Montagsinterview mit linkem Spitzenkoch: "Nicht nur Rot auf dem Teller"
Florian Neumann ist gerade Weltmeister der Jungköche geworden und arbeitet in einem Vier-Sterne-Hotel. Wenn er die Schürze abnimmt, zieht er den Kapuzenpullover an. Er wohnt in einem ehemals besetzten Haus.
taz: Herr Neumann, Sie sind Jungkoch-Weltmeister und vor ein paar Tagen 21 geworden - was gab es zu essen?
Florian Neumann: Ich hatte ein paar Freunde eingeladen und meine Mitbewohner. Dann kamen noch einige Leute hier aus dem Haus dazu. Ich habe Hühnchen gemacht.
Herkunft: Florian Neumann wurde 1988 geboren und wuchs in Neuenhagen am nordwestlichen Rand von Mecklenburg-Vorpommern auf. Das Gymnasium brach er ab. Stattdessen begann er eine Kochausbildung in Travemünde an der Ostsee.
Höhenflug: Schon während der Ausbildung gewann Neumann die ersten Kochwettbewerbe. Im Berufswettbewerb für junge Köche wurde er Landesmeister und später Deutscher Meister - die Qualifikation für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im kanadischen Calgery. Anfang September traten dort knapp 1.000 junge Kandidaten in 50 verschiedenen Berufen an. Bei den Köchen gewann Florian Neumann Gold und wurde zum besten Jungkoch der Welt ausgezeichnet.
Hausprojekt: Seit April lebt und arbeitet Neumann in Berlin. Das Haus, in dem er in der Potsdamer Straße wohnt, wurde 1981 besetzt und später über einen Pachtvertrag legalisiert. Die Bewohner renovierten das Gründerzeitgebäude und organisierten eine Selbstverwaltungsstruktur: Bewohner zahlen bis heute Miete abhängig vom Einkommen, Entscheidungen werden im Plenum getroffen.
Einfach nur Hühnchen?
Nein, nicht einfach nur Hühnchen. Gefülltes Hühnchen mit Steinpilzen und Kartoffelgratin. Was es morgens gerade auf dem Markt gab. Ich koche relativ selten hier in der WG. Wenn ich freihabe, habe ich, ehrlich gesagt, keinen Bock mehr, hinterm Herd zu stehen. Dann gibt es nur etwas, das schnell geht.
Zum Beispiel?
Auch mal Nudeln mit Tomatensoße. Aber ich mache dann schon ab und zu die Nudeln selbst und die Soße sowieso.
Wenn Ihre Mitbewohner in der WG weich gekochte Nudeln mit fertiger Tomatensoße machen, verweigern Sie dann?
Nein, das esse ich schon. Das gehört dazu.
Sie sind in einem teuren Restaurant in Mitte "Demichef de Partie". Was ist das?
Das ist ein Rang in der Küche, es bedeutet stellvertretender Postenchef. Erst ist man Auszubildender, dann Jungkoch - das heißt Commi de Cuisine, dann kommt Demichef und Chef de Partie, danach Sous Chef und dann Küchenchef.
Was macht man als Demichef de Partie?
Mein Bereich sind die Vorspeisen und die Desserts. Wir bieten eine nicht unbedingt bodenständige, aber auch keine ganz abgefahrene Küche an: ein normales, schickes À-la-carte-Restaurant. Ich mache so Berliner Klassiker wie Kalbsleber Berliner Art oder Havelländer Krebssuppe.
Sie wohnen hier in der Potsdamer Straße in einem Wohnprojekt - einem ehemals besetzten Haus, das später legalisiert wurde. Wie waren die Reaktionen von den Leuten hier, als Sie gesagt haben, wo Sie arbeiten?
Man wohnt in einzelnen WGs, aber die Entscheidung, ob man einziehen darf, wird von allen im Plenum getroffen. Und da kamen natürlich schon Fragen von den Alteingesessenen - von den früheren Besetzern wohnen ja noch viele hier. Die meinten: Du willst hier einziehen, arbeitest aber dann in so einem Konzern, in einem großen Hotel, kapitalistisch orientiert und so.
Was haben Sie dazu gesagt?
Das eine ist meine Arbeit, und das andere ist mein Privatleben. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, ziehe ich meine Kochjacke aus, meine normale Jacke an und dann bin ich ich selbst. Und auf der Arbeit bin ich halt Koch in der Küche. Das trenne ich schon relativ stark.
Was hat Sie zuerst interessiert, Kochen oder Politik?
Das weiß ich gar nicht. Ich komme aus einem kleinen Dorf an der Ostsee. Mit 16, 17 habe ich mit der Schule aufgehört, ich war am Gymnasium, hatte aber keine Lust, Abi zu machen. Kochen fand ich ganz interessant, meine Mutter hat damals in einem kleinen Restaurant das Frühstück gemacht. Durch ihren Chef hat sie die Adresse vom Maritim Hotel in Travemünde mitgebracht. Dann hab ich mich da beworben, die Ausbildung angefangen und festgestellt, das macht mir Spaß. Dann habe ich angefangen, Wettbewerbe mitzumachen.
Und die Politik?
In die Szene bin ich durch Freunde reingerutscht. Neuenhagen, wo ich herkomme, war ja früher Grenzgebiet zu Lübeck. In Lübeck gibt es ein alternatives Zentrum, die Walli, 1969 gegründet. Und als wir angefangen haben, uns ein bisschen zu interessieren, sind wir da immer hingefahren, da gab es Konzerte, Aktionen. Bei uns in Mecklenburg und in Lübeck ist die rechte Szene relativ stark. Als ich vor Kurzem mal nach Hause gefahren bin, da hing an jeder Laterne so ein Scheiß-NPD-Plakat, da wird einem echt schlecht.
Wie sind Sie nach Berlin gekommen?
Nach der Ausbildung habe ich ein Jahr in einem Gourmetrestaurant in Timmendorf gearbeitet. Das war ne super Zeit, aber auch anstrengend, in der Saison manchmal 15, 16 Stunden Arbeit täglich. Irgendwann stand fest, dass ich als Teilnehmer zur Weltmeisterschaft der Jungköche nach Kanada fahren werde. Und da habe ich gesagt: Hier kann ich mich nicht vorbereiten. Das Hotel in Berlin ist groß, neu ausgestattet, und die haben mir meine WM-Vorbereitung finanziert. Und wenn man 20 Jahre in dem Dorf gelebt hat, wo man aufgewachsen ist, will man mal weg.
Wie kam es, dass Sie bei der Koch-Weltmeisterschaft angetreten sind?
In der Ausbildung habe ich ein paar Wettbewerbe für Azubis mitgemacht, die Berufsschule hat mich irgendwann ausgesucht für die Landesmeisterschaft. Von da kam ich zu den deutschen Meisterschaften.
Warum haben Sie gewonnen?
Genau weiß ich es nicht. Das Schwierigste bei solchen Wettbewerben ist, sich zu organisieren. Du bekommst eine Stunde Vorbereitungszeit und dann sechs Stunden Zeit, um vier Gänge für zehn Personen zu kochen. Dabei musst du mit Pflichtkomponenten arbeiten, zum Beispiel Fisch in der Vorspeise und Birnen und Schokolade im Dessert. Ich sage mir immer: lieber ein bisschen traditionell und einfacher und dafür pünktlich fertig werden.
Das ist gerade ein Trend, oder? Omas Rezepte statt Novelle Cuisine.
Es gibt schon noch Leute, die ganz abgefahrene Sachen machen. Aber ich bin auch eher für die klassische Richtung, alte Rezepte wieder aufleben zu lassen.
Am Herd sind Sie konservativ?
Na ja, man kann es trotzdem auf eine Art und Weise modern anrichten. Es gibt ja auch bestimmte Gemüse, die lange Zeit nicht verwendet wurden und dann ein Comeback erleben. Es wird wieder viel mit Steckrübe gearbeitet. Bei der Weltmeisterschaft hat mir zum Beispiel am besten meine warme Grießschnitte mit Apfelstrudel und Himbeergelee gefallen.
Was ist eine Grießschnitte?
Ein Grießflammerie, ein Grießbrei. Aber ich musste in Kanada auch Sushi machen. Und gefüllten Lammrücken und Kaninchen.
Mögen Sie das eigentlich alles am Ende noch essen?
Natürlich schmeckt man ab, aber wenn man den ganzen Tag kocht, dann ist man abends auch gesättigt und hat keine Lust mehr, irgendwas davon zu essen. Da isst man dann schnell ein Brötchen. Oder einen Burger.
Da waren die besten Jungköche der Welt, und Sie haben zusammen Burger gegessen?
Wir hatten gleich so einen Fastfoodladen um die Ecke. Einen Burger und ein Bier, und dann hats gereicht.
Jetzt sind Sie Jungkoch-Weltmeister. Haben Sie große Karrierepläne?
Ich bleibe auf jeden Fall noch das nächste Jahr in Berlin. Irgendwann will ich dann zur Hotelfachschule, die Meisterprüfung machen, Betriebswirt - ein paar Abschlüsse, mit denen man mehr anfangen kann. Wenn ich dabei bleibe. Wer weiß, was in drei, vier Jahren ist.
Sind Sie nicht mit voller Leidenschaft Koch?
Ach, Leidenschaft, das ist immer so ein blöder Begriff. Für mich ist das es so was wie ein Hobby geworden. Ich versuche, es immer so gut wie möglich zu machen, aber dann ist auch Feierabend, dann reichts.
Es gibt also nicht das eine Restaurant, den einen Koch, wo Sie mal arbeiten wollen?
Es gibt schon gute Sachen. Zum Beispiel mal mit Harald Wohlfahrt zu arbeiten, das ist für viele der beste Koch Deutschlands. Aber das ist alles auch mit Stress verbunden.
Was heißt Stress?
Lange Arbeitszeiten, sechs Tage die Woche. Ich arbeite jetzt fünf Tage, in der Regel von halb drei nachmittags bis Mitternacht. Klar, man arbeitet auch mal zehn oder zwölf Stunden. Aber permanent 15 Stunden in der Küche? Wenn man in der gehobenen Gastronomie, in Sterne-Restaurants arbeiten will, ist das schon die Regel. Ich hab das schon gemacht, hat mir Spaß gemacht. Aber irgendwann muss man sich entscheiden, ob man auch noch Privatleben haben will.
Ihr Privatleben ist hier: die WG, das Hausprojekt, politische Diskussionen, Demos. Bringen Sie diese beiden Welten so richtig zusammen?
Nee, will ich auch nicht. Wenn man sagt, man geht am 1. Mai auf die Straße und dann hinterher wieder ins Hotel arbeiten - ich weiß nicht, ob das immer zusammenpasst. Die Arbeit ist die Arbeit, und der Rest bin ich.
Wo kollidieren die beiden Leben?
Wenn man sieht, was in großen Hotels und Restaurants verprasst wird an Geld, dann kommt man schon manchmal ins Grübeln. Hier werden die teuren Sachen aufgefahren, dann wird viel weggeschmissen - und irgendwo kriechen Leute auf der Straße und haben nichts. Das kann ich auch aussprechen, das sage ich schon auch mal zu den Kollegen. Aber so richtig will ich mich auf die Luxuswelt eigentlich gar nicht einlassen.
Was würde das bedeuten, wenn Sie versuchen würden, die Welten zu verbinden? Was müsste man ändern in der Küche?
Schwierig. Es ist eben nicht so einfach. Das fängt bei der Sparsamkeit an. Man kann ja nicht bei riesigen Kongressen sagen: Ihr kriegt heute nur ein Glas Wasser und ein beschmiertes Brot. Dann kommt keiner. Dann suchen sie sich was anderes. Die Leute ziehen da nicht mit, weil sie halt ihren Status halten wollen.
Hat Essen mit Status zu tun?
Ja, schon. Bezahlen und dafür etwas aufgefahren bekommen.
Starkoch Jamie Oliver hat mit dem sozialen Bezug gepunktet: benachteiligte Jugendliche kochen zu lassen, besseres Essen in Schulkantinen zu fordern. Wie finden Sie das?
Im Grunde ganz gut. Es ist wirklich unter aller Sau, was die Leute in diesen Kantinen in England zu essen bekommen. Da müssen Sie sich nicht wundern, wenn 12-jährige Kinder schon 12 Kilo Übergewicht haben. Aber letztendlich halte ich nicht viel von diesen Kochsendungen, da schalt ich weg.
Warum?
Im Fernsehen ist alles schön und wunderbar - Hobbyköche, die davon lernen, sollen sich das gern angucken. Aber mit dem Alltag in der Küche hat das nichts zu tun. Da herrscht ein ganz anderer Ton, da fliegen auch mal die Fetzen.
Wie klingt das?
Da schreit man sich auch mal an: Bist du bescheuert, was machst du hier, du Idiot! Das muss man abkönnen und lernen sich durchzusetzen.
Wie erklären Sie sich das?
Stress. Viel zu tun, alles muss perfekt sein und zeitgleich fertig werden, dann passiert dir ein Fehler, und dann gehts los.
Herr Neumann, kann Kochen eigentlich politisch sein?
Schwierig. Wie soll man allein durch das, was man kocht, eine politische Meinung vertreten?
Kennen Sie Wam Kat?
Nein.
Das ist ein Aktivisten-Koch, der immer auf Großdemos und bei Castor-Transporten kocht. Er sagt: Du kannst mit einem McDonalds-Hamburger in der Hand keine Atomkraftwerke zukriegen.
Das stimmt wahrscheinlich. Aber solche Parolen sind leicht gesagt - ob man das umsetzen kann, ist eine andere Frage. Ich kann ja nicht nur Rot auf dem Teller präsentieren.
Zum Beispiel weniger Fleisch zu essen. Das ist für manche ein politisches Statement auf dem Teller.
Klar, da sollte man sich mehr engagieren. Ich ess wenig Fleisch, und ich kauf privat so gut wie gar kein Fleisch ein. Das ist ne gute Sache, wenn man versucht, das auch im Betrieb unterzubringen.
Wam Kat hat ein Buch geschrieben: 24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung. Haben Sie auch eins?
Vielen Leuten ist es egal, oder das Geld ist ihnen zu schade, um für ein Ei 18 Cent zu zahlen statt 9. Dabei ist es doch eine ganz einfache Entscheidung, wenn man sieht: Bio- oder Käfighaltung. Es ist das Unnatürlichste von der Welt, Hühner massenhaft in Käfige zu sperren. Aber selbst in großen Hotels wird das Bioei als Kostenfaktor gesehen. Und ich habe da keinen Einfluss darauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“