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Archiv-Artikel

Mondausflug mit Theremin

GALGENLIEDER Mit Weltraumorgel und singender Säge bringt Annika Krump alias Palma Kunkel die Gedichte Christian Morgensterns im Prater zum Leben

Wie singt man vom Mondschaf? Wie vertont man den „Walfafisch“? Palma Kunkel benötigt für ihre Version von Christian Morgensterns Galgenliedern lediglich eine Weltraumorgel, eine singende Säge und ein Theremin. Die „singende Tellermiene“ Kunkel ist für diese Aufgabe bestens geeignet, stammt sie doch selbst aus der Fantasiewelt des Protodadaisten Morgenstern.

Gemeinsam mit dem Musiker Jojo Büld brachte die „Dadasophin“ am Mittwoch im Prater der Volksbühne ihre Auswahl an Galgenpoesie auf die Bühne. Vertonungen der Galgenlieder sind angesichts der absurden Sprachkomik und der sonderbaren Bildwelten Morgensterns keine Seltenheit. Doch wie wird man diesem melancholisch-grotesken Humor musikalisch gerecht, wie markiert man den Unterschied zu konventionellerer Dichtung? Die Performancekünstlerin Annika Krump hat für ihre Kunstfigur Palma Kunkel eine surreale Inszenierung der Gedichte gewählt, in der sie Morgenstern durch ihre Wahl der Instrumente und insbesondere durch das Bühnengeschehen zum Leben erweckt.

Im Stile des japanischen No-Theaters geschminkt und in so etwas wie das Seidenkleid einer Weltraum-Geisha gekleidet, kommt Palma Kunkel mit einer tellerförmigen Haartracht auf die Bühne, um das Gedicht „Das Tellerhafte“ zu intonieren. Jojo Büld liefert mit seiner Weltraumorgel derweil ein bodenständiges Blues-Gerüst als Grundlage, nebenbei gibt er dem Publikum Anweisungen für den Weltraumflug in die „Titanei“, ein Ort aus dem Gedicht „Golch und Flubis“.

Alle bekommen ihren Auftritt: der Flügelflagel aus dem Wiruwaruwolz, die große Zra, der Zwi mit seinem zweiten Gesicht am Knie, wahlweise auch mit Brüsten, oder der Rabe Ralf. Die Musik aus der Feder von Krumps erstem Pianisten Florian Grupp wechselt zwischen Pop im Alleinunterhalterstil, Chanson und Experiment. Besonders schön die Nummern mit singender Säge oder das Gedicht „Mondendinge“, in denen Krump die sonderbaren Vorgänge auf dem Mond mit Thereminklängen untermalt, ihre Version des „Gruseletts“ unterlegt die sonderbaren Fabelwesen mit dadaistischer Lautmalerei.

Gelegentlich kommen andere Figuren ins Spiel, wie die mit sich selbst sprechende Hausschnecke, von Krump wunderbar mit einer simplen Handpuppe besetzt. Deren entwaffnend kindliche wie abgründige Verse „Soll i aus meim Hause raus? / Soll i aus meim Hause nit raus?“ gehören zu den genialsten Momenten des Abends. Auch Palma Kunkel erweist sich als überaus wandlungsfähig, den gefräßigen „Walfafisch“ mimt sie mit monströs aufgeblähten Wangen und weit offenen Augen. Jojo Büld gibt den tobenden Wüstling, der mit einer Fleischgabel der verängstigten Schnecke nachstellt.

Seit ihren ersten Auftritten in den 1990ern hat Krump beständig an ihrer Palma Kunkel weitergearbeitet und ihre Figur mehr und mehr in die vertraut-fremde Welt Morgensterns hineinwachsen lassen. Mittlerweile kann man wohl von einem beinahe symbiotischen Verhältnis sprechen. Wenn sie gegen Ende „Das große Lalula“ mit seinen Nonsenswörtern anstimmt, klingt es bei ihr so selbstverständlich, als verstünde sie ganz genau, wovon sie da singt.

TIM CASPAR BOEHME