Mügelner Bürgermeister: FDP schweigt zu Verharmlosungen
Nach der Hetzjagd auf Inder beklagt der Mügelner Bürgermeister im Rechtsblatt "Junge Freiheit" das "Herbeifantasieren" rechtsextremer Taten. Seine Partei bleibt still.
Auf Journalisten ist Bürgermeister Gotthard Deuse seit dem Mügelner Altstadtfest nicht mehr gut zu sprechen. Der sächsische FDP-Politiker vermutet, er und sein beschauliches Städtchen seien als knallige Füllmasse ins Sommerloch gedrückt worden. Das findet er unfair und hat nun die Chance ergriffen, ausführlich seine Sicht der Dinge zu dem Übergriff auf acht Inder in Mügeln darzulegen - in einem Interview mit der Rechtspostille Junge Freiheit (JF). Das Ergebnis der Unterhaltung steht in der heute erscheinenden Ausgabe der Wochenzeitung und war gestern bereits im Internet zu lesen.
Der FDP-Mann stellt darin klar: Für ihn ist der Fall Mügeln vor allem ein Medien-GAU. "Was Sebnitz ausmachte, war die Vorverurteilung einer Stadt durch Medien und Politik: Urteilen, ohne die Fakten zu kennen!", räsonniert Deuse. "Diese Definition passt auch auf Mügeln, insofern sehe ich Mügeln in der Tat als neues Sebnitz. Es enttäuscht mich, dass die Medien aus Sebnitz und auch aus dem Fall Potsdam vom April 2006 offenbar nichts gelernt haben. Damit schaden unsere Medien Deutschland erheblich: Denn entgegen der Wahrheit klagen wir uns selbst vor aller Welt als Hort des Rechtsextremismus an." Er dürfe als Bürgermeister nicht mal unbefangen seinen Nationalstolz bekennen, beklagt Deuse: "Wenn ich das sage, lande ich ja schon wieder in der Ecke." Schuld an dieser betrüblichen Lage seien "auch all diejenigen, die hier ständig neue angeblich rechtsextreme Zwischenfälle herbeifantasieren und in alle Welt hinausposaunen." Er sehe inzwischen eine "tiefe Kluft" zwischen "Medien und Volk".
Was die FDP-Spitze in Berlin davon hält? Unbekannt. Generalsekretär Dirk Niebel ließ ausrichten, zwischen Bundes- und Landesverband liefen noch Gespräche. Niebel selbst bekundete laut einem Agenturbericht, er distanziere sich von den Äußerungen. Deuse sei für seine Aussagen selbst verantwortlich.
Auch die FDP in Sachsen reagierte mit Schweigen. Ein Sprecher der Landtagsfraktion sagte der taz, die Fraktion wolle das Interview nicht kommentieren. Sachsens FDP-Partei- und Fraktionschef Holger Zastrow ließ sich entschuldigen. Er sei auf einer FDP-Motorradtour unterwegs, hieß es. Zastrow, der zum FDP-Bundesvorstand gehört, hat mit der JF selbst schon einige Erfahrungen gesammelt: Laut der Eigenwerbung der Zeitung im Internet zählt Zastrow nicht nur zu den Interviewpartnern des Blattes, sondern hat sich auch mehrfach als JF-Autor betätigt.
Die Fraktionschefin der sächsischen Grünen, Antje Hermenau, warf Deuse gestern vor, seine Stadt mit dem Interview noch weiter in Verruf zu bringen. Die Linksfraktion rief die FDP auf, endlich Konsequenzen zu ziehen: "Mit diesem Interview ist Deuse als Bürgermeister untragbar geworden", sagte die PDS-Frau Kerstin Köditz. "Deuse macht sich zum Stichwortgeber der NPD." Seine Äußerungen seien eines Demokraten unwürdig.
Der Potsdamer Politikwissenschaftler Gideon Botsch sieht das Problem allerdings nicht nur bei der FDP: "Defizite in der inhaltlichen Auseinandersetzung der Basis mit dem Rechtsextremismus lassen sich in allen demokratischen Parteien beobachten." Die FDP habe der Problematik bisher aber noch weniger Aufmerksamkeit gewidmet, als andere Parteien, urteilt der Politologe. Dies sei verwunderlich - schließlich sehe sich die FDP als "Hüterin des Liberalismus".
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