Montagsinterview Janko Lauenberger: „Ich war als Junge ein Großmaul“

Janko Lauenberger wuchs in einer Sinti-Familie in Berlin-Lichtenberg auf. Seit seiner Kindheit spielt er in der Band Sinti Swing. Ein Gespräch über Musik und Sinti in der DDR.

Janko Lauenberger Bild: Joanna Kosowska

taz: Herr Lauenberger, stimmt es, dass Sie eigentlich Django heißen sollten?

Janko Lauenberger: Ja, aber meinen Eltern wurde das von den Behörden der DDR nicht gestattet. Deshalb haben sie sich mit Janko für einen Vornamen entschieden, der wenigstens ein bisschen ähnlich klingt.

Was mochten Ihre Eltern so sehr an Django Reinhardt, dass Sie ihr Kind nach ihm benannten?

Familie: Janko Lauenberger wurde 1976 geboren und wuchs in Lichtenberg auf. Seine Großmutter war das Vorbild für die Figur Kaula aus dem Kinderbuch "Ede und Unku" von Grete Weiskopf, das in der DDR Schullektüre war. Kaula war die einzige von elf im Buch erwähnten Sinti, die Auschwitz überlebt hat. Janko Lauenbergers Familie war eine der größten Sinti-Familien in der DDR, in der es insgesamt nur etwa 300 Sinti gab. Mit neun Jahren wurde Lauenberger aus der Familie gerissen und kam in ein Kinderheim in Thüringen, in dem er "kollektivfähig" gemacht werden sollte. Er wohnt allein in Lichtenberg.

Beruf: Janko Lauenberger spielt seit seiner Kindheit bei der Band Sinti Swing Gitarre. Sinti Swing wurde 1984 von seinem Vater und drei Brüdern seiner Mutter gegründet und musiziert im Stil von europäischem Jazz und Sintimusik nach der Art von Django Reinhardt. Sie war in der DDR berühmt und hat bis heute viele Fans. Außerdem spielt Janko Lauenberger bei der Band Gipsy Gentlemen.

Termine: Sinti Swing spielen das nächste Mal am Samstag, 8. September, um 20 Uhr im Garbaty in der Mühlenstraße 30; Gipsy Gentlemen am Donnerstag, 27. September, um 20.30 Uhr in Clärchens Ballhaus, Auguststraße 24

Mitte der sechziger Jahre kam in der DDR die erste Platte von ihm auf den Markt. Die hatten meine Eltern natürlich sofort. Das hat alles verändert. Es war genau die Musik, die sie in meiner Familie spielen wollten. Django Reinhardts Art, Jazz und Swing zu spielen und mit der Musik der Roma zu vermischen, ist etwas ganz Besonderes. Wir Sinti haben das Gefühl, dass uns seine Musik extrem entspricht – weil wir unsere Kultur immer mit der vermischt haben, in der wir leben.

Wie sind Sie selbst zur Musik gekommen?

Sinti mussten seit dem Mittelalter auf Berufe zurückgreifen, die wir ausüben durften und auf die Reise mitnehmen konnten. Es ist also gar nicht so originell, dass meine Eltern beide aus Musikerfamilien kommen. Die Musik war immer präsent, und ich bin da reingewachsen. Wenn die Familie abends zusammenkam, wurde musiziert. Die Gespräche drehten sich auch immer um die Musik. Ich habe mir oft die Gitarre meines Vaters geschnappt und mir in meinem Zimmer eine Bühne aufgebaut. Die Kochtöpfe waren mein Schlagzeug, der Besenstiel war mein Mikro und das Bügelbrett war mein Keyboard. Und dann habe ich laut Michael Jackson aufgedreht.

Was sind Ihre ersten Erinnerungen an die Band Sinti Swing, die von Ihren Onkeln und Ihrem Vater gegründet wurde?

Als Sinti Swing geründet wurde, war ich noch klein. Ich war immer bei den Proben und habe zugehört. Dann hat mir mein Vater ein, zwei Griffe gezeigt, sodass ich ein paar Lieder begleiten konnte. So war ich schon als Junge mit zehn oder elf Jahren auf der Bühne. Ich war sofort infiziert.

Wie war das, als kleiner Junge auf der Bühne zu stehen?

Ich erinnere mich genau an den ersten Auftritt. Plötzlich fühlte sich alles an wie in Zeitlupe. Meine Finger wurden steif. ich war wie blockiert vor lauter Aufregung. Es hat viele Jahre gedauert, bis das besser wurde.

Heute spielen Sie die Leadgitarre bei Sinti Swing. Wie kam es dazu?

Ich habe viel von meinem Vater und den Onkeln gelernt, später habe ich dann von Ferenc Snétberger Unterricht bekommen. Ferenc ist ungarischer Roma, ein fantastischer Gitarrist. Ich bin ihm zum ersten Mal auf der Beerdigung eines Onkels begegnet, der einer der Ersten war, der nach dem Lager wieder angefangen hatte, Musik zu machen. Ferenc hat auf seiner Beerdigung gespielt. Das war so offen und so frei, dass es für mich wie eine Eingebung war. Trotzdem hat es lange gedauert, bis ich so viel durfte bei Sinti Swing. Ich bin ja schon mit 16 richtig bei der Band eingestiegen. Erst mit 23 habe ich die Leadgitarre übernommen, als mein Onkel gestorben ist.

Haben Sie je darüber nachgedacht, Musik zu studieren?

Ich habe mit vielen Absolventen und Lehrern von Musikhochschulen gespielt, die mir immer gesagt haben, ich soll da nicht hingehen, sondern einfach Noten lernen. Mit 20 wäre ich gern auf so eine Schule gegangen, damals hätte ich alles dafür getan. Aber dazu war ich in der Schule zu schlecht gewesen. Ich bin also Autodidakt. Erst jetzt versuche ich, Noten zu lernen. Das ist sehr schwer.

Ich habe gehört, dass Sie einen sehr lustigen Spitznamen haben.

Ja, Stachel. Auf Romanes heiße ich Stachlengro, also Igel. Meine Mutter hat mich so genannt, weil mir als Kind immer die Haare zu Berge standen.

Warum wollen eigentlich die meisten Sinti und Roma nicht, dass Außenstehende ihre Sprache lernen?

Das ist Selbstschutz. Wir haben nicht viel. Wir haben kein Land, keine Schrift, keine Bücher. Wir haben nur, wie wir miteinander reden und umgehen. Das wollen wir nicht preisgeben.

Sprechen Sie zu Hause ausschließlich Romanes miteinander?

Gemischt, aber mehr Romanes als Deutsch, ja. Ich habe erst mit vier Jahren Deutsch gelernt. Und mit meiner Tochter spreche ich ausschließlich Romanes.

Noch einmal zurück zu Ihrem Namen: Gibt der Name Auskunft über Ihren Charakter?

Stachelig, widerspenstig, das bin ich wohl. Ich war unerträglich frech als Junge, ein Großmaul. Das gibt richtig gute Musik.

Möchten Sie über Ihre Erfahrung sprechen, als Sie ins Kinderheim mussten?

Lieber nicht. Das war bloß ein halbes Jahr. Es war ein Schock, aber es tut heute nicht mehr weh. Es hat mich nicht verändert. Ich habe es ein paar Mal erzählt, genug darüber nachgedacht und es abgehakt. Ich bin nicht der Typ, der gern rumheult.

Waren Sie im Heim, weil Sie Sinto sind?

Nein, ich war im Heim, weil meine Eltern einen Ausreiseantrag gestellt haben. So wurden damals viele unter Druck gesetzt, die man nicht ziehen lassen wollte.

Sie sind ja, indem Sie ein Sinto sind, kein typischer Ostdeutscher.

Gute Sache, ja.

Fühlen Sie sich trotzdem als Ostdeutscher verletzt, wenn nun ein westdeutsches Medium wie die taz wissen will, wie schlimm es in der DDR war – auch in Bezug auf die Diskriminierung der Sinti?

Natürlich, denn für uns war Rassismus in der DDR nicht schlimmer als für andere, nur anders. Als Kind fand ich es natürlich schlimm, dass ich immer auf meine Hautfarbe angesprochen wurde. Aber Kinder sind eben so. Außerdem: Die Leute waren andere Hautfarben in der DDR einfach nicht gewohnt. Da wurde schon oft ängstlich reagiert und nicht so neugierig, wie ich mir das gewünscht hätte. In vielen Dörfern oder Kleinstädten Im Osten wird man heute immer noch schlimm angemacht. Ich weiß auch nicht, was mit den Ossis los ist.

Und wie ist es bei den Wessis?

Da passieren auch komische Sachen. Neulich haben wir zum Beispiel auf einem Golfertreffen gespielt. Da tanzte dann so ein betuchter Herr mit seiner Dame, die ihre Handtasche in meiner Nähe abgelegt hatte. Und dann guckte der immer so komisch. Plötzlich schnappt er sich die Handtasche, klemmt sie seiner Tanzpartnerin unter den Arm und dreht sie dann beim Tanzen ganz elegant von mir weg. Das knallt manchmal noch, das tut weh. Wahnsinn. Zum Glück kann ich jetzt darüber lachen.

Einerseits war die Gruppe Sinti Swing in der DDR anerkannt, Sie sind sogar einige Male im Fernsehen aufgetreten. Andererseits hatte auch dieser angeblich so antifaschistische Staat Probleme, die Sinti und Roma als Verfolgte des Naziregimes anzuerkennen und zu entschädigen. Empfinden Sie das nicht als Widerspruch?

Die DDR war ein einziger Widerspruch. Die haben sich halt gern geschmückt mit den Sinti. Aber wenn es ums Eingemachte ging, wenn es Probleme gab, dann waren sie sofort überfordert.

Wünschen Sie sich trotzdem noch manchmal die DDR zurück?

Jaaa!

Warum?

Es ist ein Klischee, aber es ist trotzdem was Wahres dran: Die Leute sind netter miteinander umgegangen. Als Kind in der DDR aufzuwachsen, das war richtig toll. Ich war 13, als die Mauer fiel. Das war genau zum richtigen Zeitpunkt. Wäre sie später gefallen, wäre es wahrscheinlich schwierig für mich geworden. Ich wäre denen zu rebellisch gewesen.

Und wie haben Sie den Mauerfall empfunden?

Das war super. Unsere Familie war auf einen Schlag wieder doppelt so groß wie vorher. Es gab ja nur 300 Sinti im Osten. Wir waren hier in Berlin die Kernfamilie. Dann gab es noch eine große Familie in Halle und eine weitere in Thüringen.

Ist Ihre Familie sehr groß?

Meine Mutter hatte sieben Geschwister, mein Vater drei im Osten und vier Halbgeschwister im Westen. Mein Großvater war zweimal verheiratet. Ich selbst habe einen Bruder und eine Schwester, dafür aber einen Haufen Cousins und Cousinen.

Haben Sie gute Erinnerungen an Ihre Großeltern?

Meine Großeltern mütterlicherseits waren mir sehr wichtig. Das waren Kurt und Helene Ansin. Helene Ansin ist das Vorbild für Kaula aus dem Kinderbuch „Ede und Unku“ von Grete Weiskopf. Das Buch war in der DDR sehr berühmt. Es wurde auch verfilmt. Meine Großmutter war eine der elf Sinti, die in diesem Buch beschrieben werden. Sie war die einzige von ihnen, die Auschwitz überlebt hat.

Und Ihr Großvater?

Mein Großvater war der einzige Überlebende von elf Geschwistern. Nur seine Mama und er sind übrig geblieben. Das muss man sich vorstellen: Die wollten uns wirklich ausradieren. Mein Großvater war später ein gebrochener und kaputter Mann. Aber wir sind ein sehr stolzes Volk. So war es das Ziel meines Großvaters, wieder einen großen Clan aufzubauen – auf dass wir wieder ganz viele werden.

Hat er das geschafft, obwohl er selbst kein glücklicher Mann mehr werden konnte?

Mein Opa hatte trotzdem viel Kraft. Er war der Kopf und hat alles zusammengehalten. Das hat er meiner Mutter vererbt. Meine Mutter ist hellwach. Und sie trägt unsere Familie.

Wo liegen denn die Unterschiede zwischen Sinti und Deutschen, wenn es um die Familie geht?

Bei uns ist es lauter. Ich will wirklich nicht prahlen, aber bei uns ist es auch herzlicher. Wir gehen ehrlicher miteinander um, gehen tiefgründiger aufeinander ein. Wir halten mehr zusammen als viele deutsche Familien. Ich möchte ein Beispiel erzählen: Wenn ich als Kind bei einem deutschen Schulfreund eingeladen war, dann konnte es passieren, dass die Eltern nicht zu Hause waren und dass die Küche und das Wohnzimmer verschlossen waren. Ich konnte mir das als Kind überhaupt nicht erklären. Manchmal wurde ich auch weggeschickt, wenn das Abendessen fertig war. So etwas gab es bei meiner Mutter nicht. Die wollte ja auch wissen, mit wem ich so befreundet bin. Und wo lernt man jemanden besser kennen als beim Essen?

Wovon träumen Sie als Musiker?

Ich bin schon mittendrin in meinem Traum. Ich habe meine Berufung zu meinem Beruf gemacht, ich bin mit tollen Leuten zusammen und lerne ständig neue tolle Leute kennen. Und schöne Träume können nur noch besser werden.

Können Sie von der Musik leben?

Inzwischen schon, ja. Zumindest meistens. Wir treten ja bis zu 150-mal im Jahr auf.

Aber nicht nur mit Sinti Swing, richtig?

Ich habe noch eine andere Band, die Gipsy Gentlemen. Da sind Pan Marek aus Weißrussland und Eugen Miller aus Kasachstan dabei. Wir spielen auch Musik von Django Reinhardt, allerdings eher spätere Sachen, als er viel mit elektrischen Gitarren gespielt hat. Das war wilder, schneller und rhythmischer, mehr Richtung Bebop. Es ist lustig: Pan und Eugen haben in ihrer Heimat viel Django Reinhardt gehört, hatten aber trotzdem nie die Gelegenheit, mit Sinti zu spielen. Dort wird eher Balkan-Musik gespielt.

Wie unterscheidet sich die Musik der Sinti und Roma?

Wir Sinti sind westlicher. Wir haben unsere Musik immer stärker vermischt mit der Musik der Region, in der wir gerade leben.

Sie mögen keine Folklore?

Nein, überhaupt nicht. Ich mag es, wenn in der Musik viele Einflüsse zusammenkommen. Django Reinhardt ist absolut mein Ding. Aber ich habe auch mal das Bedürfnis, andere Musik zu machen. Ich liebe alle Arten von Jazz, nicht nur den von Django Reinhardt.

Und schreiben Sie auch selbst Songs?

Ja, aber die kommen mir nach einer Weile immer so belanglos vor. Es ist schwer, einen Song für die Ewigkeit zu schreiben. Also: Darauf warte ich noch ein bisschen.

Wie wird es weitergehen mit Ihnen als Musiker?

Sinti Swing treten leider nur noch relativ wenig auf. Das ist schade. Ich hoffe, wir werden noch ein paar Jahre spielen, aber die meisten sind ja nicht mehr ganz jung. Es geht ja jetzt schon los, dass die alten Herren keine Lust mehr haben, weite Touren zu machen. Neulich wurden wir zum Beispiel nach Augsburg eingeladen. Das kann man sich gar nicht vorstellen, was da los war wegen dieser Fahrt. Die wollen nicht mehr.

Und was machen Sie, wenn Sie selbst mal alt sind?

Ich verdränge das. Ich habe noch nie Geld in irgendeine Rentenversicherung eingezahlt und werde das auch nie tun. Ich denke, ich werde so lange spielen, bis ich tot umfalle.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.