Montagsinterview mit einem Drucker: "Führerscheine als Einladungen"
Zur Begrüßung gibt es eine herzliche Umarmung. "Ich bin der Klaus", sagt Klaus Regel und bittet in seine museale Druckwerkstatt in Friedrichshain.
taz: Herr Regel, Sie arbeiten fast Ihr ganzes Leben in der Druckbranche. 40 Jahre im staatlichen Druckkombinat Ostberlin, 1992 übernahmen Sie dann eine alte Druckwerkstatt in Friedrichshain. Wer gehört zu Ihren Kunden?
Klaus Regel: Heute – wie schon zu DDR-Zeiten – sind es viele Leute, die ich politisches Hochwild nenne.
Also die Herren „da oben“.
Im nicht geklappten Sozialismus hatte ich vorwiegend mit Repräsentationsdrucken zu tun: 430.000 Urkunden im Jahr, Einladungen für Erich Honecker und von Botschaften im Ausland. Ich hatte die Weisung, die Staatsrepräsentation der DDR zu machen, die in den Westen ging. Und ich habe einen Betriebsteil in Altglienicke geleitet, wo in erster Linie Glückwunschkarten gedruckt wurden. 60 Prozent davon gingen in den Westen. Im Osten gab es ja immer den Schiss, sich im Westen zu blamieren. Deshalb musste alles zehnmal schöner sein als für den Scheich von Saudi-Arabien.
Wie heißen Ihre Kunden heute?
Für Gerhard Schröder habe ich ein Buch gedruckt, für Helmut Kohl eine Urkunde für die Ludwig-Erhard-Gedenkmünze in Gold, die er in Anerkennung seiner Verdienste um die Erhaltung und Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft bekommen hat. Von mir hätte der Knaller die Urkunde nicht gekriegt. Der hat ja eigentlich die ganze Industrie kaputt gemacht. Neulich habe ich eine alte Maschine aus dem Keller geholt, auf der man mit kyrillischen Buchstaben drucken kann. Die brauchte ich für Einladungen der russischen Botschaft.
Ihr tägliches Brot sind aber Glückwunschkarten, Visitenkarten und Urkunden?
Ja, edle, hochwertige Drucksachen. Ich könnte Ihnen aber auch eine Fahrerlaubnis spendieren.
Bitte?
Zu meinen Kunden gehören Karnevalsvereine. Einmal habe ich 3.000 Führerscheine als Einladungen gedruckt. Wenn man die gelesen hat, hat man gesehen, dass es eine Einladung zum Karneval war. Aber die Leute haben sich darum geprügelt, weil die so echt aussahen. Nachdem die Bild-Zeitung von falschen Führerscheinen geschrieben hatte, tauchten zwei Herren vom Landeskriminalamt bei mir auf.
Was wollten die denn?
Sich informieren, wie man falsche Pässe macht beziehungsweise erkennt, weil wir ja auch mit Hologrammen arbeiten. Für die nächste Karnevalseinladung habe ich dann Fahrzeugscheine gedruckt. Da sind ein paar Russen gekommen, die 500 Euro für einen Fahrzeugschein zahlen wollten. Wenn ich 20 gedruckt hätte, hätte ich 10.000 Glocken in der Hand gehabt. Ich habe sie natürlich rausgeschmissen.
Was können Sie mit Ihren alten Maschinen, was moderne Maschinen und billige Onlinedruckereien nicht können?
Auf den modernen Maschinen kann man keinen Druck Fläche gegen Fläche machen, keine Blindprägung, keinen Golddruck. Bestimmte Urkunden gehen nur auf einer alten Handpresse, die Folienprägung machen kann. Oder: Ich habe Hüllen entworfen für Münzverpackungen für Gedenkmünzen – Hildegard von Bingen, Westfälischer Friede und so was. Da kamen mir meine Erfahrungen aus der DDR zugute, wo ich für die staatliche Münze fast alle Verpackungen gemacht habe, die in den Westen gegangen sind. Ich habe mit dem Auftrag so viel Geld verdient, dass mir kotzübel wurde (lacht).
Gegen solch eine Übelkeit hätten viele nichts einzuwenden. Wie viel Geld war das denn?
Einige Rechnungen pro Monat über je 75.000 Mark.
Klaus Regel, geboren 1937 in Steglitz und aufgewachsen in Friedrichshain, ist gelernter Buch- und Offsetdrucker. Er arbeitete 40 Jahre im Druckkombinat Ostberlin. 1992 machte er sich mit 55 Jahren zum ersten Mal in seinem Leben selbstständig - mit einer alten Druckwerkstatt in der Samariterstraße in Friedrichshain. Hier bietet er an: Buchdruck, Offsetdruck, Heißprägung, Reliefdruck, Holografie, Beratung, Entwurf, Satz, Fremdsprachensatz.
Der 75-Jährige ist in zweiter Ehe verheiratet. Seine 20 Jahre jüngere Frau ist für Gestaltung und Buchhaltung in der Werkstatt zuständig. Regel hat drei Söhne und eine Tochter zwischen 43 und 13 Jahren. Er lebt in Basdorf bei Wandlitz.
Kleines Druckerglossar:
"Fläche gegen Fläche" ist das älteste Verfahren und typisch für den Buchdruck. Der Bedruckstoff wird von einer flachen Gegendruckplatte (Tiegel) mit großer Kraft auf eine flache Druckformplatte gedrückt. "Blinddruck" ist in der Buchherstellung das Einprägen von Mustern, Motiven oder Schrift auf Leder- und Pergamenteinbände ohne Farbe oder Gold.
"Handsatz" ist das älteste Verfahren zur Herstellung von Druckformen mit beweglichen und einzelnen Lettern im Bleisatz.
Was haben Sie mit dem Geld gemacht?
Meine Frau und ich haben uns ein Grundstück und Haus in Basdorf gekauft.
Gibt es Aufträge, die Sie ablehnen?
Alles, was von rechts kommt. Darf ich dazu eine Geschichte erzählen?
Nur zu!
Da kam mal ein Männeken, so 25 Jahre alt, ein Kreuz wie ein Gewürzspind, legte mir ein Heft hin und fragte, ob ich das drucken könnte. Als er weg war, schaute ich mir den Inhalt an: Das war eine Anleitung zum Bombenbau. Das war mir zu heiß, ich habe das Landeskriminalamt angerufen. Der Typ hat sich komischerweise nie wieder gemeldet. Oder wenn jemand kommt, 25.000 Speisezettel will und sagt, er habe ein Angebot für 250 Euro, mehrfarbig und mit Falzen, und ich müsste drunter liegen – den schmeiße ich raus. Das Papier allein würde schon 280 Euro kosten.
Gab es zu Ostzeiten „unsittliche Anfragen“ für verbotene Sachen?
Nein, im Gegenteil. Da fällt mir wieder eine Geschichte ein.
Bitte schön.
Im Telegrammstil: Da kam in meine Druckerei eine Frau, die mit ihrer Schürze und der Korbtasche, aus der Porreegemüse raushing, wie eine Hausfrau aussah. Sie entpuppte sich als Major der Kriminalpolizei. Die hat mir fast schon wieder gefallen. Besser kann man sich gar nicht verkleiden! Sie holte eine Einladung hervor, billiger Scheiß auf billigem Karton, und wollte wissen, wer das gedruckt haben könnte.
Was war das für eine Einladung?
Es war eine Einladung an Leute, die hohe staatliche Auszeichnungen bekommen hatten, bis hoch zum Vaterländischen Verdienstorden, und die anlässlich ihrer hohen Auszeichnungen zu einem Ehrenessen eingeladen wurden. Die Orden seien anzulegen, und festliche Kleidung war erwünscht. Aus allen Ecken kamen die Schleimer an und wollten feiern und saufen. Aber Scheiße, da war gar keine Feier!
Jemand hatte sich einen Spaß gemacht?
Genau. Hut ab, die Idee hätte von mir sein können.
Haben Sie der Frau Major helfen können?
Nein, die Einladungen waren Handsatz, und der war garantiert längst in einer Tonne gelandet.
Warum sind Sie Drucker geworden?
Purer Zufall. Im Juni 1952 bin ich in die Rigaer Straße hier um die Ecke gelaufen, weil mir jemand gesagt hatte, die suchen einen Lehrling als Buchdrucker. Früher waren Buchdrucker etwas Besonderes. Neben den Schriftsetzern waren sie die Zaungäste der Wissenschaft, weil sie die Ersten waren, die mit einem handgeschriebenen Manuskript in Berührung kamen. Der Beruf hat mich schnell fasziniert. Ich habe hier mal einige Sachen rausgesucht, die ich gemacht habe. Wollen Sie mal sehen?
Gern. Was ist das für eine Stahlform mit dem Namen Erich Honecker?
Das ist eine Druckform für Stahlstich. Damit habe ich Visitenkarten für Honecker gedruckt. Oder diese Menükarte hier auf Ziegenleder. Die ließ sich Konrad Naumann, der mal 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung von Ostberlin war, zu seinem 50. Geburtstag drucken. Das hier ist ein Brief von 1987 zum 75. Geburtstag von Honecker, den ich gedruckt habe, unterschrieben unter anderem von dem Schleimer Günter Schabowski. Die haben Honecker noch den Arsch geleckt, obwohl der schon halb tot war.
Wie ist es Ihnen nach der Wende ergangen?
Der Alteigentümer kaufte die Druckerei für 126.000 DM. So viel waren meine Bestände an Goldfolie wert, die nicht in den Büchern standen, wir hatten bestimmt für 900.000 DM Technik investiert, die Materialien waren fast die gleichen. Und da sagte der Knaller zu mir: Das wird nichts mit uns beiden.
Was war sein Problem?
Die Mitarbeiter waren ja meine alten Kollegen und alle auf meiner Seite. Das konnte nicht gut gehen. Ich bin nur ein paar Monate geblieben und habe dann in einem Verlag in Wittenau gearbeitet. Ich kam sehr gut an bei den Leuten, vor allem bei den Damen! Trotzdem bin ich abgehauen, ohne zu kündigen.
Warum denn das?
Der Chef war arrogant. Da passte es gut, dass ein Hamburger aus Venezuela einen Drucker gesucht hat, der keine reitenden Gartenzwerge mit Glimmereffekt macht, sondern edle Karten. Zwei Tage später saß ich im Flieger nach Venezuela. Ich war Leiter einer Druckerei mit 480 Mitarbeitern – und es war toll. Zeit spielt dort eine andere Rolle. Niemand wird gejagt.
Woher stammt Ihre Mischung aus gesundem Menschenverstand, Humor und Chuzpe?
Meine Mutter war eine einfache Hausfrau. Mein Vater war ein ziemlich hohes Tier beim Landesfinanzamt. Dass der uns seine Weisheiten kundgetan hätte, kann ich nicht sagen. Ich habe immer gelesen – wie ein Tier, nächtelang. Schopenhauer und Nietzsche, die schwer in der DDR zu bekommen waren. Ich habe auch viele Klassiker gelesen, Theaterstücke, alles von Romain Rolland, und ich bin Brecht-Fanatiker. Ich denke mal, dass auch durch die Vielseitigkeit meiner Arbeit und die vielen Kunden was hängen geblieben ist.
Sind Sie mit Ihrer großen Klappe nicht ständig angeeckt, zumal im Osten?
Da kann ich eine Geschichte erzählen. Soll ich?
Nur zu!
Da kam mal jemand vom Verband der Bildenden Künstler in der DDR, so ein Treppenterrier, und ich sollte eine Urkunde drucken zur Hans- und Lea-Grundig-Medaille. Die Grundigs waren berühmte Grafiker und Maler. Der Mann sagte, dass der Präsident – ich weiß nicht mehr, ob es Willi Sitte war oder ein anderer – einen Andruck sehen wollte. Ich hatte keine Zeit dafür und sagte, dass der Präsident, wenn er sich die Gravur anguckt, weiß, wie der Druck aussieht. Wenn er das nicht könne, sei er fehl am Platz, weil ihm die für seinen Job nötige Vorstellungskraft fehle.
Da haben Sie sicher eins auf den Deckel bekommen.
Die vom Verband gingen zur SED-Oberclique und beschwerten sich. Da rief mein Direktor an und sagte, ich hätte dem Präsidenten unterstellt, er habe kein Vorstellungsvermögen. Ich musste also einen Andruck machen. Da sah ich, dass eine Zeile schief war, um vier Punkte, und nach unten hing. Ich rief den Treppenterrier an, der mich angeschissen hatte, und sagte, wenn die Zeile nach oben gegangen wäre, hätte ich das ja noch verstanden, weil es ja immer aufwärts geht … In 20 Minuten kam der vom Alex nach Altglienicke raus und hat sich vor Angst fast in die Hosen geschissen.
Sie sind jetzt 75 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch arbeiten?
Noch mindestens fünf Jahre, bis ich 80 bin.
Wird jemand Ihre Werkstatt weiterführen?
Ja. Vor einigen Jahren habe ich einen jungen Mann ausgebildet, Nils, der ist jetzt 32 und aus gutem Holz. Den habe ich so programmiert, dass er mindestens das kann, was ich kann. Der wird die Werkstatt übernehmen.
Was werden Sie im Ruhestand machen?
Oh, vieles. Ich werde mich um meinen jüngsten Sohn kümmern, der jetzt 13 ist. Ich male auch sehr gern: Häuser, Landschaften und Porträts in Öl. Wenn ich Farben mische, und das habe ich ja nun gelernt als Drucker, ist es ein Erlebnis für mich zu sehen, was für Farben herauskommen. Ich mache aber auch Musik.
Was für Musik machen Sie?
Ich spiele Orgel und Gitarre und habe als junger Mann bei Hochzeiten und Taubenzüchtervereinen gespielt. Zu Hause habe ich eine kleine Orgel, auf der ich Volkslieder spiele, Sonaten oder Potpourris quer durch die ganze Welt. Wenn ich Besuch habe, dann singe ich, gern Brecht-Lieder. Ich schreibe aber auch Gedichte.
Oha.
Ich schreibe gerne Liebesgedichte. Ich habe immer versucht, allgemein Gültiges zum Ausdruck zu bringen, wie Liebe oder Sehnsucht. Ich kann mich nicht an einem Pickel im Gesicht hochziehen.
Geben Sie uns bitte eine Kostprobe für ein Liebesgedicht.
Es gibt in der Druckerei ein bestimmtes Blau, das Miloriblau. Das ist so ähnlich wie Preußischblau. Darüber habe ich mal ein Gedicht geschrieben:
In weinendem Milori will ich mein Haus bauen.
Darin werde ich warten auf dich.
Der Regen mag es waschen, der Wind mag es bleichen.
Bis du kommst, werde ich …?
Der Rest fällt mir nicht mehr ein. Ich habe aber auch Lust und Wut, politische Gedichte zu schreiben.
Was macht Sie wütend und lässt Sie zur Feder greifen?
Ich bin der Auffassung, dass der Begriff Demokratie zur Hure verkommen ist, die sich alle Leute wagen auf die Fahne zu schreiben, selbst die schlimmsten Diktatoren. Deshalb ist für mich Aufklärung in Gedichten wichtig. Da muss viel mehr passieren, sonst regiert die Dummheit.
Können Sie sich ein Leben ohne Druckerschwärze vorstellen?
Die Druckerei werde ich garantiert nicht sein lassen. Zu Hause habe ich auch Drucktechnik, und vielleicht mache ich dann mal wieder was mit Studenten. Ich habe aber auch vor, ein Buch über mein Leben zu schreiben. Das mache ich, wenn ich alt bin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz