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Musik für die 90er Jahre

■ Interview mit dem Harfenspieler und Sänger Alan Stivell, der in den vergangenen 25 Jahren 17 Platten mit bretonischer und keltischer Musik sowie mit World und New Age Music veröffentlicht hat und die ...

taz: Was wollen Sie mit Ihrer Musik erreichen, verbinden Sie damit eine politische Botschaft?

Alan Stivell: Ich habe eine globale Sicht der Dinge. Ich habe nie einer Partei angehört und auch keine Ideologie vertreten. Ich bin sehr basisbezogen. Ich finde, daß wir die eigentliche Basis der menschlichen Beziehungen viel zu oft vergessen. Von meiner Kindheit an habe ich Politik als menschliche Beziehungen verstanden. Man kann sie entweder als Beziehungen betrachten, die auf gegenseitigem Respekt und auf Gleichheit basieren oder aber von Ungleichheit ausgehen. Meine Idealvorstellung ist es, auf einen egalitären Umgang miteinander hinzuarbeiten. Das ist für mich „linke“ Politik, die natürlich nicht unbedingt an linke Parteien gebunden ist. Wir müssen die Parteien ständig in Frage stellen. Das ist mir wichtig, auch wenn manche Leute meinen Ansatz als naiv bezeichnen mögen.

Wie vermitteln Sie das durch Ihre Musik?

Für meine Musik gilt das gleiche: Menschen zu respektieren verlangt auch, kulturelle Vielfalt zu respektieren. Ich will zum Ursprung der Dinge zurückfinden. Wenn das Publikum ins Konzert kommt, obwohl ich überwiegend auf bretonisch und in anderen keltischen Sprachen singe, dann zeigt das, daß sie die Sprachen von Minderheiten respektieren. Das erscheint mir wichtiger als eine politische Rede. Ich singe zwar meistens bretonisch und mache sehr viel Instrumentalmusik, aber daneben singe ich auch in anderen keltischen Sprachen sowie in Englisch und Französisch – denn zunächst einmal bin ich ein Weltbürger. Ich kann aber nicht Weltbürger sein und zugleich die Bretagne als Teil meiner Identität ablehnen.

Abgesehen von der Politik – welche Entwicklung hat Ihre Musik in den vergangenen 25 Jahren durchgemacht?

Da habe ich so etwas wie einen intellektuellen Ansatz: Zunächst habe ich meine Wurzeln gesucht, um daraus dann etwas anderes zu entwickeln, um sie zu meiner ganz persönlichen Musik zu verwandeln – und zugleich zu einer Musik für das ausgehende 20. Jahrhundert. Damit will ich eine Entwicklung verändern, die uns vom französischen Staat aufgezwungen wurde. Der verfolgte das politische Ziel, jegliche nichtfranzösische Kultur im Innern des Hexagons auszumerzen. Eine Gruppe von Musikern, zu der ich auch gehöre, will dieser Politik entgegenwirken und den „natürlichen“ Entwicklungsverlauf der Musik wiederfinden: Wir wollen die traditionelle Musik unter Berücksichtigung der Technologien und des städtischen Lebens weiterentwickeln.

Sie treten für das Recht auf Individualität ein, die Regionen liegen Ihnen am Herzen. Fordern Sie stärkere politische Autonomie?

Ich bin für ein föderales Europa mit drei politischen Ebenen: der regionalen, der nationalen und der europäischen. Im Gegensatz zu Deutschland muß Frankreich noch viel tun, um da hinzukommen, denn viele Leute in unserem Land haben Angst, daß Frankreich durch eine Regionalisierung auseinanderbrechen könnte. Meiner Ansicht nach sollten die Regionen und Europa auf längere Sicht größere Machtbefugnisse erhalten – auf Kosten der Nationalstaaten.

Kennen Sie andere Musiker, die Ihr Anliegen teilen? Auf Ihrem letzten Album, „Again“, singen Kate Bush und Shane McGowan. Heißt das, sie vertreten ähnliche Ideen?

Die anglo-amerikanischen Musiker sind meist viel spontaner, ihnen geht es um das tägliche Leben und die Musik selbst, es läuft mehr über Gefühle. Sie drücken ihre Gedanken intuitiver aus als ich. Weil ich zuallererst Musiker bin, kann ich es mir erlauben, in Australien oder Neu-Mexiko auf bretonisch zu singen.

Können sich auch junge Leute für Ihre Musik begeistern, oder ziehen Sie überwiegend Leute Ihrer Generation an?

In den vergangenen zehn Jahren bin ich in der ganzen Welt aufgetreten, in Australien, in den USA, England, Spanien, Italien und natürlich in Frankreich. In den 80er Jahren kam vor allem ein gleichaltriges Publikum, das meinen Werdegang von Anfang an – also seit 1968 – verfolgt hat. Doch seit Jahresbeginn hat sich das völlig geändert: Jetzt strömt eine ganz neue Generation in die Säle, die 18jährigen stellen inzwischen sogar die Mehrheit. Woran das liegt? Die 90er Jahre lehnen wohl ein wenig die 80er Jahre ab, jetzt sind die 70er Jahre wieder „in“. Was aus den Siebzigern stammt, hat für die Jugend jetzt eine neue Frische. Das zeigt sich ja auch in der Kleidung. Auch wenn da anfangs eine Modeerscheinung dabei war, so empfinde ich das jetzt als ein sehr tiefes und spontanes Bedürfnis. Ich habe den Eindruck, daß ich heute besser verstanden werde als früher. Meine Beziehung zum Publikum ist tiefer als vor 20 Jahren. Interview: Bettina Kaps, Paris

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