: Morgen Karlsruhe?
■ Thomas Bernhards „Die Berühmten“ und seine deutsche Erstvernichtung
Die Theatergeschichte habe längst entschieden, wer wen brauche: Die Festspiele den Bernhard oder der Bernhard die Festspiele, schrieb der Dichter 1976 an den Präsidenten der Salzburger Festspiele. Armes Salzburg! Es folgten fünf bernhardlose Jahre, in denen die Stücke des österreichischen Nestbeschmutzers von Claus Peymann im Stuttgarter Asyl uraufgeführt wurden. Der war es dann auch, der mit Am Ziel endlich wieder einen Bernhard nach Salzburg brachte. Die Verkühlung war überstanden, die Festspiele brauchten Bernhard, Bernhard niemanden mehr - außer Peymann, naturgemäß. Der Anlaß für den Salzburger Schnupfen, dem noch einige gesamtösterreichische folgen sollten: Festspieldirektor Kaut wollte nach dem großen Erfolg von Macht der Gewohnheit (1974) ein weiteres Stück für die Festspiele, bekam von Thomas Bernhard Die Berühmten und störte sich daran, daß Bernhard das Festspiel selbst aufs Korn nahm. Die Inszenierung wurde zur „Verlegenheitsproduktion“ ('Theater heute‘) und der Autor warf dem Direktor „Unkorrektheiten“ vor. Das Stück selbst ward nicht mehr gesehen und hatte jetzt das fragwürdige Glück einer zweiten Inszenierung, die gleichzeitig deutsche Erstaufführung war.
Alles soll zu sehen sein, auch wenn Die Berühmten nicht gerade ein Meisterwerk Bernhards sind und er seinen berühmten Festspielgrößen am Ende gar Tierköpfe aufsetzt. Ansehen kann man sich das alles und den unverkennbaren Bernhard-Monologen lauschen. Wenn man hätte lauschen können. Aber anstatt stechender Monologe über Kunstvernichtung fand reale Kunstvernichtung statt. Dem Trauerspiel um den Bernhard-Text bei der Salzburg-Ouvertüre folgte ein Karlsruhe-Epilog, in dem der schlimmstmögliche Fall eintrat: Eine Inszenierung, die all die Haßtiraden als berechtigt bestätigte, die Bernhards Figuren gegen schlechte Kunst und fades Theater ausstoßen. „Morgen Karlsruhe“, könnte Zirkusdirektor Caribaldi mit gespieltem Ekel in der Stimme sagen und dabei an die Schauspielerin denken, die die Schauspielerin in den Berühmten spielt, indem sie nicht spielt. Wenn mir ein Autor so wenig Text gibt, mag sie wohl gedacht haben, ist Rache süß - und bringt es im bloßen Dasitzen zu einer ungeheuerlichen Perfektion. Nichts Schöneres auf der Bühne als Schauspieler, die spielen, daß sie sitzen. Wenn sie es wirklich spielen, kann eine Sternstunde des Theaters daraus werden. Was aber, wenn Schauspieler wirklich nur dasitzen?
Diese Frage hat sich wohl auch der Bassist gestellt. Er muß sich diese Frage gestellt haben, denn Helmut Straßburger ist nicht nur Bassist, Baron und Gastgeber der sich selbst feiernden Bühnenkünstlerschar. Nein, der Bassist liebte das Stück so über alle Maßen, daß er stracks zum Regisseur von Bernhards Berühmten wurde. Er war in der Pflicht. Es grübelte in ihm. Etwas mußte geschen. Aber was nur? Mit dem R rollen, das wäre was, fiel ihm ein, und schon war's geschehen: Der Bassist inzenierte Bernhards Stück, und das R rollte. Und alle waren froh, weil: Genau darum gehe es ja in dem Stück - um eitle Künstler, denen es nicht um die Kunst, sondern nur um das rollende R gehe, sagte man sich in der Kantine, nachdem der Bassist mit dem rollenden R niedergekommen war. Genau, sagten sich alle anderen auch, fuhren nach Hause und suchten Trost. Sie suchten lange, und sie fanden ihn schließlich. Denn wenn all das, was Thomas Bernhard in seinem Stück vorführt, plötzlich ganz real auf der Bühne steht, dann - ja, dann hat das etwas Komisches.
Morgen Karlsruhe? Nein. Vorerst, für diese Saison, keine Erstaufführungen mehr. Morgen Bad Segeberg. Und übermorgen? Übermorgen Jagsthausen. Ins Freie, ins Freie.
Jürgen Berger
Thomas Bernhard: Die Berühmten, Badisches Staatstheater Karlsruhe, Inszenierung: Helmut Straßburger, Ernstgeorg Hering
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen