Münchens gescheiterte Olympia-Bewerbung: Winterspiele-Werber wickeln sich ab
Nach der gescheiterten Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2018 scheint ein zweiter Anlauf nicht infrage zu kommen. Die Bewerbergesellschaft macht dicht.
MÜNCHEN taz | Im Raum H 3.17 ist es still. Gespenstisch still. Nicht ein Ton dringt herein. Kein Wunder: Die Büros ringsum sind leer. Nicht weit vom Fenster hängt der Nebel wie Blei über dem Zeltdach des Olympiastadions. So muss sie aussehen, die Herbstdepression. Der Hausherr ist nebenan und kocht Kaffee für die Besucher. Sein Namensschild an der Tür hat sich vor ein paar Wochen geändert. Jetzt steht da: Jürgen Bühl, Liquidator.
Für das triste Wetter kann Bühl natürlich nichts, und als er mit dem Kaffee wieder da ist, kann auch von Depression keine Rede sein. Vom Geschäftsführer ist Jürgen Bühl zum Liquidator der Bewerbungsgesellschaft München 2018 geworden. Er sagt: "In den letzten zwei, drei Jahren habe ich viele Dinge zum ersten Mal gemacht." Eine Gesellschaft abwickeln etwa.
Im letzten verbliebenen Regal steht der Ordner, der den Anfang vom Ende dokumentiert. "Die Entscheidung 6.7." steht darauf. An diesem Tag bekam ein südkoreanisches Retortendorf den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele. Nicht München.
Bühl erinnert sich: "Die ersten drei Wochen danach waren schon schwierig. Die meisten hatten ihr ganzes Leben darauf abgestellt. Da gab es wenig Freizeit, Familie, Freunde. Sondern nur 2018. Und wenn danach täglich ein Kollege sagt: ,Das ist heute mein letzter Tag' - das war nicht leicht."
Bühl hat in den letzten Wochen viele Umzugskisten gesehen. "Zum Monatsende geht noch eine Kollegin, dann sind wir bis zum Schluss zu dritt: ich, der Finanzdirektor und ein Controller." Der Schluss: Er wird formal erst in einem Jahr erreicht sein.
Bis zu achtzig Mitarbeiter
Bühl erklärt: "Das Ende der Bewerbungsgesellschaft, also die Löschung im Handelsregister, wird voraussichtlich am 31. Oktober 2012 sein. Wenn eine Gesellschaft sich auflöst, sieht das Gesetz ein sogenanntes Sperrjahr vor, in dem potenzielle Gläubiger Ansprüche erheben können. Dieses Sperrjahr hat am 15. September 2011 begonnen. Wir gehen aber davon aus, dass wir Ende des Jahres die Gesellschaft so weit abgewickelt haben, dass im nächsten Jahr nicht mehr viel passiert. Wir werden sicherheitshalber ein Büro behalten, den Server runterfahren und unser Archiv dem städtischen Archiv übergeben. Dann wird es hier schon sehr ruhig werden."
Siebzig bis achtzig Arbeitsplätze hatten die Olympia-Werber hier in der Hochzeit, 32 feste Mitarbeiter in der Schlussphase, dazu Dienstleister, Planungsleute, Öffentlichkeitsarbeiter plus Praktikanten. Viele von ihnen seien schnell in neuen Jobs untergekommen, meint Bühl, Bernhard Schwank sei zurück zum DOSB auf seine alte Position als Leistungssportdirektor. Er selbst ist bei der Stadt beurlaubt und kann dahin zurückkehren.
Theoretisch könnte er in einem halben Jahr wieder in diesem Büro sitzen - falls sich München erneut bewirbt, für die Spiele 2022. Ob er noch mal dabei wäre? "Grundsätzlich: ja. Man lernt sehr viel in kurzer Zeit. Die Grundlagen sind weitgehend erarbeitet, konzeptionell würde viel stehen. Man müsste halt über eine Botschaft nachdenken."
Die IOC-Entscheidung fällt 2015, anmelden müsste München seine Kandidatur bis September 2013. "Spätestens Mitte 2012 müsste man in der Vorbereitung sein", sagt Bühl, "unsere Gesellschafter wollen im ersten Quartal 2012 entscheiden, was sie tun."
Bis dahin: abwägen, wie es international aussieht: Wer sind die Sommerspielkandidaten für 2020? Wer bewirbt sich um den Winter 2022? Bühl sagt: "Bislang hat nur die Schweiz ein bisschen den Kopf rausgestreckt. Denver will unbedingt - kein unbedeutender Markt, vor allem im TV-Bereich. Doch das US-NOK ist zurückhaltend. Ich persönlich gehe davon aus, dass es eher in Richtung 2026 geht."
Kaffeemaschinen werden online versteigert
Doch nun muss er erst mal den Liquidator geben. "Ich erledige halt, was zu erledigen ist", sagt er. Bis Donnerstag wird Mobiliar und technisches Equipment der Bewerbungsgesellschaft online versteigert: Kaffeemaschinen, Dienstfahrräder, Aktenvernichter, Plotter, Flipcharts, Leitz-Ordner, insgesamt 500 Einzelposten.
Anfang Dezember wird es noch eine kleinere Versteigerung geben. Bühls Schreibtisch ist ebenfalls in der Auktion. "Letzte Woche war die erste, die ein bisschen komisch war", erzählt Bühl, "da war ein Kollege in Urlaub und ich war drei Tage ganz allein. Das ist schon komisch, wenn man so gar keine Ansprache mehr hat."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge