"Morgenland"-Festival Osnabrück: Am liebsten zwischen den Stühlen
Das "Morgenland"-Festival holt neben Musikern aus Nahost auch Angehörige der uigurischen Minderheit nach Osnabrück. Ein politisches Festival mache man dennoch nicht, sagt Leiter Michael Dreyer.
Was er versucht, ist ein Ding der Unmöglichkeit: Ausgerechnet ein unpolitischer Festivalmacher möchte Michael Dreyer sein, der 2005 das "Morgenland"-Festival in Osnabrück erfand: Als Erster überhaupt holte er 2006 das Teheraner Sinfonieorchester nach Deutschland und trifft immer wieder auf mal mehr, mal weniger gegängelte Kollegen aus Damaskus oder auch Baku. Und das alles doch nur der Musik wegen, wie er sagt.
Leicht hat er es mit dieser Haltung nicht immer gehabt: Henryk M. Broder etwa hat ihn 2007 im Spiegel attackiert, weil Dreyer im Gegenzug das Osnabrücker Sinfonieorchester nicht nur nach Teheran brachte, sondern die Musikerinnen dort auch noch mit Kopftüchern spielen ließ. Die hätten sie abnehmen sollen, fand Broder - aus Protest gegen die herrschenden Mullahs. "Dann wäre das Konzert in Windeseile abgesagt worden", konterte prompt ein iranischer Blogger und merkte an, dass das Orchester erstens gegen den Widerstand des Regimes eingereist sei und es zweitens auch eine iranische Zivilgesellschaft gebe.
"Eben", sagt Dreyer, "und von der redet niemand." Genau das wolle er mit seinem Festival ändern: "Wir wissen nichts über die Zivilgesellschaft dieser Region, die immerhin drei Weltreligionen hervorbrachte und fast immer aufs Politische reduziert wird." Damit andererseits Musiker aus dem Nahen Osten nach Deutschland - und wieder zurück - reisen können, vermeidet er Situationen, die ihnen Probleme bereiten könnten. "Ich will ja nicht, dass die nach ihrer Rückkehr zu Hause Ärger bekommen."
Das Turkvolk der Uiguren umfasst weltweit rund zehn Millionen, von denen neun in China leben. Die meisten sind Muslime, die dem sunnitischen Glauben angehören.
Die uigurische Autonome Region Xinjiang im Nordwesten Chinas, die ein Sechstel des chinesischen Staatsgebiets umfasst, ist reich an Erdöl und Erdgas. Seit die Chinesen das Gebiet 1955 besetzten, kämpfen die Uiguren um ihre Unabhängigkeit.
China fürchtet - besonders seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion - separatistische Bestrebungen und hat mit der Ansiedlung von Chinesen begonnen. Daher ist der Anteil der Uiguren inzwischen von 90 auf 45 Prozent der Bevölkerung gesunken.
Die letzten Uiguren-Aufstände gab es im Sommer 2009; sie wurden von China blutig niedergeschlagen. Über 1.000 Menschen wurden festgenommen, acht Uiguren sowie ein Han-Chinese hingerichtet.
Und so sucht der gelernte Konzertgitarrist die Gäste nicht zu politischen Äußerungen zu verleiten, sondern konzentriert sich ganz auf die Musik, die sie mitbringen. Und die ist über hierzulande gepflegte Orient-Klischees längst hinweg: Iranischen Hip-Hop hat er bereits im "Morgenland"-Programm gehabt, Jazz aus Syrien oder auch Rock aus Aserbaidschan. Auch Klassik, natürlich, und nicht nur staatstragende: Das Teheraner Sinfonieorchester ließ er damals neben Beethoven auch Musik von Frank Zappa spielen. "Damit konnten die Mullahs bestimmt keine Propaganda machen", sagt Dreyer lakonisch.
Agitieren will auch er nicht: Weder für ein politisches System noch für eine Religion. Und auch wenn die meisten Menschen in Nahost Muslime seien, gehe es ihm weder um den Islam noch um die Musik des Islam. "Sondern um die Musik einer Region. Basta."
Nichtsdestotrotz hat er in diesem Jahr eine Region zum Schwerpunkt erkoren, die politisch hoch brisant ist: die Uiguren, jene muslimische Minderheit in Nordwest-China, die seit den Unruhen vom Juli 2009 massiv von den Mächtigen in Peking drangsaliert werden. Eine Ausstellung, eine Rockband aus Urumqi sowie uigurische Tänzer werden nun in Osnabrück präsentiert, und Dreyer ist stolz darauf.
Lässt es sich da wirklich unpolitisch bleiben? "Ja", findet Dreyer. Sein Interesse an den Uiguren, erzählt er, sei aus der Begegnung mit einer uigurischer Musikwissenschaftlerin am Rande eines Festivals entstanden. "Reiner Zufall. Ich habe doch nicht gezielt nach einem politischen Hotspot gesucht!" Das läge ihm fern und wäre noch dazu wenig realistisch, findet er: Schon jetzt sei es schwer genug, Ausreisegenehmigungen für manche der auftretenden Musiker zu bekommen.
Die übrigens, sagt Dreyer, "wollen einfach spielen" - einen Mix aus alten Wüstengesängen der Seidenstraße und Rock zum Beispiel. Eine Synthese, die so gut funktioniert, dass die Band Qetiq - in Osnabrück am 21. August zu hören - sie allabendlich zuerst in einem feinen Lokal spielt, danach in einer Kneipe in Urumqi: Dort kam es zu Jahresanfang mehrfach zu schweren Ausschreitungen zwischen Angehörigen der uigurischen Minderheit und Han-Chinesen.
An einem vergleichsweise historischen Spagat versucht sich ein "Qasida" überschriebener Abend am kommenden Mittwoch: Arabische und persische Musik werden mit Flamenco gemischt - Teil einer insgesamt fünftägigen Musikerbegegnung sowie einer Recherche in die arabische Vergangenheit der iberischen Halbinsel.
Das Festival, sagt Dreyer, sei "zum Labor geworden": Die traditionellen arabischen Mugam, die in speziellen Tonarten und Rhythmen gesungen werden, zum Beispiel. Der aserbaidschanische Sänger Alim Qasimov wird sie singen, archaisch und fern wird das klingen. Ein bisschen folkloristisch, ein bisschen sentimental, vielleicht. Ein Weltmusikfestival sei das "Morgenland" deshalb aber nicht, sagt Dreyer und verweist auf Jazz aus Syrien. Und die jungen Musiker aus Damaskus, Nazareth und Baku, die - am 19. August - spielten, was ihnen in den Sinn komme.
Überhaupt: Mit Festlegungen hat Michael Dreyer es nicht. Merkwürdig trotzig sitzt er zwischen allen Stühlen, treibt ein Spiel mit den Erwartungen. Natürlich, räumt er ein, spiele der Titel "Morgenland" mit romantisierenden Orient-Klischees - "aber inhaltlich ist das Festival ja genau das Gegenteil".
15. bis 22. 8., Osnabrück. Programm: www.osnabrueck.de/morgenland
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