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Archiv-Artikel

„Musik ist oft die einzige Perspektive“

An Knast-Rap fasziniert das Authentische, sagt Labelchef Markus Staiger. Die Wirklichkeit sei tragischer als die Songs

taz: Herr Staiger, was fasziniert an Knast-Rap?

Markus Staiger: Generell sind in der Unterhaltungsindustrie Gangster oder Kriminelle als Figuren von jeher interessant. Es gibt den Schurken in der Literatur oder den Gangster im Film. Bei Knast- oder Gangsta-Rap fasziniert hingegen vor allem das Authentische. Schließlich erwartet man, dass die Künstler über das reale Leben sprechen.

Wieso gibt es den Boom dieser Musik derzeit ausgerechnet in Berlin?

Das mag vielleicht damit zu tun haben, dass Berlin hinsichtlich seiner Sozialstruktur ärmer ist als andere Städte.

Welche Probleme sehen Sie beim Trend Knast-Rap?

Das Leben der Jugendlichen, die in die Kriminalität hineinrutschen, ist ziemlich tragisch und bei weitem nicht so romantisch und cool, wie es später in den Texten beschrieben wird. Sie sind von herkömmlichen Gelderwerbstätigkeiten nahezu ausgeschlossen. Eine Musikkarriere – und noch dazu in einem Bereich, in dem man sich mit einer kriminellen Vergangenheit durchaus profilieren kann – ist für sie oft die einzige Perspektive. Das kann schnell zu einem Teufelskreis führen.

Nun setzen Firmen wie Ypsilon Records die kriminelle Vergangenheit ihrer Künstler aber auch gezielt zur Vermarktung der Musik ein.

Ich will das nicht verurteilen. Im Showgeschäft muss man mit den Storys arbeiten, die einem zur Verfügung stehen. Und die Medien wollen letztlich auch Geschichten erzählen. Da sind Geschichten von Gewalt und Gesetzlosigkeit natürlich interessanter und außergewöhnlicher als eine Reihenhausbiografie aus irgendeinem Vorort. Aber ich denke, dass spätestens in einem halben Jahr, wenn der hundertste Rapper seine Musik über seine Knastvergangenheit zu vermarkten versucht, das Thema an Brisanz verlieren wird.

Auch Sie arbeiten mit inhaftierten Künstlern zusammen. Wie funktioniert das in der Praxis?

Derzeit arbeite ich mit einem Künstler zusammen. Seine bisherigen Veröffentlichungen erfolgten zu einem Zeitpunkt, als er noch nicht verurteilt war. Grundsätzlich gestaltet sich die Zusammenarbeit mit ihm schwierig, weil man auf Freigänge angewiesen ist. Wie sich das weiterentwickelt, wird sich erst zeigen.

Welche Perspektiven prognostizieren Sie dem Genre Knast-Rap?

Es gibt natürlich viele Musikproduktionen, die ausschließlich über die Vermarktung eines bestimmten Images laufen. Aber Knast und HipHop kann nicht das große Ding der Zukunft sein, denn unterm Strich entscheidet immer noch die Qualität der Musik über den Verkaufserfolg. Jemand, der letztlich nur im Knast sitzt, aber nur mittelmäßig rappen kann, wird bestenfalls einen gewissen Hype erleben. Außerdem gibt es auch in der Musik Zyklen. Deshalb denke ich, dass es schon bald eine Besinnung auf andere Werte und Themen geben wird.