Multiresistente Keime: Keine Zeit für Hygiene
Die Gewerkschaft Ver.di erhebt Vorwürfe gegen das Uniklinikum Schleswig-Holstein. Grund für die Verbreitung des Bakteriums sei die Arbeitsbelastung der Beschäftigten.
KIEL taz| Seit Montag unterstützen Fachleute aus Frankfurt am Main das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel beim Kampf gegen den multiresistenten Keim, der mehrere Patienten auf der Intensivstation befallen hat. Die Station ist für Neuaufnahmen geschlossen, bei inzwischen 27 Kranken wurde das Bakterium festgestellt. Schwere Vorwürfe erhebt die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di: Grund für den Keimbefall sei die Arbeitsbelastung der Beschäftigten. Der Klinikleitung sei das bekannt gewesen.
„Wenn Keime übertragen werden, sind die hygienischen Vorschriften nicht eingehalten worden“, sagt Steffen Kühhirt, Landesfachbereichsleiter Gesundheit von Ver.di Nord. „Die Gründe sind bekannt: Personalmangel ist Zeitmangel, und der führt zu Verstößen.“ Immer wieder hätte sich das Personal über eine „dramatische Arbeitsverdichtung“ beschwert, zuletzt bei einer Personalversammlung vor wenigen Wochen. Gerade Beschäftigte der betroffenen Intensivstation hätten ihre Probleme vorgetragen. „Es wurde von Gefährdungsanzeigen berichtet, die nicht sachgemäß bearbeitet wurden“, sagt Kühhirt. „Leider wurden alle Hinweise ignoriert und das Vorgehen dem Sparkurs am UKSH untergeordnet.“
Eine direkte Stellungnahme des UKSH und des Gesundheitsministeriums gab es dazu am gestrigen Montag bis Redaktionsschluss nicht – eine Pressekonferenz zur Lage am UKSH fand am frühen Abend statt. Aber Klinikchef Jens Scholz hatte sich bereits vor einigen Tagen grundsätzlich zu den Vorwürfen von Ver.di geäußert, nachdem die Gewerkschaft die Lage der Putzkräfte beklagt hatte. Deren Zahl sei nicht gesunken und solle weiter aufgestockt werden, sagte Scholz laut Kliniksprecher. Er habe kein Verständnis, dass Ver.di die jetzige Lage „zur Mitgliederwerbung“ nutze.
Generell ist das Problem multiresistenter Keime lange bekannt. Krankenhäuser, auch das UKSH, haben dafür „Netzwerke“ gegründet und sich auf Richtlinien verständigt. Hauptproblem ist aber, dass Keime immer wieder in die Kliniken eingeschleppt werden. Schuld ist unter anderem die Landwirtschaft: Weil Vieh viel zu oft und zu viele Antibiotika bekommt, bilden sich die resistenten Keime, die auch die Landwirte befallen. Krankheiten brechen dabei nicht aus – erst bei Schwachen und Kranken entfalten sich die fatalen Folgen. Um das zu verhindern, müsste jeder neue Patient auf das Virus getestet werden, fordern Fachleute. Gesetzlich vorgesehen ist das aber nicht.
Im Klinikum Bremen-Mitte starben im November 2011 drei Frühchen durch resistente Keime.
Nach den Todesfällen in Bremen wurden weitere Frühchen-Stationen untersucht. In Hamburg wurden infizierte Babys entdeckt - und es wurde bekannt, dass im Altonaer Kinderkrankenhaus bereits 2010 zwei Frühchen gestorben waren.
Das Bremer Klinikum hatte den Darmkeim Klebsiella pneumoniae gefunden und das "Ausbruchsmanagement" zu spät gestartet.
Es folgten strafrechtliche Untersuchungen und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.
Auf der neu eröffneten Station kam es 2012 zu erneuten Infektionen. Daraufhin wurde die Geburtsstation geschlossen.
Ob der Erreger Acinetobacter baumannii in Kiel den Tod von Menschen verursacht hat, steht nicht fest: Bei elf Patienten, die im Klinikum gestorben waren, sei das Bakterium als Todesursache ausgeschlossen, hieß es. Bei zwei Kranken, 87 und 70 Jahre alt, konnte die Todesursache nicht eindeutig geklärt werden.
Inzwischen nimmt auch die politische Debatte Fahrt auf. Die Opposition interessiert, seit wann Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) von der Lage wusste und was sie unternahm. Heiner Garg (FDP) nannte es ein „Unding“, dass das Ministerium erst Tage nach dem ersten Verdacht auf den Keimbefall informiert wurde. Die Regierungsfraktionen stellen sich vor die Ministerin: Angesichts der Lage seien die „haltlosen Anschuldigungen ein Grund zum Fremdschämen“, sagte Lars Harms (SSW). Fast ein Monat verging zwischen der ersten Meldung an das Gesundheitsamt und der öffentlichen Meldung. Laut Ministerium und Klinik war das ein normales Vorgehen, da das Krankenhaus erst prüfen musste, um welchen Erreger es sich handelte.
Moderate Töne kamen von Schleswig-Holsteins Patienten-Ombudsmann, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU). Zwar habe er sich „gewundert, wie spät die Öffentlichkeit informiert worden ist“, er sei sich aber auch sicher gewesen, dass die Spezialisten die Situation im Universitätsklinikum schnell in den Griff bekommen würden.
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