Musiker Knyphausen über das Kettenkarussell der Angst: "In mir eine Leere"
Der Wahlhamburger Gisbert zu Knyphausen tourt derzeit mit seinem zweiten Album "Hurra, Hurra! So Nicht." durch den Norden. Von den Kritikern wird er gefeiert, in den deutschen Charts steht sein Album auf Platz 12. Im taz-Gespräch redet er über das Kettenkarussell der Angst und über Alternativen zum Beruf des Musikers.
taz: Herr Knyphausen, im ersten Song "Hey" Ihrer neuen Patte "Hurra! Hurra! So Nicht." singen Sie: "Ich lauf durch die Straßen dieser Stadt und zähle die Löcher im Asphalt". Wie viele Löcher haben Hamburgs Straßen denn?
Gisbert zu Knyphausen: Im vergangenen Winter waren es in Eimsbüttel 2.143. Das ist aber nur ein Schätzwert. Ich verzähle mich oft, weil ich mich schlecht konzentrieren kann.
Vergessen Sie deshalb immer Ihre Texte auf der Bühne?
Das passiert mir nur bei bestimmten Liedern, auf die ich keine Lust mehr habe. Manchmal gucke ich auch zu viel im Publikum rum und verliere dann den Faden. Bei dem Cowboy-Song "Wer kann sich schon entscheiden" verspiele ich mich irgendwie jedes Mal.
Was sehen Sie, wenn Sie ins Publikum schauen?
Ziemlich viele nette Leute, ist mir mal aufgefallen. Und sehr gemischt. Es sind etwas mehr Frauen als Männer. Ich bin ganz froh, dass ich kein Teenie-Publikum habe.
In dem oben angesprochenen Lied geht es weiter mit "Hey, hey alles ist okay!" Ihre Stücke behaupten insgesamt das Gegenteil…
… gar nichts ist okay?
heißt eigentlich Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen. Seine Familie führt heute ein Weingut im Rheingau. Das Debütalbum "Gisbert zu Knyphausen" erschien 2008, sein zweites Album "Hurra! Hurra! So nicht." kam dieses Jahr heraus und steht in den deutschen Albumcharts auf Platz 12.
Genau.
Ich war selbst erstaunt, dass die neue Platte noch melancholischer und ernster geworden ist. Viele meiner Texte sind eine Ansprache an mich selbst: Hey, es ist alles okay, so wie immer!
Sie singen über ein Kettenkarussell der Angst, aus dem Sie nicht aussteigen können. Nach einem guten Gefühl klingt das nicht.
Nee. In mir gibt es eine Leere, aus der ich mich immer wieder fischen muss. Diese Gefühle habe ich auch schon auf meinem ersten Album durchgespielt, auch wenn ich sie gar nicht so groß werden lassen möchte. Ich laufe aber keineswegs immer unglücklich durch die Gegend. Meine Lieder spiegeln nur die Momente wider, in denen es mir so geht. Das vergangene Jahr verlief eigentlich ganz gut. Trotzdem bleibt oft eine Sehnsucht nach etwas Anderem zurück. Das klingt alles sehr vage, ich weiß. Wenn ich wüsste, woher meine Gespenster kommen, könnte ich sie effektiver bekämpfen.
Sie haben auf der Platte auch den Tod einer nahestehenden Person verarbeitet.
Davon handelt das zweite Lied "Seltsames Licht". Dieser Verlust hat in mir viele Gedanken darüber angestoßen, wie ich mein eigenes Leben führe. Ich agiere sehr vorsichtig und ängstlich und wünsche mir manchmal mehr Mut zum Risiko.
Ist es nicht ein bisschen selbstverliebt, Selbstmitleid in das Zentrum seines Schaffens zu stellen?
Darüber denke ich auch nach. Ich würde auch gerne über was anderes singen, aber dafür hab ich ja noch Zeit.
Sie haben im vergangenen Jahr den Hamburger Musikpreis "Hans" gewonnen, Ihnen wird eine rasante Karriere attestiert. Sehen Sie das auch so?
Blitzmäßig finde ich meine Karriere nicht. Ich tauche ja nicht in sämtlichen Klatschmagazinen auf. Es ging aber alles ziemlich schnell. Die zwölf Lieder auf "Gisbert zu Knyphausen" haben vielen Leuten gefallen. Ich stand manchmal nur da und dachte: Was ist denn jetzt los?
Treffen Sie mit Sätzen wie "Fick dich ins Knie, Melancholie" vielleicht einfach den Zeitgeist?
Eigentlich nicht, oder? Melancholie war schon immer da.
Sie haben auf dem neuen Album Ihre Band in den Vordergrund gerückt. Warum?
Ich habe mich nie als klassischen Singer / Songwriter gesehen. Deshalb hatte ich mich ja auch auf dem ersten Album schon für eine Band entschieden. Ich hatte keine Lust, nur Gitarre und Gesang auf eine Platte zu pressen. Das ist mir zu langweilig.
Ist die neue Platte vielleicht ein Versuch, den Publikumserwartungen gerecht zu werden?
Es ging nie um Massentauglichkeit. Der Erwartungsdruck ist eher entstanden, weil mir bewusst wurde, dass mir auf einmal mehrere tausend Leute zuhören. Meine ersten Lieder sind ja eher in der Versenkung entstanden. Ich wusste nicht, ob ich sie überhaupt jemandem zeige. Ich freue mich natürlich über den Erfolg, auch wenn mir das alles immer noch suspekt ist. Ich frage mich, ob es grundsätzlich Sinn macht, Musik zu seinem Beruf zu machen.
Wie sehen Ihre Alternativen aus?
Ich könnte einen anderen Job machen und nur noch als Musiker arbeiten, wenn ich Lust dazu habe. Nicht aus dem Antrieb heraus: Okay, jetzt muss ich gucken, wo ich Geld herkriege, also mach ich eine neue Platte, damit ich Konzerte spielen kann. Das ist eine Falle, in die man als Musiker schnell tapsen kann.
An welchen Job hatten Sie gedacht?
Gärtner fände ich toll. Vielleicht mache ich mein Musiktherapiestudium fertig. Oder ich werde doch Winzer.
Ihre Familie hat ein Weingut im Rheingau. Warum sind Sie nicht gleich Winzer geworden?
Das hat mich nie so interessiert und es hat auch nie jemand von mir erwartet. Ich bin der jüngste von drei Brüdern. Natürlich steht im Raum, dass jemand aus der Familie das Weingut weiterführt. Aber ich glaube, meine Eltern haben schon begriffen, dass ich nicht derjenige sein werde - wahrscheinlich schneller als ich.
Wie gehen Sie grundsätzlich mit Ihrem adligen Familienhintergrund um? Für einen Musiker ist das doch eher untypisch.
Wieso? Ich habe auch in einer Garage geprobt, nur auf einem schönen Weingut. Früher habe ich versucht, mich von gewissen gesellschaftlichen Normen stärker abzugrenzen. Heute freue ich mich einfach, meine Familie zu treffen.
Stimmt es, dass Sie Einladungen zu Adelsbällen aus Prinzip ablehnen?
Ich werde gar nicht mehr eingeladen, weil ich nie hingegangen bin. Dabei würde mich das heute mal interessieren. Wir bekommen auch immer eine Zeitung nach Hause geschickt, das Adelsblatt.
Was schreibt das Adelsblatt so über Sie?
Gar nichts. Da stehen geschichtliche Artikel drin. Oder Todes- und Hochzeitsanzeigen.
Wie bleibt denn von dem Musiker Gisbert zu Knyphausen noch übrig, wenn Sie die Bühne verlassen?
Dann kommt mein Humor und mein Optimismus raus. Der ist viel präsenter, wenn ich nicht gerade Lieder singe, in denen alles schlecht ist.
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