen
Michaël Christophe, Ex-Leiter des Festivals „TransAmazoniennes“ in seiner französisch-guyanischen Heimat und nun Produzent des „Mondokarnaval“ in Québec ist gekommen und schwärmt: „Ich komme, um in Kanada etablierte Künstler international sichtbarer zu machen. Diese übersichtliche Musikmesse hier ist dafür bestens geeignet.“ In Praia scheint man tatsächlich sehr offen. Michaël Christophe erzählt wie er binnen kürzester Zeit ein Studio organisierte, damit der kanadische Gitarrist Shaun Ferguson und die kapverdische Sängerin Lucibela spontan zwei Songs einspielen konnten.
Auch zu Mittag auf dem Gemüsemarkt und bei den nachmittäglichen Konzerten im Patio des Palácio da Cultura plaudert man nebenbei entspannt. Etwa mit dem ugandischen Poet Kabubi Herman über den Umzug des multidisziplinären Festivals „Bayimba“ auf eine Insel mitten im Viktoriasee. Oder mit Limam Kane alias Monza, dem mauretanischen Rapper. Er hat des „Assalamalekoum Urban Culture Festival“ gegründet und in seiner Heimat ständig auf der Suche, nach Mitstreitern und neuen Kulturorten.
Und wenn die Übersetzerin mal ausfällt, springt niemand geringerer als José da Silva ein. Das Multitalent, einst Manager von Morna-Königin Cesária Évora, gründete 2008 das „Kriol Jazz Festival“ (KJF), das im direkten Anschluss an die AME auf den Kapverden und ebenfalls in Praia stattfindet. Zum zehnjährigen Jubiläum sei es ihm gelungen, endlich Seu Jorge einzuladen, erzählt er.
Als er dem brasilianischen Schauspieler und Samba-Star erstmals begegnete, spielte er noch im Vorprogramm von Évoras US-Tour. Stolz ist da Silva auch auf die extra für das Festival zusammengestellte Kriol Band – ein Crossover-Projekt von Jazz-, Salsa- oder Zouk-MusikerInnen aus den kreolischen Inseln Kapverden, Haiti, Guadeloupe, Kuba aber auch aus dem Senegal.
Etwas später begegnet man José da Silva auf der Konferenz zum Thema „Digitale Distribution in Afrika“ wieder. Dieses Mal in seiner Rolle als Präsident von Sony Music Ivory Coast in Africa. Auf dem Podium sitzen neben ihm zudem Binetou Sylla vom Label Syllart. Er widmet sich seit 1978 der Entdeckung von Popmusik aus Afrika und Südamerika. Des weiteren Thibault Mullings vom digitalen Vertriebspartner IDOL für Indie-Labels, dessen neues Büro in Johannesburg er leitet. Und Djo Moupondo, der seine auf den afrikanischen Markt spezialisierte Streaming-Plattform Muska präsentiert.
Geld ist oft sehr zweitrangig
Sie geben Einblicke in den täglichen Musikkonsum afrikanischer HörerInnen. Oder machen sich Gedanken über neue Bezahl- und Abokonzepte, die zu den eher prekären Verhältnissen ihrer Kunden passen. Oder sie sinnieren öffentlich über die Gier vieler Künstler*innen nach Sichtbarkeit nach, denen die eigene monetäre Entlohnung selber oft nur zweitrangig ist.
Mit Ausnahme von Südafrika haben sich Spotify, Apple Music oder iTunes noch nicht auf dem Kontinent etabliert. Und so lässt die digitale Revolution bislang etliche kleinere digitale Plattformen von Nigeria über den Kongo bis nach Senegal erblühen. Das Fehlen der Global Player hat allerdings auch Nachteile: Zugänge zu ihrem Katalog erhält nur, wer es über den Umweg YouTube oder gleich der Piraterie versucht, stellt Sylla bedauernd fest.
Zudem: Während Lokalakteure die Pionierarbeit leisten und Netzwerke aufbauen, besteht die Gefahr, dass die großen Plattformen später die Früchte der harten Arbeit absahnen werden, mahnt Moderator Francis Gay vom Kölner Funkhaus Europa (WDR). Wenn man bedenkt, wie hyperdynamisch die Musikszene auf den Kapverden und dem Kontinent sind, könnten diese Früchte äußerst saftig ausfallen.
Nachhaltige Beziehung mit Europa und Amerika
Aber bis dahin gibt es sicher noch ein wenig Zeit, um Erfahrungen zu sammeln, sich auszutauschen und nachhaltige Beziehungen mit Europa und Amerika zu schmieden – nicht zuletzt über die transkontinentale afrikanische Diaspora. Vor allem den positiven und selbstbewussten Austausch mit neuen Märkten hat sich die Musikmesse AME auf die Fahne geschrieben. Und dafür könnte es mit Praia, einem ehemaligen Hauptumschlagplatz des Sklavenhandels, 650 Kilometer vor der Küste Senegals, kaum einen symbolträchtigeren Ort geben.
Dabei war die Messe dieses Jahr gefährdet. Fünf Monate vor dem Start zog sich das kapverdische Kulturministerium von der Finanzierung zurück. Egal mit wem man über diese heikle Angelegenheit spricht, man erntet nur verständnisloses Kopfschütteln. Die Manöver des Ministeriums seien absurd und unverantwortlich gewesen. Musik sei das Nervenzentrum der Kapverden, die Inseln verfügten ansonsten über wenig außergewöhnlichen Reichtum. Ja, noch nicht mal ausreichend Trinkwasser sei vorhanden.
AME-Leiter Augusto Veiga verließ sich nicht weiter auf das Ministerium. Er gründete eine Assoziation mit Produzenten von der Inselgruppe, um zu retten, was zu retten war. Schließlich schaltete sich auch das Ministerium für Tourismus und Verkehr vermittelnd ein. Und am Ende betonte Premierminister Ulisses Correia e Silvabei bei der Eröffnung jetzt die Bedeutung des Festivals. Nur der für das Chaos verantwortliche Kulturminister schwieg. Bei allen Konzerten blieb symbolisch für ihn stets ein Ehrenplatz in der ersten Reihe reserviert. Immerhin ist er dann noch zum Abschlusskonzert des Kriol Jazz Festival erschienen.
Spirit und Ausstrahlung sind ungebrochen
Obwohl der Musikmesse AME nur die Hälfte des letztjährigen Budgets zur Verfügung stand, schienen Spirit und offene Ausstrahlung ungebrochen. „Unser Festival soll auch weiterhin keinen Eintritt kosten“, betont Koordinatorin Élodie da Silva. „Wichtig ist nicht allein, ob die Musiker von den Professionellen und der Industrie goutiert werden. Vor allem wollen und sollen sie hier unmittelbar miterleben, wie ihre Musik beim Publikum ankommt.“
Der Mix von Jupiter & Okwess aus Punk-Attitude sowie urkongolesischen Rhythmen jedenfalls versetzte das Publikum in Ekstase bis zur Schockstarre. Oder Ilam, eine Art Keziah Jones des Senegals: Er begeisterte mit einem Blues, dessen Klangwurzeln in der Fulbekultur seiner Familie liegen.
Eine der größten Entdeckungen waren dieses Jahr die hypnotischen Melodien und Soundcollagen des kapverdisch-brasilianischen Duos Sarabudja. Getragen von Helio Ramalhos Gitarre und der sandigweichen Stimme von Ricardo Mingardis luden ihre Kompositionen aus elektronischen und traditionellen Perkussions, wie der brasilianischen Berimbau oder dem kapverdischen Ferrinho, zur Zeitreise in die Geschichte dieser Musiken ein.
Afrofuturismus
Der kanadisch-tschadische Künstler Caleb Rimtobaye alias Afrotronix rief gleich dazu auf, „zu den Ursprüngen zurückzukehren, um sich in die Zukunft projizieren zu können“. Ein bewusst widersprüchliches Programm. Im afrofuturistischen Sinne fusioniert er tribale Rhythmen mit Touareg Blues und Elektrobeats – und setzt sich zum Auftritt die avantgardistische Version eines rituellen Strohhelms der Sara-Ethnie auf, von der seine Mutter abstamme.
Als Afrotronix später auf der Bühne über den Unterschied zwischen Toten sowie Lebenden laut nachdenkt und die Lebenden in Bewegung bleiben, da ahnt man, dass er damit nicht nur sein Publikum zum Tanzen animieren will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!