"Movimentos-Festwochen" in Wolfsburg: Volkswagen macht den Berlusconi
Die von der VW-Kommunikationsplattform "Autostadt" gesponsorten "Movimentos Festwochen" in Wolfsburg bieten ein anspruchsvolles Programm - und zeigen den Konzern im hellen Licht des Mäzenatentums.
WOLFSBURG taz | Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der Auftakt der "Movimentos Festwochen" in Wolfsburg ein Riesenerfolg. Das Festival präsentiert am Dienstag nach Ostern nämlich die "Movimentos Akademie", und die ist ein Lieblingskind von Festivalchefin Maria Schneider, der "Kreativdirektorin der Autostadt GmbH".
Ausgewählte Kinder und Jugendliche aus Wolfsburg und Umgebung haben sechs Monate gemeinsam gearbeitet, um einen Tanzabend auf die Beine zu stellen. Die erste Endprobe - mit Kostümen - war beeindruckend: Die Jungen und Mädchen auf der Bühne (zwischen acht und 19 Jahren) haben sich bestens vorbereitet, die Musik ist selbst komponiert und gespielt, das Bühnenbild selbst entworfen und gebaut, die Kostüme und Masken sind eine Augenweide, selbst entworfen. Freilich haben beim Nähen und Schminken Profis geholfen - auch die Klassenleiter sind teilweise namhafte Künstler.
Das Programm der Festwochen kann sich insgesamt sehen lassen: Lesungen und Theater mit Schauspielern, deren Namen weithin klingen, und Tanz von Weltformat. Dennoch bekommt die Movimentos Akademie den prestigeträchtigen Auftakt-Termin.
"Es mag ungewöhnlich sein, das Festival nicht mit der Vorstellung einer großen Company zu eröffnen, aber wir sind der Überzeugung, dass die Movimentos Akademie diese Aufmerksamkeit verdient und braucht", sagt Festivalleiterin Schneider. Es sei "fantastisch, was die Kinder und Jugendlichen in nur sechs Monaten auf die Beine stellen".
Die Initiative für das Festival ging nicht von der Stadt oder vom Land aus - auch wenn Braunschweigs Staatstheater und Wolfsburgs Bühne mit im Boot sind, Veranstalter ist die "Autostadt", ihres Zeichens die "Kommunikationsplattform" von Volkswagen.
Dazu gehören zum Beispiel ein herrlicher Park rund ums Werk, ein starkes Automuseum, ein Programm, dass das Abholen eines neuen Volkswagens zu einem Erlebnis machen soll (um die Kunden zu binden) - vor allem aber die Movimentos Festwochen.
"Kommunikationsplattform" klingt besser als Reklame. Und ist auch tatsächlich mehr. Es geht um Akzeptanz. Nicht nur das Produkt soll vermarktet werden, die Firma soll als Wohltäter in Erscheinung treten. Ein Mädchen, das sechs Monate einen praxisgestützten Einblick in Bühnentanz bekommen hat, betreut von Profis, und einen Abend mit nicht enden wollendem Applaus erlebt, eine kleine oder junge Tänzerin, die sich (zu erwartende) Jubelkritiken ausgeschnitten und in ihr Tagebuch geklebt hat, dürfte an VW ihr Leben lang gebunden sein.
Wer denkt da an VW-Manager wie Peter Hartz, an Versuche von Arbeitgebern, Arbeitnehmervertreter zu korrumpieren? Wer denkt da an superreiche Besitzer gegenüber Hartz-IV-Empfängern, die nicht ganz so viel Aktienkapital besitzen wie Herr Piëch? Nein, VW verwandelt sich in dieser Sichtweise in ein Unternehmen, das sich seiner sozialen Verantwortung wohl bewusst ist.
Die Produktion wird nicht nur in Wolfsburg gezeigt, sondern auch im benachbarten Braunschweig. Im Staatstheater. Dass sich die Bühne einbinden lässt, erscheint als Akt der Resignation. Denn es wäre doch die Aufgabe öffentlicher Körperschaften oder des Theaters, eine solche Initiative zu starten, wie es die Movimentos Festwochen getan haben. Der Beweis ist erbracht: Es gibt ein Bedürfnis, mehr als die hundert an der Produktion Beteiligten haben sich beworben - es gibt viel, viel Talent.
Volkswagen hat gerade ein Rekordergebnis eingefahren. Das Land Niedersachsen knapst am Hungertuch. Wieso geht es der Fabrik gut und dem Land schlecht? Der skandalöse Widerspruch von öffentlicher Armut und privatem Reichtum dauert seit dem Beginn der Republik an - warum hat die Politik ihn nicht längst aufgelöst?
Darüber ist in der Autostadt wenig zu erfahren - die Kommunikationsplattform kommuniziert eine heile Welt, erinnert in ihrer manikürten Makellosigkeit mitunter an das Konzept von Disney-Parks.
Obwohl es falsch wäre, dem Movimentos-Programm zu unterstellen, es sei unkritisch: Kreativdirektorin Schneider - pompöse Titel gehören zum Imponiergehabe der Autostadt - komponiert mit Kennerschaft und Geschmack ihr Programm, vor allem im Tanz- und Theaterteil gibt es scharfe Gesellschaftskritik.
Doch im Rahmen der Autostadt-Festwochen werden eben dieser Kritik die Zähne gezogen, sie wird durch den Ort der Aufführung und den Mäzen in ihr Gegenteil verkehrt und dient der Legitimation von Volkswagen: Wenn ein Protagonist einer ungerechten Wirtschaftsordnung diese Ungerechtigkeit selbst anprangert, so kann sie so ungerecht nicht sein.
Die Aneignung der Kritik höhlt sie von innen aus, doch dieser Prozess wird von der glänzenden Fassade erfolgreich verborgen: "Movimentos" soll international klingen, es bedeutet "Bewegung". Neben der Bewegung, die der Volkswagen verspricht, gewinnt in Alpträumen eine andere Bewegung Umriss: der arme Staat kann sich immer weniger Kultur leisten und stuft sie zur "freiwilligen Leistung" herab, vor allem in den ausblutenden Städten. während die Konzerne immer größere Räume der öffentlichen Kultur und Kritik usurpieren.
Die Berlusconisierung der Republik schreitet voran: Das Bild des profitorientierten Unternehmens wird ausgelöscht, das des Förderers und uneigennützigen Mäzens strahlt immer heller. Wolfsburg leuchtet. Den Schein stiftet die Autostadt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!