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Morde von AschaffenburgDem Horror entkommen

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Nach den entsetzlichen Morden von Aschaffenburg von Staatsversagen zu sprechen, ist angebracht. Doch wo liegt es? Die Debatte darüber läuft falsch.

Gedenken an die Opfer der Messerattacke von Aschaffenburg Foto: Kirill Kudryavtsev/afp/getty images

W as für ein Horror! Ein Kita-Ausflug in den Park, der in einem Blutbad endet. Der Tatverdächtige, ein vermutlich psychisch kranker Mann aus Afghanistan, stellt mit einem Küchenmesser der ­Kindergruppe nach und greift sie gezielt an. Man denkt an die eigenen Kinder, an die Nichten, Neffen und Enkel. Ist geschockt, zu Tränen gerührt, sprachlos und auch wütend. Nicht schon wieder!

Nach Mannheim, Solingen und Magdeburg nun Aschaffenburg. Was muss passieren, damit die Menschen wieder unbeschwert Stadtfeste und Weihnachtsmärkte besuchen können, damit Kinder sicher im Park spielen können? Dass der Staat, der das Privileg und die Pflicht hat, das Leben der Bür­ge­r:in­nen zu schützen, erneut versagt hat, liegt auf der Hand.

Doch an welcher Stelle das Staatsversagen liegt, das ist nun Diskurs- und Wahlkampfmasse. Nicht nur für die extreme Rechte scheint der Fall klar: Migration ist die Mutter all dieser Taten. Zwar lässt sich zwischen Mannheim bis Aschaffenburg keine gerade Linie ziehen – die ersten beiden Angriffe waren vermutlich islamistisch motiviert, während die Täter von Magdeburg und Aschaffenburg wahrscheinlich psychisch krank waren. Die Eltern der toten und verletzten Kinder von Aschaffenburg sind selbst zugewandert – aber das scheint nicht zu zählen: Die AfD fordert Remigration in großem Stil, CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will in Trump’scher Manier faktisch einen Einreisestopp für alle Asyl­be­wer­­be­r:in­nen ab Tag eins seiner Kanzlerschaft dekretieren.

Für Rechtsextreme und Konservative scheint klar: Das Grundrecht auf Asyl, wie es bisher gilt, hat ausgedient. Kein Erbarmen mehr mit Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, Deutschland macht dicht. CDU-Vize Julia Klöckner verstieg sich auf X gar zu der Behauptung, es gäbe Kulturen, „die sind mit unserer Lebensweise nicht einverstanden, deshalb können wir mit ihnen nicht einverstanden sein!“

Wessen Kultur?

Weniger Empathie bringt selbst Alice Weidel nicht auf. Was sagt Klöckner eigentlich den Eltern des schwerverletzten syrischen Mädchens? Ist halt „eure Kultur“? Klöckners Äußerungen zeigen, wie tief die CDU gesunken ist und wie verzweifelt sie nach einem Thema greift, um sich im Wahlkampf zu profilieren. Mehr Härte. Jetzt!

Doch genau besehen ist auch diese Politik der Härte gerade gescheitert. Mehr Härte wollte auch die Ampelkoalition beweisen, nachdem in Solingen ein Mann auf dem Stadtfest wahllos auf Besucher einstach. In einem letzten Akt gemeinsamer Tatkraft beschloss sie ein Sicherheitspaket, das unter anderem eine Ausweitung der Messerverbotszonen vorsieht, in denen die Polizei anlasslos kontrollieren darf. Auch der Park in Aschaffenburg ist eine solche Zone. Dass sich diese Maßnahme als Autosuggestion von Sicherheit erwiesen hat, ist seit Mittwoch auf tragische Weise deutlich geworden.

Auch im Umgang mit Asylbewerbern hat die Bundesregierung mehr Härte gezeigt. Die Zuschüsse für Integrationskurse werden 2025 laut Haushaltsplan auf eine halbe Milliarde halbiert, Gelder für die Betreuung von Geflüchteten von 17 Millionen im Jahr 2023 auf 7 Millionen Euro in diesem Jahr zusammengestrichen. Was fatal ist, denn viele Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, sind psychisch angeschlagen, laut Studien zeigen 30 Prozent posttraumatische Belastungen, 40 Prozent leiden unter depressiven Stimmungen. Therapieplätze bei niedergelassenen Ärzten gibt es kaum.

Barmherzigkeit und Nächstenliebe sind keine linken Parolen, sondern christliche Werte

Asylbewerber, für deren Verfahren ein anderes EU-Land zuständig ist, haben nach einer Übergangszeit keinen Anspruch mehr auf Verpflegung und Unterkunft in Deutschland. Eine Verelendungsstrategie, die zur Ausreise zwingen soll. Vor allem aber eine Zeitbombe. Denn was, wenn diese ungefähr 4.000 Menschen nicht ausreisen, sondern untertauchen, in Parks schlafen und zum Broterwerb mit Drogen dealen? Die Strategie, Geflüchtete in großer Zahl aufzunehmen, sie dann prekär unterzubringen und ohne Perspektive sich selbst zu überlassen, ist also ebenfalls gescheitert.

Nötig ist eine Debatte, wie Integration funktionieren kann

Gibt es einen Mittelweg? Wohl kaum. Deutschland muss sich entscheiden: Will es sich auf sich selbst zurückziehen, die Grenzen dicht machen und sich aus der europäischen Lastenteilung zurückziehen? Dann bräuchte es in anderen relevanten Fragen aber auch nicht mehr auf die Solidarität der europäischen Nachbarn hoffen. Oder bekennt man sich dazu, Menschen in Not weiterhin aufzunehmen. Dann muss man sie aber auch so versorgen, begleiten und, ja, im äußersten Fall auch konsequent abschieben, dass sie nicht zum Risiko für sich und andere werden können.

Nötig ist eine Debatte, wie Integration besser und anders gelingen kann. Doch diese scheint in der gegenwärtigen Mixtur aus Wahlkampf, Schock und Empörung nicht möglich zu sein. Trotzdem ist sie nötig. Denn Barmherzigkeit und Nächstenliebe sind schließlich keine linken Parolen, sondern christliche Werte. Unsere Werte.

Und auf Grundlage dieser Werte lässt sich auch eine solche Horror-Tat zunächst mal verarbeiten. Mein tiefes Mitgefühl, den Opfern und ihren Angehörigen.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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3 Kommentare

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  • Dass sich die CDU/CSU mit ihren Forderungen nach einem Ende unserer relativ liberalen Asylgesetzgebung auf eine Stufe mit der in (zu) großen Teilen rechtsradikalen AfD stellt, sollten wir alle missbilligen. Es gibt in Deutschland eine sehr große Mehrheit von Migranten, Asylbewerbern, Flüchtlingen und Schutzsuchenden, die sich täglich bemühen, dem Land, das sie aufgenommen hat, etwas zurückzugeben und die nicht versuchen, andere zu verletzen oder umzubringen. Das dürfen wir nicht vergessen!

    Wenn wir uns fragen, was in Aschaffenburg falsch gelaufen ist, sollten wir weniger nach den Gesetzgebungsorganen schauen - Gesetze, um so etwas zu ahnden und dem vorzubeugen, gibt es bereits - sondern wir sollten schauen, wie die Exekutive (unsere Behörden) damit umgeht. Reagiert sie angemessen und schnell auf Gefährdungen durch Gruppen und Einzelpersonen?



    Tatsächlich kann man den Eindruck gewinnen, dass Park- und Temposünder bei geringen Verfehlungen mehr Aufmerksamkeit bekommen als die, die bereits durch Gewalttaten aufgefallen sind. Diese Laissez-Faire-Haltung fällt in vielen Bereichen behördlichen Tuns ins Auge, ist aber dort, wo es um körperliche Unversehrtheit geht, besonders kritisch.

  • "....ja, im äußersten Fall auch konsequent abschieben, dass sie nicht zum Risiko für sich und andere werden können."



    Und genau hier liegt das Problem, nicht am Asylrecht als solches.



    In allen Fällen war die Vorgeschichte sehr auffällig, die Reaktionen und Handlungen aber sehr unauffällig.



    Dass die Parteien es jetzt dazu verwenden, sich gegenseitig die Schult zuzuweisen und es ausschlachten ist widerlich.

  • Danke für diesen klarstellenden Kommentar!



    Merz (CDU) missbraucht das Thema und das Leid empathielos zur Missachtung der Mindeststandards internationalen Asylrechts im Interesse seines Wahlkampfs, und zwar speziell für ein Koalitionsangebot an die AFD: „Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht ... Ich gehe keinen anderen“ (Merz heute live in der Tagesschau). Den wahltaktischen Tabu- und Dammbruch hat es somit eingeleitet.