Münchens Niederlage in Wolfsburg: Bayern mit der Hacke gedemütigt
Das 5:1 gegen Titelverteidiger FC Bayern München ist der größte Tag in der Bundesligageschichte des neuen Tabellenführers VfL Wolfsburg. Die Frage ist nun: Für wie lange?
Wo hat man zuvor schon mal so ein Tor gegen den FC Bayern München gesehen, wie es Grafite mit der Hacke erzielte? Eins ist sicher: In Wolfsburg nicht. Daher und angesichts des Endergebnisses von 5:1 lautet die Frage seither: Ist der neue Tabellenführer VfL Wolfsburg auf dem Weg zur deutschen Meisterschaft? Die Frage stellen wir zunächst zurück zugunsten einer anderen: Ist der FC Bayern etwa nicht auf dem Weg zur Titelverteidigung?
Platt gesagt: Wenn er so spielt, wie in der VW-Arena, dann auf keinen Fall. Gentner (44.), Dzeko (63., 66.), Grafite (74., 77.) trafen für die Wölfe, Toni (45.) machte den zwischenzeitlichen Ausgleich. Wenn man den Bayern-Mythos mal beiseite ließe, dann müßte man sogar sagen, den Bayern ging es nicht anders als zuvor schon anderen Klubs: Ein Team, das irgendwann nicht mehr mithalten kann, wird vom VfL Wolfsburg abgefertigt. Aber noch ist Bayern München etwas Besonderes und daher hat VfL-Trainer Felix Magath schon recht, wenn er sagt, es sei ein "ungewöhnlicher Tag" gewesen, "für uns - und den FC Bayern." So hoch verlor Bayern zuletzt 2002.
Im Duell zwischen punkt- und torgleichem Herausforderer und Titelverteidiger war der VfL eine Hälfte das schwächere Team gewesen und hatte nach glücklicher Führung durch Gentners Kopfball (begünstigt durch Stellungsfehler von Toni), auch noch mit dem Pausenpfiff den postwendenden Ausgleich durch Toni kassiert. In der zweiten Hälfte begann der VfL Zweikämpfe zu gewinnen und das Spiel in den Griff zu bekommen. In der letzten halben Stunde kam die bekannte Laufstärke und Physis voll zum Tragen: Das Team war nicht mehr zu halten. Jedenfalls nicht von den Bayern, bei denen die Verletzung von Innenverteidiger Lucio wohl tatsächlich der "Schlüsselmoment" war, den auch Trainer Jürgen Klinsmann ausmachte. Demichelis und van Buyten fehlten sowieso, als dann auch noch der bis dahin beste Münchner humpelte (Adduktorenprobleme), funktionierte die Bayern-Defensive nicht mehr. Die mangelnde Spielpraxis des jungen Innenverteidigers Breno wurde in der Folge bei mehreren Treffern entblößt.
Wer aufgrund der Doppeltorschützen Dzeko und Grafite sowie der drei Assists von Spielmacher Misimovic nun das nächste Loblied auf das sogenannte "magische Dreieck" des VfL ausruft, liegt nicht ganz falsch. Grafite ist Toremacher Nummer 1 der Liga (20 Treffer), Misimovic der beste Vorbereiter (17 Assists), und beide überstrahlt Dzeko, der jetzt 15 Saisontore hat und erneut herausragend spielte.
Dennoch ist das Trio-Geschwätz ein gedanklicher Anachronismus aus Zeiten der Fixierung auf Heldenfußball. Denn es heißt, Christian Gentner außen vor zu lassen, den kommenden Nationalspieler, der das vorentscheidende 2:1 initiierte, zudem ein Tor und einen echten Assist verbuchte. Nicht zu vergessen den brasilianischen Kapitän Josue, der das Spiel gewann, weil er sich im zentralen Mittelfeld gegen van Bommel und Ze Roberto durchsetzte.
Sicher aber wird das 5:1 von Grafite im kollektiven Gedächtnis bleiben als Moment des ultimativen Triumphs der einen und der ultimativen Demütigung der anderen. Er zog an Ottl vorbei, an Lell, umkurvte Keeper Rensing und hielt plötzlich inne, weil ihm den Ball "zwischen den Füßen hängenblieb", wie er hinterher erklärte. Was tun? "Dann mußte ich es halt mit der Hacke machen."
Bayern-Manager Uli Hoeneß blickte danach so angestrengt in den Himmel, als erwarte er die Rückkehr jenes Balles, den er 1976 in Elfmeterschießen des EM-Finales in die Wolken geschossen hatte.
Von den Bayern sprach in Wolfsburg keiner - außer dem Trainer. Hoeneß und der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge waren nach Spielende umgehend in die Kabine geeilt. Was sie dort wollten? "Nächste Frage", sagte Jürgen Klinsmann, und das nicht einmal barsch. Keine Frage: Die Trainerdebatte ist erneut eröffnet. Klinsmann hatte das Gesicht zu einer gar nicht unfreundlichen Maske verwandelt und betrieb angesichts der Lage ein okayes Krisenmanagement. Ließ weder unsachlichen Ärger raus über die groben Fehler der Bayern-Profis in Rückwärtsbewegung und Zweikampfverhalten, noch ließ er sich pieksen von Magaths fein gesetzten verbalen Nadelstichen gegen seinen vormaligen Arbeitgeber. Selbst die von vielen Beobachtern als grobe Unsportlichkeit verstandene Einwechslung des Wolfsburger Ersatztorhüters sei "schon in Ordnung vom Felix" gewesen.
Am Mittwoch steht für die Bayern das nächste Spiel der Spiele an, das Champions League-Viertelfinale beim FC Barcelona. Der Erfolg in der Superliga ist bisher Klinsmann großer Trumpf gewesen gegen alle Kritik. Jene will er in bewährter Manier "niederprasseln lassen", die Rekonvaleszenten einbauen, die anderen aufbauen. Barca sei "schwer, aber machbar". Dafür spricht derzeit wenig und braucht es vor allem auch Franck Ribery, von dessen individuellen Momenten Klinsmanns FCB derzeit stark abhängig ist. Ribery war in Wolfsburg genausowenig im Spiel wie Schweinsteiger. Ganz zu schweigen von Podolski.
Was nun den VfL Wolfsburg und die Meisterschaft betrifft, so zieht Magath seine Kommunikationsstrategie durch und versichert, sein Hauptinteresse an diesem Spieltag habe dem Ergebnis des VfB Stuttgart gegolten, einem Team, dass sich um Platz 5 bemüht, "weil der 5. Platz unser Ziel bleibt." Grafite sagt, man wolle den Platz verteidigen, den man nun einnehme, aber soll er sagen, man wolle ihn nicht verteidigen? Es ist verdammt eng an der Spitze der Bundesliga und man sollte nicht vergessen, dass es nicht nur um den Titel, sondern vor allem auch um die Champions League-Plätze geht.
Aber einen Superlativ muss man schon bemühen dürfen: Dieses 5:1 gegen Bayern und die Übernahme der Tabellenführung ist bis auf weiteres der größte Tag in der zwölfjährigen Bundesligageschichte des VfL Wolfsburg. Die Frage ist nun: Für wie lange?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich