Müllwirtschaft in Deutschland: Im Rohstoffrausch
Verbrennen war gestern. Um den deutschen Müll wird heftig gestritten, Privatfirmen wittern das große Geld. Eine Branche auf dem Weg zur Rohstoffwirtschaft.
Fest verschnürt landet ein Sack Haushaltsmüll in der Abfalltonne. Hier stinkt er dann mehrere Tage mit anderen vor sich hin, bis die volle Tonne von der Müllabfuhr abgeholt wird. Vor allem wenn im Sommer die Sonne erbarmungslos auf die schwarzen Tonnen brennt und ein süßlich, stechender Geruch an unseren urbanen Ballast erinnert, sind wir dafür sehr dankbar. Dankbar, für eine schnelle und endgültige Abwicklung dieses schmutzigen Geschäfts.
Und das Geschäft läuft gut. Denn „je industrialisierter eine Gesellschaft ist, desto mehr Müll produziert sie auch“, meint Wolfgang Steckel, Leiter des Müllheizkraftwerkes Darmstadt. Inzwischen ist Deutschland so modern und so industrialisiert, dass es 37 Millionen Tonnen Siedlungsmüll jährlich produziert. Das sind etwa 448 Kilogramm pro Kopf.
37 Millionen Tonnen, um die momentan heftig gestritten wird. Noch sind diese Siedlungsabfälle bzw. ihre Beseitigung Sache der Kommunen. Das heißt, sie landen meist unbehandelt in den städtischen Müllverbrennungsanlagen. „Reine Verschwendung!“, sagt der Bundesverband der deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE).
Der BDE ist ein Wirtschaftsverband, der sich ehrgeizige Ziele gesetzt hat: die Abfall- und Entsorgungswirtschaft maßgeblich zu verändern. „Die Branche vollzieht momentan einen großen Wandel. Früher war ihr einziger Zweck, normale Lebensbedingungen zu schaffen und das Krankheitsrisiko zu verringern. Heute versteht sich die Branche als Rohstoffwirtschaft“, sagt Karsten Hintzmann, Pressesprecher des BDE
Durch effektiveres, gezielteres Recycling, soll Müll zukünftig so fein getrennt werden, dass daraus schließlich neue Rohstoffe entstehen. Diese könnten dann der Wertstoffkette wieder zugeführt und erneut verwertet werden.
Doch während diese Zukunftsmusik durch Deutschland hallt, kracht es in Darmstadt gewaltig. Kraftvoll schlägt der Müllkran seine vier Krallen in den Dreckberg unter ihm. Dann per Knopfdruck der Befehl aus dem Führerhaus: aufwärts. In den Krallen drei Tonnen Restmüll. Noch einmal drückt der Kranführer ein Knöpfchen. Der Kran öffnet seine Arme. Und eine Lawine aus Plastik, Pappe, Biopampe und Resten eines orangen Teppichbodens bahnt sich ihren Weg hinab in den Verbrennungsofen des Darmstädter Müllheizkraftwerkes.
Müllheizkraftwerke wie das in Darmstadt gibt es in Deutschland viele und überall läuft das Geschäft gleich: Genug Müll verbrennen und dabei genug Energie gewinnen, um die Anlage zu betreiben. In der Darmstädter Anlage, die von Größe und Anlieferungsmenge etwa einem Durchschnittswert entspricht, werden pro Tag etwa 1.200 Tonnen Müll verbrannt. Damit kann laut Kraftwerkleiter Wolfgang Steckel ein Plus von 35 Millionen kWh Strom erzeugt werden. Aber Müll, das ist eben alles was in den Sammelgruben deutscher Müllheizkraftwerke landet: Papier, Plastik, ausgediente Turnschuhe und einarmige Teddybären.
Noch in den frühen 60ern wurde jeglicher Müll einfach auf Deponien abgeladen. Auch heute werden in Deutschland noch etwa 1.645 Anlagen dieser Art betrieben. Der BDE geht davon aus, dass dort etwa 40 Millionen Tonnen Altmetalle lagern. Es wäre denkbar, diese als Rohstoff-Minen der Zukunft systematisch abzubauen. Wird sich also das Prinzip aus Müll mach Neu durchsetzten? „Wenn Deutschland auch in Zukunft ein stabiles Industrieland sein will, muss es mehr auf die Rohstoffwirtschaft setzen“, sagt Karsten Hintzmann vom BDE. Auch Wolfgang Steckel vom Darmstädter Müllheizkraftwerk leugnet nicht, dass moderne Recyclinganlagen mit intelligenten Sortiermaschinen sinnvoll sind. Doch gibt er zu bedenken, dass Anlagen wie seine sich erst ab einer gewissen Menge Müll rechnen. Wird also zu viel recycelt und zu wenig verbrannt, ist es schwer ein solches Unternehmen in den schwarzen Zahlen zu halten.
Benjamin Bongardt, Referent für Umweltpolitik beim Naturschutzbund Deutschland, ist sich ebenfalls sicher, dass über kurz oder lang auf kommunaler Ebene die alten Müllverbrennungsanlagen geschlossen werden müssen. Schließlich werde noch längst nicht alles recycelt, was recycelt werden könnte. Und Recyceln lohnt sich. Denn Recyceln bedeutet Geld. Deshalb ist „ein gewisses Geschäftsinteresse von privaten Entsorgungsunternehmen“ auch nach Bongardt nicht von der Hand zu weisen. Und diese Privaten sind zum größten Teil im BDE organisiert.
Entwickelt sich die Branche also wie bisher, dann konkurrieren die privaten Entsorgungsunternehmen um die Macht auf dem Müllmarkt. Alleine. Auf kommunaler Ebene wird in diesem Bereich immer noch wenig unternommen.
Da fast alle neuen Recyclinganlagen Privatunternehmen sind, hätte der Staat keinerlei Einfluss mehr darauf, was mit den neu entstandenen Rohstoffen passiert. Noch werden diese erst nach Fernost exportiert bevor sie weiterverarbeitet werden. Auf dem deutschen Mark fehle für diese Art von Rohstoffen noch die Akzeptanz, so Bongardt.
Um staatlich Müllverbrennungsanlagen auf ein vergleichbares Niveau aufzurüsten, wären Subventionen nötig. Bongardt fürchtet aber, dass dann wiederum die Entsorgungskosten erhöht werden müssten. Deshalb muss seiner Meinung nach „die Politik klare Regeln festsetzen. Es ist zu klären, wer für die Beseitigung des Mülls verantwortlich ist, was damit geschieht und wie er getrennt werden soll.“
Aber noch brennt der Verbrennungsofen im Darmstädter Müllheizkraftwerk. Bei 1.200 °C zerstören die tief orangenen Flammen im Kessel alles. Auch die kostbaren Rohstoffe. Übrig bleibt nur noch eine zähe, schwarze Masse. Und aus dem Schlot tritt leise ein süßer, beißender Gestank aus. Der widerliche Gestank von Dekadenz – zumindest für manche private Entsorgungsunternehmen.
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