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Stimme meiner Generation

Monogam oder polyamor? Ich will freie Liebe!

Aron träumte von einer offenen Beziehung, wollte aber Mina für sich allein haben. Mina dagegen lebte Polyamorie. Nun treffen sie sich wieder.

Aron will herausfinden, wie „freie Liebe“ funktioniert Foto: Ruth Fuentes

Von Aron Boks

taz FUTURZWEI, 22.09.22 | Vor Kurzem habe ich in einem Text davon erzählt, dass ich mir eine offene Beziehung prinzipiell vorstellen könnte. Weil das einfach gut klang.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Ich fühlte mich aber sofort wie damals, als ich vor sechs Jahren aus dem Harz nach Berlin gezogen bin und mich in Windeseile und aus Prinzip von allen bisher gekannten Konventionen befreien wollte. Das bedeutete, links zu wählen, Damenhosen zu kaufen und mich für die „freie Liebe” zu interessieren, die aber sehr bald Mina hieß. Sie erklärte mir dieses Konzept vor Jahren, als ich mich gerade in sie und nur sie verliebt hatte und dann bemerkte, damit nicht der Einzige zu sein.

„Sieh das doch mal als Vorteil!”, hatte sie gesagt. „Wir können uns dann fragen, wie es mit wem anders war, anstatt eifersüchtig zu sein.”

„Klingt super!”, hatte ich ihr geantwortet.

Und das war es ja auch. Bis sie dann wirklich von jemand anderem erzählte, ich eifersüchtig wurde und wir uns entschieden, Freunde zu sein. Und wir wurden solche, die sich monate- oder jahrelang nicht sehen, plötzlich im Leben des anderen auftauchen und genau dort weiterreden, wo sie aufgehört haben. Nur nicht beim Thema „Beziehungen”.

Bis heute nicht.

Auch wenn es viel zu erzählen gäbe: Immerhin bin ich seit fast einem Jahr mit Elena zusammen – und Mina nennt Knut seit einiger Zeit ihren Freund. Das ist neu für sie. Aber natürlich ist sie trotzdem in einer offenen Beziehung. Im Gegensatz zu vielen meiner Freunde sprach sie nicht nur von Polyamorie – sie lebte sie auch konsequent aus. Es war mir immer peinlich, mit ihr ernsthaft über meine Beziehung zu reden, schließlich fühlte ich mich fast provinziell spießig im Gegensatz zu ihr und ihrem progressiven Freiheitsverständnis. Also vermied ich das Gespräch bis zum heutigen Tag, an dem sie anrief, um sich mit mir zu verabreden.

Emotional entfalten

Den Weg zu ihrer Wohnung in Kreuzberg gehe ich zu Fuß. Entlang des Kanals, vorbei an Kaffeeständen und Menschen, die in der Septembersonne am Ufer mit geschlossenen Augen und Kaffee in Einmachgläsern so lange und konzentriert dasitzen, als würden sie damit noch schnell Spätsommerwärme auf Vorrat speichern.

Wie Mina und ich es früher oft getan haben, wenn wir hier über fast alles diskutierten, was im Leben der anderen Person so abging.

Sicher werden wir gleich bei ihr zum ersten Mal über unsere jeweiligen Beziehungen reden. Und eigentlich ist das doch ein super Thema. Trotzdem laufe ich gerade zu mechanisch, ohne einen Blick an die Kreuzberger Leichtigkeit zu verschwenden, zu ihrer Wohnung.

Für mich ist es das erste Mal, dass ich mich einem Menschen gegenüber dermaßen romantisch hingezogen fühle in einer Beziehung. Und ich kann nichts dagegen tun, aber die gegenseitig vereinbarte Gewissheit, diese zu zweit zu führen, gibt mir Sicherheit. Anders kann ich mich nicht voll emotional entfalten, habe ich mir selbst immer gesagt.

„Du bist noch nicht so weit“

Natürlich kann man das romantisch nennen, denke ich. Oder besitzergreifend. Wie dieser eine WG-Küchenkreis, den ich in meiner Anfangszeit in Berlin kennenlernte und bei dem man sich mit zwei Aussagen als „noch nicht so weit“ outete:

1. Ich bin ziemlich sicher hetero.

2. Ich will keine offene Beziehung.

Ich bin mir bei Punkt 1 vielleicht wirklich nicht so richtig sicher. Und es gibt sicher schöne und erfüllende polyamore Beziehungen. Aber die, die mir damals attestierten, „noch nicht so weit“ zu sein, reagierten auch schon allergisch, wenn ich sie gezwungenermaßen früh fragte, ob ich mich um Gästeliste für eine gemeinsame Party kümmern sollte. Immer musste alles locker sein und auf sie zukommen. Und dann stand ich drei Stunden in der Schlange vor dem Club.

Mina öffnet die Tür.

„Welcome back!”, sagt sie fröhlich und umarmt mich.

Wenig später sitzen wir auf den Holzpaletten in ihrem Wohnzimmer. Wie immer gibt es Kaffee in überdimensional großen Bechern, wir sprechen über das Schreiben, ihr Philosophiestudium und umschiffen das Thema.

Freiheit definieren

„Also äh … in letzter Zeit habe ich viel über damals und diese freie Liebe nachgedacht“, sage ich schließlich.

„Mich stört dieser Begriff”, sagt sie. „Was ist denn wirklich frei und was ist dann unfrei … Monogamie? Das sehe ich anders.”

„Hä, warum das denn jetzt?”, frage ich.

„Dieser ganze Freiheitswert wird in unserer Generation irgendwie überstrapaziert”, sagt sie. „Und inzwischen glaube ich, dass diese von vielen so genannte ‚freie Liebe‘ eigentlich von unfreien Subjekten eingegangen wird.”

Ich verdrehe die Augen. „Subjekte“, denke ich. Was soll das Drumherumgerede?

„Ja, ich weiß”, sage ich schnell. „Damals habe ich mir nur einreden wollen, ich wäre so frei wie du.”

„Nein, ich meine damit auch mich. Damals. Auch ich war unfrei. Allein, wie unentspannt ich reagiert hatte, als du mir gegenüber von Verliebtheit gesprochen hast … Das hat mich damals so gestört, kannst du dich erinnern? Das war …”

„Ich kann mich gut daran erinnern”, unterbreche ich sie.

„Ich habe dann einfach ein Beziehungskonzept für dich und mich vorausgesetzt und ‚frei‘ genannt, ohne diese Freiheit mit dir zu besprechen. Ich habe jetzt aber gelernt, wie wichtig das ist“, sagt sie. „Erst wenn es darum geht, Freiheit gemeinsam zu definieren, wird es doch erst richtig romantisch.“

Liebe und Spontaneität

Später sitzen wir auf ihrem Fensterbrett und rauchen. Ich denke an die Personen aus dem WG-Kreis von früher. In einem WhatsApp Chat von vor vier Jahren wollen wir noch immer „spontan“ entscheiden, wann und wo wir uns Freitag treffen wollen. Aber Mina und ich sind hier und während wir reden, verwandelt sich meine anfängliche Verkrampfung immer mehr in Aufregung. Eine die einsetzt, wenn man eine Freundin wiederfindet und erzählen kann was man erlebt hat – wie „es“ war.

Mina erzählt, dass ihre Beziehung natürlich auch Umstellung abverlangt und zeigt auf eine Erinnerungsnotiz an ihrer Wand. Mit Knut Zeit verbringen!, steht dort. Ich erzähle davon, dass ich mit Elena zum ersten Mal seit meinem Umzug nach Berlin das Gefühl habe, mich einer Person komplett zeigen zu können, und Mina beginnt zu lächeln.

„Ja, und genau das sehe ich als frei an!“, sagt sie nach einer Weile. „Darauf müssen zwei Personen eigentlich am meisten achten. Und nicht, ob sie sich poly oder mono nennen.“

Vermutlich ging es die ganze Zeit darum.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.