piwik no script img

Montagsinterview Sharon Adler"Statt mit Namen werden Frauen oft mit Attributen versehen"

Frauen, Autos und Judentum - diesen Themen hat sich Sharon Adler verschrieben. Sie leitet das Onlinemagazin aviva-Berlin.de für Jüdinnen und Nichtjüdinnen, eines der erfolgreichsten Frauenportale in Deutschland.

Sharon Adler mit ihrem Wellensittich Tzipi am Gründungstisch von aviva.de Bild: Bernd Hartung
Interview von Kathleen Fietz

taz: Frau Adler, kochen Sie koscher?

Sharon Adler: Nee, ich bin sowieso nicht die geborene Köchin. Ich koch kein Schweinefleisch, aber ich lebe nicht strikt koscher.

Sharon Adler

Die Fotografin: Während ihrer dreijährigen Ausbildung bei einem Fotografen wurde sie bei Shootings oft erst mal getestet, wie viel sie tragen konnte: "Ich musste mich immer mehr beweisen als meine männlichen Kollegen." 2006 veröffentlichte sie den Bildband "Damenwahl. Frauen und ihre Autos".

Die Chefredakteurin: Im Jahr 2000 gründete sie das Onlineportal Aviva (www.aviva-berlin.de) Derzeit arbeiten drei Mitarbeiterinnen in der Redaktion. Die ist in ihrer großen Kreuzberger Wohnung untergebracht, in der sie mit ihrer 14-jährigen Tochter lebt.

Die Jüdin: Ihre Urgroßmutter und ihre Großmutter haben den Holocaust überlebt. Sharon Adler hat ihre Tochter auf eine jüdische Schule geschickt. "Sie soll ein Zugehörigkeitsgefühl zu der jüdischen Community haben. Was sie später damit macht, ist ihre Sache."

Also keine jüdischen Essensregeln?

Ich bin echt nicht so die Religiöse. Aber wenn ich einkaufen geh, dann pack ich intuitiv den Käse nicht auf die Geflügelsalami, und das liegt auch im Kühlschrank nicht zusammen. Aber Geschirr für Milchiges und Fleischiges trenne ich nicht, in meinem Küchenschrank herrscht Chaos.

Sie haben vor neun Jahren das Frauen-Onlineportal aviva-berlin.de gegründet. Der Name kommt aus dem Hebräischen …

Ja, es heißt Frühling. Ich wollte einen hebräischen Namen, ich wollte einen positiv klingenden Namen, und ich wollte einen Namen mit A, ganz pragmatisch gedacht, wegen der Suchmaschinen.

Aviva hat mehr als 100.000 Besucherinnen pro Monat. Das sind doch sicher nicht alles jüdische Frauen, oder?

Nein, Aviva war nie ein rein jüdisches Magazin. Ich saß damals hier an diesem Küchentisch und hab überlegt: Was will ich im Netz lesen? Die Portale und Printmagazine für Frauen, die es gab, waren kaum tagesaktuell und gingen immer in eine bestimmte Richtung: Da die Unternehmerinnen, da die Feministinnen, da die Lesben. Ich wollte das alles verbinden: Frauen, Judentum, Kultur, Politik, Veranstaltungstipps für Berlin, Buchrezensionen, Informationen für Mütter und Nichtmütter.

Und warum ein reines Frauenportal?

Weil Frauen in Medien noch immer nur am Rande vorkommen, auch was die Bildsprache betrifft. Da muss man sich nur mal Buchcover angucken, da werden Frauen ohne Kopf abgebildet, sogar auf Karriereratgebern für Frauen. Da haste dann die Beine, da hängt die Handtasche runter, aber der Kopf ist weg. Und in Magazinen werden in den Headlines vielleicht noch die Namen der Frauen genannt, aber im Fließtext ist dann die Rede von der charmanten Mittzwanzigerin oder der feurigen Schauspielerin. Statt mit Namen werden die Frauen oft mit Attributen versehen …

wie die Kanzlerin als "Mutti, die Miese macht". Das war neulich das Thema bei Anne Will.

Hören Sie mir auf mit Anne Will. Die geht mir so was von auf die Nerven. Was hat sie nicht alles gesagt: Sie will normale Menschen. Sie will Frauen reinbringen in ihre Sendung. Nichts ist passiert.

Ihre Tochter ist jetzt 14. Was für eine Frauengeneration wächst denn da gerade heran?

Eine bedenkliche. Ich bin da sehr skeptisch. Die haben ein totales Sicherheitsdenken, sind ganz wenig risikofreudig, Klar macht diese Krise was mit denen.

Aber das gilt ja wahrscheinlich für die gesamte Generation, auch für die Jungs. Wie erleben Sie speziell die Mädchen?

Meine Tochter hatte ihre Paris-Hilton-Phase, wo ich schier durchgedreht bin. Das Liebste ist halt eben gerade Shoppen. Gut, meine Tochter will natürlich nicht so sein wie ihre Mutter. Wäre ich nicht selbstständig, sondern Kindergärtnerin, dann wäre es vielleicht anders. Aber auch keine ihrer Freundinnen sagt, ich interessiere mich für Mathematik oder ich will zum Mond fliegen oder ein neues Medikament entwickeln. Die wollen Architektin oder Visagistin werden, diese dekorativen Geschichten. Mädchen wollen halt alles hübsch machen, alles schön machen. Schön harmonisch.

In den vergangenen zwei Jahren haben sich ja auch wieder jüngere Frauen zum Thema Feminismus zu Wort gemeldet, so etwa mit dem Buch "Alphamädchen" oder der Zeitschrift Missy mit Popkultur für Frauen. Sind das für Sie Schritte in die richtige Richtung?

Als das Buch "Alphamädchen" im letzten Jahr rauskam, war ich superglücklich, dass die Feminismusdebatte von einer neuen Seite angestoßen wird. Ich fands auch gut, ein paar Seitenhiebe loszulassen auf etablierte Feministinnen.

Sie meinen Alice Schwarzer?

Ja, die klebt einfach schon zu lange auf ihrem Stuhl. Aber ich fand den Begriff Mädchen ein bisschen zwiespältig, auch bei dem bekannten Blog "Mädchenmannschaft". Warum müssen wir eigentlich alle Mädchen sein und mit Zöpfen rumlaufen? Mit Alphafrauen hätte ich besser leben können.

Bei Aviva besprechen Sie im November den neuen Kinofilm "Tannöd", Sie kündigen eine Filmreihe zum Holocaustgedenken und eine Ausstellung von Jugendlichen an, die im Gefängnis saßen. Ist das nur für Frauen spannend?

Ich bin eigentlich gegen eine Gettoisierung, und es wäre schön, wenn mein Portal auch noch mehr Männer lesen würden. Ich hätte auch nichts dagegen, dass auf dem Chefsessel von Frauenzeitschriften wie Brigitte ein Mann sitzt, wenn dann auch eine Autozeitung von einer Frau gemacht werden würde.

Mit Frauen und Autos haben Sie sich ja besonders intensiv auseinandergesetzt. Neben Aviva arbeiten Sie als Fotografin, und vor drei Jahren erschien ein Bildband, in dem Sie Frauen mit ihren Wagen fotografiert haben. Wie kam es zu dem Projekt?

Ich fuhr damals einen alten VW-Scirocco, und die Batterie war zwar neu, aber irgendwie zog dieser Wagen Strom. Ich musste die Batterie deshalb abends immer ausbauen und oben in der Wohnung aufladen. So habe ich mich mit einer Freundin über Autos unterhalten und kam auf die Idee, eine Serie über Frauen und ihr Verhältnis zu ihrem Auto zu machen.

Haben Frauen denn so ein anderes Verhältnis zu ihrem Wagen als Männer?

In der Werbung ist es zu 90 Prozent so, dass Frauen Auto fahren, um Kinder oder Schuhkartons zu transportieren. Oder aber sie sind als Models auf Automessen das nette Beiwerk zum Auto. Deshalb hab ich auf meinen Fotos auch die Frauen porträtiert und die Autos nur angeschnitten. Für viele Frauen bedeutet ein Auto Freiheit und Selbstständigkeit.

Hier in Ihrer Wohnung hängen ja einige der Fotos. Ulrike Folkerts lehnt auf dem Foto an einem schwarzen Mustang, die Journalistin Lea Rosh und die Designerin Jette Joop sind mit auffallend großen Autos abgebildet. Je größer der berufliche Erfolg, desto größer wird auch der Wagen?

Ja, ein Auto ist auch für Frauen ein Statussymbol. Darin unterscheiden sie sich null Komma null null von Männern. Mit denen müssen sie ja auch mitziehen, wenn sie erst mal in einer bestimmten Position gelangt sind.

Fahren Sie Ihren alten Scirocco noch?

Nein, den musste ich verschrotten. Jetzt fahre ich einen hässlichen Opel Corsa. Ich träume von einem Citroën Pluriel. Den kann man mit 100 Kilo beladen, als Cabriolet, als Coupé und Limousine umfunktionieren, und der ist so robust, dass ich mich beim Fotografieren auch mal draufstellen kann, wenn ich keine Leiter dabei habe.

Können Sie sich den Citroën noch nicht leisten, wirft Aviva nicht genug ab? Mit Anzeigenkunden siehts ja wahrscheinlich gerade nicht gut aus.

Anfangs hatten wir große Kunden wie Dussmann, doch die sind uns nach fünf Jahren weggebrochen, aus dem einfachen Grunde, weil die Chefin entlassen wurde. Damit verloren wir auch einige Verlage als Anzeigenkunden. Im Moment ist es total schwierig. Jetzt wollte ein Kunde bei uns nicht werben, weil wir ihm zu lesbisch und zu jüdisch seien.

Das war nicht das erste Mal, dass Sie als jüdische Frau angegriffen wurden.

Als ich am Jahresanfang die Pro-Israel-Demo mitorganisiert habe, habe ich viele Hassmails bekommen. Auf StudiVZ wurden mein Name und meine Adresse veröffentlicht, und da wurde mir echt etwas mulmig. Ich hab meiner Tochter eingeschärft: Ich will unbedingt wissen, wo du bist, und du hast dein Handy immer anzuhaben. In der Zeit hab ich sie überall hingebracht. Ich bin in diese Geschichte sehr blauäugig rein, ich wollte eigentlich gar keine Demo machen.

Aber was wollten Sie dann? Die Kämpfe im Gazastreifen waren dramatisch, und auch in Berlin war die Stimmung zu der Zeit sehr aufgeheizt.

Ich bin Pazifistin, und mir ging es nicht darum zu glorifizieren, was da gerade vor sich geht, sondern darum, mal zu diskutieren, welche Rolle auch die Medien spielen mit ihrer Berichterstattung. Sie kreieren oft ein sehr einseitiges Bild zugunsten der Palästinenser. Darüber wollte ich diskutieren - und weiter nichts. Und dann wurde das Ganze irgendwie immer größer. Aber am Ende ist nichts passiert.

Sie stammen ja aus einer jüdischen Familie. Haben Sie mal in Israel gelebt?

Nein, aber ich war früher jeden Sommer da, weil meine Großmutter während des Krieges nach Palästina emigriert ist. Sie hat aber meine Mutter zurücklassen müssen, die in Holland überlebt hat, bei einer Familie versteckt. Ich ärgere mich bis heute, dass ich meine Großmutter nie gefragt habe, wie das eigentlich genau war. Und nun lebt sie nicht mehr.

Und Ihre Mutter ist dann nach Kriegsende wieder zurück nach Berlin gegangen?

Nein, sie war hier in Berlin im Displaced-Persons-Camp, und zwar in Schlachtensee und ist dann über das Internationale Rote Kreuz nach Palästina gekommen und hat da ihre Mutter wiedergefunden. Sie war ein paar Jahre da, wollte aber wieder nach Europa zurück, hat erst in Istanbul gelebt, später wieder in Holland und Deutschland.

Sie wurden in Berlin geboren. Spielten jüdische Traditionen in Ihrer Erziehung eine Rolle?

Meine Urgroßmutter hat mich in Berlin mit aufgezogen, da meine Mutter nach einem Motorradunfall sehr lange im Krankenhaus lag. Meine Urgroßmutter hat in Berlin überlebt, sie war mit einem Christen verheiratet, hat sich aber auch eine Zeit lang versteckt. So hatte sie ihr Jüdischsein immer verstecken müssen und feierte dann halt Weihnachten und auch nach dem Krieg nur noch Weihnachten. Meine Großmutter in Israel war sehr liberal, da spielten die Traditionen auch nicht so eine Rolle. Erst meine Mutter hat mich dann irgendwann in die Synagoge und in die Jüdische Gemeinde geschleppt und versucht, ein jüdisches Bewusstsein bei mir zu entwickeln aus dem wenigen, was sie wusste.

Sie sagten, Sie haben Ihre Großmutter regelmäßig in Israel besucht. Wie war das Verhältnis zwischen ihr und Ihnen, der deutschen Enkelin?

Man kann wirklich nicht sagen, dass es die große Liebe auf den ersten Blick war, als wir uns kennenlernten.

Wie alt waren Sie da?

Ich glaub, als ich elf oder zwölf war, hat meine Mutter mich das erste Mal allein hinfahren lassen. Da war eine Fremdheit, und die Fremdheit bestand auch darin, dass ich halt die war, die immer noch in Deutschland lebte. In dieser Zeit, also in den 70ern, da war es wirklich noch so, dass die Deutschen einfach nicht gut angesehen waren. Meine Großmutter hat von Deutschland nie Wiedergutmachung angenommen. Ich wurde auch nie einfach nur als ihre Enkelin vorgestellt, sondern immer: meine Enkelin aus Deutschland. Sie war eine sehr schroffe und introvertierte Frau und sehr traumatisiert. Sie hat nie wieder einen Fuß nach Deutschland gesetzt, und es herrschte immer eine bedrückende Atmosphäre bei ihr.

Haben Sie das als Kind verstanden?

Erst später, als ich älter wurde. Meine Mutter hat mir viel berichtet - angefangen damit, dass sie mir als Gute-Nacht-Geschichten Geschichten, die sie aus Konzentrationslagern gehört hatte, erzählt hat oder auch von ihrem eigenen Versteck. Das war nicht ohne für ein kleines Kind, das das gar nicht einordnen kann. Auch diese zweite und dritte Generation, die nicht direkt betroffen waren, mussten viel aushalten.

Sie machen ein Internetportal für Frauen, fotografieren Frauen, und auch in Ihrer Familie scheinen die Männer abwesend zu sein.

Ja, das stimmt. Ich kenne weder meinen Vater noch meinen Großvater, den Mann meiner Großmutter, die emigriert ist. Der ist in Ausschwitz ermordet worden, das weiß man. Den Mann meiner Urgroßmutter, den kenn ich auch nicht. Und mit dem Vater meiner Tochter lebe ich auch nicht mehr zusammen.

Haben die Frauen Ihrer Familie etwas gemeinsam: Gibt es etwas, das sie über die Generationen verbindet?

Eigentlich sind alle von meiner Urgroßmutter bis zu meiner Tochter, also alle fünf Generationen, in Berlin geboren. Das ist die einzige Linie, die es gibt. Na, und das Durchhaltevermögen. Alle haben nie aufgegeben und waren Kämpferinnen oder auch Feministinnen, obwohl meine Mutter das weit von sich weisen würde. Aber das haben wir gemeinsam, und das brauche ich auch für Aviva, dieses Durchhaltevermögen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • J
    Jennifer

    Das ist das beste Interview, das ich seit Jahren gelesen hab!