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Moskau begrüßt Pershing–Verzicht

■ Strauß wirft Kohl Entscheidung ohne Abstimmung vor / Sondersitzung des CSU–Parteivorstandes / Keine Regierungserklärung bei der Sondersitzung am Mittwoch / US–Präsident Reagan begrüßt Kohl–Erklärung

München (dpa/taz) - Bundeskanzler Kohl hat nicht die Absicht, in der von der SPD beantragten Sondersitzung des Bundestages über die Pershing–1A–Raketen eine Regierungserklärung abzugeben. Seine am Mittwoch erklärte Bereitschaft zum Verzicht auf die Modernisierung der Raketen löste unterdessen in Ost und West positive Reaktionen hervor. Der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums Gerassimow erklärte am Donnerstag vor Journalisten, daß Kohls Bereitschaft zum Verzicht auf die Trägerraketen in Moskau „mit großem Interesse aufgenommen“ worden sei.Die Situation habe sich damit „in ei nem positiven Sinne“ geändert, meinte der Sprecher, der gleichzeitig unterstrich, daß die von Kohl dafür genannten Bedingungen noch im einzelnen vom Kreml geprüft werden. Die Sowjetunion erwarte jedoch noch eine klare Antwort der USA, ob sie auch die Atomsprengköpfe für die deutschen Pershings „eleminieren“ würde. Diese seien es, die Moskau interessierten, und nicht die „schrottreifen Raketen“. Wie „eine kalte Dusche“ habe jedoch die Rede US–Präsident Reagans vom Mittwoch abend auf die Moskauer Führung gewirkt, betonte Gerassimow. Der amerikanische Präsident ging auch auf Kohl ein. Nachdem das von den Sowjets künstlich aufgerichtete Hindernis der Pershing–1A–Raketen beseitigt ist, sei er hoffnungsvoll, „daß die Sowjetunion demonstrieren wird, daß hinter ihrer in der letzten Zeit so oft wiederholten Rhetorik Substanz steckt“. Während Kohls Verzichtserklärung die Weltmächte beschäftigte und der Kanzler sich für einen Tag - künstlich hin, künstlich her - im Spiegelbild der Medien schon fast als Dritter am Genfer Verhandlungstisch fühlen durfte, weiß die innenpolitische Opposition jetzt nicht mehr so recht, was sie mit der von der SPD einberufenen Sondersitzung zu den deutschen Pershings anfangen soll. Die CSU fühlt sich von Bundeskanzler Helmut Kohl in der Auseinandersetzung um die 72 Pershing–1A–Raketen der Bundeswehr übergangen. CSU–Chef Franz Josef Strauß, der sich derzeit noch in Bulgarien aufhält, warf Kohl am Donnerstag in einer Erklärung der CSU–Landesleitung vor, der Kanzler habe ohne Abstimmung mit der CSU gehandelt. Für kommenden Montag hat der CSU–Chef den Parteivorstand zu einer außerordentlichen Sitzung nach München einberufen. Sie soll die von SPD und Grünen verlangte Sondersitzung des Bundestags am kommenden Mittwoch zur Abrüstung vorbereiten.

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