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Mon Dieu MondialFußballerlebnisse an der Ruhrgebiets-Bierfront

■ Im Three Sixty nimmt keiner Notiz, im Haus Schulte interessiert nur die Pannschüppe

Letzte Woche traf ich mich mit zwei Freunden in dem pufffreien Bochumer Vergnügungsviertel, dem „Bermuda Dreieck“. Diese Suffmeile besteht aus rund vierzig Gastronomiebetrieben auf einer Fläche, die etwa einem halben Sportplatz entspricht. Ich hatte nachmittags schon ein Spiel gesehen und wollte am Mittwoch abend mitkriegen, wie die Weltmeisterschaftsstimmung in der Innenstadt war.

Im „Tucholsky“, einst die beliebteste Kneipe im Ruhrgebiet, war nicht viel los. Wo früher schon gegen 20 Uhr die Leute in Dreierreihen vorm Tresen standen, verloren sich nur ein paar der üblichen BWLer. Da hier kein Fernseher lief und ich andererseits die Italiener beobachten wollte, gingen wir ein Häuschen weiter und landeten in einem neueröffneten Laden mit dem amerikanischen Namen „Three Sixty“. Der Diner war proppevoll, und wir ergatterten noch so eben den letzten freien Tisch.

Ich dachte, die meist jugendlichen Gäste, die so aussahen, als hätten sie gerade das Abitur bestanden, wären wie ich wegen der WM hier, denn an einer unverputzten Mauer hing eine zweimal drei Meter große Videowand, und im ganzen Lokal waren TV-Geräte aufgestellt. Die Farben der Screen waren blaß und der Ton abgeschaltet. Mir schien, als das Spiel begann, daß kaum jemand davon Notiz nahm. Manche tranken das Fiege-Bier, das es neben Bud gibt, eimerweise (sechs Flaschen für den Preis von fünf). Da wurde laut weitergelabert und US- Zeugs gefressen. Ein paar Leute guckten zu. Wahrscheinlich waren sie nur aus Gewohnheit hier, weil im „3/60“ sonst wohl MTVIVA läuft, von dem die junge Generation nicht nur zu Hause immer berieselt werden will.

In der Halbzeit ließ ich mich von meinem Verleger zur heimatlichen Wilhelmshöhe fahren, einem der vielen Dörfer, aus denen das Ruhrgebiet besteht. Am „Haus Schulte“, meiner Stammkneipe in den siebziger Jahren und damals auch unser Vereinslokal, leuchtete noch die Reklame, und ich überlegte mir einen Moment lang, ob ich die zweite Hälfte vielleicht da anschauen sollte. Ich ließ es sein.

Am Freitag ging ich aber doch hin. Zwei Randfiguren und die Wirtin dösten vor sich hin. Berni, früher ein Haudegen von einem Ausputzer, feiert seit einem Jahr krank. Rainer hat einst den Sprung direkt von der A-Jugend in die Alten Herren geschafft. Der Fernseher war noch nicht eingeschaltet, die Musikbox jedoch schon aus.

Ich unterhielt mich mit meinen beiden Bekannten über die Chancen der Bulgaren gegen die „Schwatten“ aus Nigeria. Die Bulgaren sind zu satt. Ich trank ein paar Pils, und wir diskutierten nicht mehr die Weltmeisterschaft, sondern, was für uns wichtiger war, die nächste Saison unseres eigenen Vereins, der nach 20 Jahren der Erniedrigung in der Kreisklasse endlich wieder den Aufstieg in die Bezirksliga geschafft hat. Es sieht nicht schlecht aus. Der Sohn des Wirtsehepaares kommt nach einem Jahr Exil bei einem Verbandsligisten zur „Pannschüppe“, wie unser Club auch einst genannt wurde, als die Zeche noch stand – zurück. Er war mal in einer Saison Bochums bester Torschütze und erhielt dafür sogar einen Pokal von der örtlichen WAZ.

Mit dieser guten Nachricht im Ohr verließ ich die Wirtschaft, noch vor dem Anstoß, denn es war mir doch lieber, zu Hause auf der Couch an meinen freien Tagen die Spiele zu verfolgen, bei Muttern. Wolfgang Welt

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