Montagsinterview Bankchefin Jacqueline Tag: "Frauen müssen ihre Bescheidenheit ablegen"
Sie hat sich nie als "besserer Mann" durchsetzen wollen, sondern als Frau - und sie hat es geschafft: Jacqueline Tag führt die Investitionsbank des Landes Brandenburg.
taz: Frau Tag, Sie sind im Vorstand einer der 100 größten Banken Deutschlands, und Sie sind eine Frau. Was machen Sie besser als andere Frauen?
Jacqueline Tag: Ich bringe eine gesunde Portion Ehrgeiz mit und sicherlich auch ein ausgeprägtes Leistungsverhalten. Ich persönlich stelle an mich und andere einen hohen Anspruch und lege Wert auf einen fairen und offenen Umgang. Und ich hatte sicherlich das Glück, in meiner Laufbahn auf Vorgesetzte zu stoßen, die diese Eigenschaften geschätzt und mir dadurch hohes Vertrauen entgegengebracht haben, wodurch ich mich entwickeln konnte.
Die Aufbauhelferin: Nach Stationen bei der Bankenaufsicht und dem Bundesfinanzministerium wechselt die Diplomkauffrau zu Wendezeiten nach Brandenburg. Dort baut sie die unter anderem die Sparkassenaufsicht und die Förderbank des Landes auf; 2001 wechselt sie in den Vorstand dieser Förderbank, der Investitionsbank des Landes Brandenburg (ILB). Sie arbeitet gleichberechtigt neben ihrem Vorstandskollegen.
Die Bankerin: Kerngeschäft der ILB ist die Förderung öffentlicher und privater Investitionsvorhaben. Die 53-Jährige kümmert sich ums Kreditmanagement, das Kreditrisikomanagement sowie um Immobilienkunden; auch Revision, IT und Rechnungswesen zählen zu ihren Aufgaben. Sie sitzt zudem in der Jury zur Wahl der Unternehmerin des Jahres.
Der Familienmensch: Die Baden-Württembergerin lebt mit ihrem Mann und der 13 Jahre alten Tochter in Kleinmachnow. "Mein Hobby ist meine Familie", sagt sie.
Dieser Ehrgeiz ist Ihnen anzumerken. Sie vermitteln den Eindruck, dass bei Ihnen Leistung zählt. Vermissen Sie dieses Durchsetzungsvermögen bei anderen Frauen?
Nein. Ich denke, wir haben sehr viele qualifizierte Frauen in unterschiedlichen Bereichen, die alle leistungsbereit sind. Vielleicht müssen sich Frauen noch offensiver um Führungspositionen bewerben, auch darum kämpfen. Und sie müssen sich besser selbst vermarkten. Männer sind ausgesprochen konkurrenzorientiert. Wenn es Erfolge zu vermelden gibt, werden diese auch vermeldet. Frauen sind wesentlich bescheidener, aber leider ist dies keine Managertugend.
Wie vermarkten sich Männer?
Männer sprechen, egal ob sie sich zum Essen treffen oder bei Fachmeetings, über ihre Vorhaben und Erfolge. Sie verkaufen auch Lösungen als Erfolge, die Frauen als selbstverständlich ansehen. Letztere würden eher sagen: Ich habe hier eine Lösung gefunden, gehen wir zur nächsten Thematik.
Das müsste doch jeden Chef und jede Chefin freuen - eine effiziente Mitarbeiterin, die sich nicht auf Teilerfolgen ausruht.
Das kann sein. Aber Selbstmarketing heißt auch, ich mache auf mich und meine Leistungen aufmerksam. Wenn ich alles nur im stillen Kämmerlein tue, bekommt keiner davon etwas mit.
Haben Sie als Vorstand und Frau eine Chance, an diesem Verhalten etwas zu ändern?
Wenn ein Mitarbeiter, egal ob Mann oder Frau, eine gute Leistung zeigt, ist es ganz selbstverständlich, dass ich diese würdige. Es geht aber mehr darum, dass der oder die Einzelne seinen beziehungsweise ihren Einsatz kommuniziert, damit die Kollegen und die Führungskräfte auf diese besondere Leistung aufmerksam gemacht werden.
Wie wichtig sind Netzwerke?
Sie sind generell sehr wichtig, weil dabei Kontakte geknüpft werden. Es ist richtig, dass Netzwerke bei Männern Normalität sind, sie sind gewachsen. Frauen haben Nachholbedarf, wobei weibliche und männliche Netzwerke aus meiner Erfahrung anders funktionieren. Ich würde Frauen empfehlen, sich stärker in Netzwerken zu engagieren - sie können Türen öffnen.
Kommen Frauen in traditionelle informelle Netzwerke überhaupt hinein?
Es kommt immer auf die Branche und das Unternehmen an. Geschlossene Männernetzwerke funktionieren anders, als es viele Frauen gewohnt sind. Da spielen oft auch Themen eine Rolle, für die Frauen unter Umständen keine Leidenschaft entwickeln könnten.
Zum Beispiel?
Man tauscht sich über Erfolge aus oder über Hobbys und Sportarten, man will ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Da fühlen sich Frauen unter Umständen nicht besonders wohl. Ich möchte Frauen auch nicht empfehlen, unbedingt die besseren Männer werden zu wollen. Das wäre der falsche Weg.
Ich muss nicht die Bundesliga-Tabelle im Kopf haben, um mich behaupten zu können?
Nein.
Sollten Frauen bei solchen Gesprächen sagen: Das interessiert mich nicht?
Nein, aber ich könnte etwa ein anderes Thema anschneiden, was für meinen Gesprächspartner genauso interessant ist wie zum Beispiel Fußball.
Sie hatten ja selbst eine Art Mentorin für Ihren Berufsstart.
Das stimmt. Ich bin damals kurz vor Abschluss meines Studiums von einer Frau angesprochen worden, die mich aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrer Fachkompetenz sehr beeindruckt hat, das war die damalige Präsidentin der Bankenaufsicht. Sie hat mich für eine Tätigkeit bei der Bankenaufsicht angeworben. Ich habe an dieser Tätigkeit sehr viel Spaß gehabt. Ich fand es faszinierend, Anfang der 80er-Jahre in so einer männerdominierten Behörde zu arbeiten, die von einer derartig toughen Frau geführt wurde - und dass diese Frau absolut akzeptiert wurde.
Was zeichnete diese Frau aus?
Sie hat Punkte sehr offen angesprochen, ist direkt auf Leute zugegangen, sie war aber auch eine absolut harte Verhandlungspartnerin. Das heißt, die Männer, mit denen sie ja meistens in Verhandlungen stand, wussten, dass sie im Bedarfsfall kompromisslos agieren konnte. Aber sie hat auch immer die Möglichkeit gesucht, eine tragfähige Lösung zu finden.
Sie erwecken den Eindruck, als hätten Sie diese Eigenschaften übernommen - fair, aber hart. Ideal, um sich im Konkurrenzkampf einer männerdominierten Branche durchzusetzen. Wie ging es denn für Sie weiter?
Mitte der 80er-Jahre bin ich ins Bundesfinanzministerium gewechselt und hatte dort sehr spannende und anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen, wie zum Beispiel Privatisierung von Kreditinstituten oder die Mitarbeit am Einigungsvertrag. Mit der Wende bin ich angesprochen worden, ob ich als Aufbauhelferin im Land Brandenburg zur Verfügung stehen würde.
Hatten Sie im damaligen Westdeutschland das Gefühl, dass Sie wegen Ihres Geschlechts anders behandelt werden?
Ich hatte nie das Gefühl, dass ich anders behandelt werde. Wer Karriere macht, muss mit Konkurrenz und Widerständen rechnen, das ist völlig normal. Ich hatte ganz zu Beginn meiner beruflichen Karriere einmal ein nettes Erlebnis gehabt: Als junge Frau von Mitte 20 sollte ich als Vertreterin der Bankenaufsicht an einer Aufsichtsratssitzung einer Bank teilnehmen. Als ich mich angemeldet hatte, waren die Herren der Auffassung, ich wolle sicherlich zu dem parallel laufenden Damenprogramm.
Wie haben Sie reagiert?
Ich war zunächst konsterniert, dann aber eher amüsiert als wütend. Das Missverständnis war den Herren sehr peinlich. Mir ist seinerzeit klar geworden, wie weit unsere Gesellschaft von einer Gleichberechtigung in der beruflichen Sphäre noch entfernt war. Und allzu viel hat sich leider noch nicht geändert.
Erstaunlich professionell, wo Sie doch damals erst am Anfang Ihrer Laufbahn standen! Sie hätten ja auch emotional reagieren können. Die Männerwelt haben Sie mit Ihrem Verhalten sicher beeindruckt.
Interessanterweise ist meine Karriere sowohl von Frauen als auch von Männern gefördert worden. Ich glaube auch, dass der Mentalitätswandel in Sachen beruflicher Gleichberechtigung schneller voranschreiten wird. Die jungen Frauen von heute haben ein anderes Selbstverständnis; sie tragen dieses Selbstverständnis in ihre Familie hinein.
Das heißt, erfolgreiche Väter müssen akzeptieren, dass Frauen ein anderes Karriereverständnis haben?
Väter lernen innerhalb der Familie, auf welche Probleme Frauen noch heute stoßen. Ich denke, das bewirkt einen Umdenkprozess, der Erfolg haben wird.
Aber wenn Kinder da sind, ist es in der Regel die Frau, die Teilzeit arbeitet.
Das ist richtig. Es entspricht noch oft dem traditionellen Rollenverständnis. Aber es ist heute schon möglich, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Natürlich muss man Kompromisse eingehen. Ich weiß, wovon ich rede - ich habe selbst Familie und eine Tochter im Teenageralter. Ich sehe sehr genau, dass es eines gewissen Organisationstalents bedarf, alles unter einen Hut zu bringen. Diese Mehrfachbelastung haben meistens die Frauen - auch Frauen in Führungspositionen legen das Frausein nicht ab, haben am Familienleben teil. Sie haben aber zunehmend emanzipierte Männer, die ein berufliches Fortkommen von Frauen unterstützen.
Wie halten Sie es in Ihrem Unternehmen mit der Frauenförderung?
Wir haben einen Frauenanteil von mehr als zwei Dritteln. Das ist an und für sich im Bankenwesen nichts Ungewöhnliches. Worauf wir aber stolz sind, ist, dass 50 Prozent unserer Führungskräfte weiblich sind, bis hin in den Vorstand.
Ging das einfach so?
Bei uns haben sich die Frauen wirklich über ihre Qualifikation durchgesetzt; wir haben keine spezielle Frauenförderung betrieben. Aber die Bank gibt es ja auch erst seit 1992, und einer der wesentlichen Gründe für die hohe Frauenquote ist sicherlich, dass das Unternehmen aus dem Stand aufgebaut wurde und jeder die Chance hatte, sich entsprechend seiner Leistung einzubringen.
Bei anderen Banken gibt es doch auch qualifizierte Frauen!
Deren Qualifikation wird sicher auch erkannt. Aber ältere Unternehmen haben andere Hierarchien und ein wesentlich ausgeprägteres Konkurrenzverhalten. Wir gehen hier sehr fair miteinander um. Bei uns zählt die Leistung und nicht das Geschlecht.
Wie äußert sich das?
Ich merke das in Konfliktsituationen, bei fachlichen Fragen: Die Lösung steht im Vordergrund, nicht Grabenkämpfe. Und wenn das bei einem Mitarbeiter einmal nicht so ist, wird das in einem Gespräch thematisiert.
Kennen Sie alle persönlich?
Wir haben etwa 500 Mitarbeiter. Ich muss gestehen, ich kenne nicht alle persönlich.
Persönliche Kontakte?
Meine Tür steht offen. Grundsätzlich. Ich trenne aber Berufsleben und Privatleben. Ich bin auch kein Freund vom Duzen. Das ist nicht mein Stil.
Wie hat denn in Ihrem Privatleben der Abgleich von Karriere und Familie geklappt?
Für meinen Mann und mich war es selbstverständlich, dass wir versuchen, uns bei der Betreuung des Kindes abzuwechseln. Natürlich waren wir darauf angewiesen, dass wir eine gute externe Betreuung hatten. Aber es gab bei uns nie die Diskussion, dass ich als Frau zurückzustecken hätte, weil wir ein Kind bekommen. Und als ich beruflich weiter Karriere gemacht habe, war mein Mann durchaus bereit, mich zu unterstützen und im familiären Bereich zu entlasten.
War das für Sie normal?
Ja. Die Rollentradition, wonach die Frau zu Hause bleibt und der Mann das Geld verdient, hat sich überlebt. Mein Mann teilt diese zeitgemäße Denkweise.
Wo liegt der Reiz, 60 Stunden pro Woche zu arbeiten?
Meine Tätigkeit ist herausfordernd und sehr interessant, ich empfinde sie nicht als belastend. Ich kann mich mit meinen Aufgaben identifizieren, Ziele vorgeben, wichtige Entwicklungen anstoßen und strategische Entscheidungen treffen.
Wie sieht das Ihre Tochter?
Meine Tochter weiß, dass mein Arbeitstag lang ist, und sie nimmt wahr, dass ich eine Tätigkeit ausübe, die noch nicht die Normalität für Frauen darstellt. Das ist ihr durchaus bewusst. Sie weiß aber auch, dass die verbleibende Zeit der Familie gehört.
Würden Sie eine Quote befürworten, wenn diese Ihrer Tochter gleichberechtigte Karrierechancen öffnet?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen die gleichen beruflichen Aufstiegschancen haben müssten wie Männer. Und wenn dies nicht als selbstverständlich angesehen wird, müssen gegebenenfalls Maßnahmen ergriffen werden, um dieses Grundrecht durchzusetzen. Ich bin keine Verfechterin einer Quote. Aber wenn es trotz Lippenbekenntnissen und Selbstverpflichtungen in der Wirtschaft keine Fortschritte bei der Besetzung von Führungspositionen mit Frauen gibt, ist es meiner Meinung nach durchaus legitim, dass Quoten eingeführt und durchgesetzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker