■ Cash & Crash: Müllers Bücher
Berlin (taz) – Ein Nobelpreis erhöht das Selbstbewußtsein enorm. Von ganz oben kanzelt so der Chicagoer Finanzprofessor Merton Miller den Deutsche-Bank-Vorstand Ronaldo Schmitz ab: Der Aufsichtsrat der Metallgesellschaft verstünde nichts von Öltermingeschäften. Er habe ja nicht mal den Unterschied zwischen Roulettespielen und Absicherungsstrategien durch Derivate verstanden, schulmeistert er in der Wirtschaftspresse.
Außer dem Nobelpreisträger scheint sich jedoch niemand so recht auf das Geschäft mit Derivaten – jenen Wetten auf künftige Kurs- und Preisentwicklungen – zu verstehen. Vergangene Woche noch hätte man die Spekulationspleite der kalifornischen Gemeinde Orange County mit beamtenfeindlichen Vorurteilen abtun können: Kämmerer Robert Citron war halt zu blöd fürs komplizierte Geschäft. So verlor die Gemeinde 1,5 Milliarden Dollar.
Inzwischen steht Citrons Rehabilitierung kurz bevor. Denn er hat nichts anderes getan, als die meisten Börsenprofis auch: auf fallende Zinsen spekuliert. In Deutschland verloren so die fünf deutschen Großbanken mehrstellige Millionenbeträge, weil sie sich ganz sicher waren, daß die Zinsen fallen würden. Doch es kam umgekehrt. Ausgelöst von der US-Notenbank, die plötzlich pingeliger als die deutschen Bundesbänker unter jedem Stein Inflationsgefahren lauern sieht, begannen die Zinsen weltweit zu steigen – und die deutschen Bankengewinne deutlich zu fallen. Im Eigenhandel – jenem Posten, in den alle auf eigene Rechnung getätigten Börsengeschäfte eingehen – verbuchten die Großbanken Millionenverluste: 301 Millionen waren es bei der Dresdner, 63 Millionen bei der Bayrischen Hypo. Die Deutsche Bank fuhr immerhin noch 543 Millionen ein, nur sind auch das zwei Drittel weniger als im Jahr zuvor.
Auch Robert Citron hat Gesellschaft bekommen. Nach dem Orange-County-Debakel berichteten in Texas, Florida, Kentucky, Maine, Maryland, Illinois, Wyoming und West-Virginia Gemeindekämmerer, daß sie ebenfalls mit derivativen Finanzgeschäften hohe Verluste erwirtschaftet hätten. Vermutlich haben sie alle Millers Bücher gelesen, in denen der Nobelpreisträger derartige Spekulationen als Absicherungsstrategie empfiehlt. Vielleicht hätten sie es besser mit Roulette versucht; auch dabei kann man gewinnen. Donata Riedel
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