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■ Möllemann, Karsli, AntisemitismusHeuchelei stinkt

betr.: „Gute Gründe zur Vasallentreue“ von R. C. Schneider, taz vom 4. 6. 02

Danke für den Artikel. Hinter der atemberaubenden Fantasielosigkeit, mit der Israelis das Recht auf Angst, Irrtum und politischen Schwachsinn abgesprochen wird, steckt in der Tat die Geilheit vieler Deutscher, sich selber zu beweisen, dass die Opfererben auf Strecke die besseren Täter sind. „Die Juden“ (als Gemeinschaft – ruckzuck in Sippenhaft mit „den Israelis“ genommen) haben eben durch Auschwitz „nichts gelernt“.

[…] Die Reflexe der Mördererben, sich der historischen Schuld zu entledigen, sie zu leugnen, zu verniedlichen und klein zu reden, ist seit langem fester Bestandteil der deutschen Folklore. Pervers, aber subjektiv nachvollziehbar. So schrecklich wie normal. Fortgeschritten ekelhaft indes, wenn die kollektive Verdrängungswut im Gewand der Läuterung daherkommt, Betroffenheitsformeln absondert, und die selbst gemachten Leichenberge (lies: das „Andenken der jüdischen Opfer“) moralisch recycelt, um die Gegenwart ins stubenreine Vergessen zu stürzen. Und es ist eben diese Verlogenheit, das hohle Geseier von „Verantwortung“ und „Gedenken“, das Leute wie Möllemann auf den Plan ruft. Heuchelei stinkt.

[…] Doch bei aller Wut darüber sollte man nicht außer Acht lassen, wer oder was ihm den Weg bereitet hat. Und weiterhin den Weg ebnet. Ansonsten? Scham. Klar, Antisemitismus ist so alt wie Rom, und Deutsche hassen nicht trotz, sondern wegen Auschwitz. Deshalb ja. Immer wieder. Auch für das bösartige Rumpelstilzchen, das nun auf Gräbern trampelt, die Westerschwester, die ihm hinterher marschiert, und die schlauen Taktierer, die abwarten, ob sich die Nummer wahltechnisch rechnet. Elend ohne Ende. Zugleich die Hoffnung, dass derlei nicht allein mich ankotzt. Denn in Wirklichkeit geht es gar nicht um „Juden“. Oder nur am Rande. Es geht um uns. Besser gesagt um unsere Aufrichtigkeit, unser bisschen Würde, Ehre und Anstand. Das Einmaleins, die Minimalstandards, die Grundlagen von Freiheit. […]

CHRISTOPH ERNST, Hamburg

betr.: „Antisemitismus ist nicht durch Machtworte von oben zu stoppen“, Kommentar von Eberhard Seidel, taz vom 5. 6. 02

Die Beiträge der taz zur Pluralität und Multikulturalität in unserer Gesellschaft sind in ihrer Offenheit und Breite der Wahrnehmung eines der herausragenden Kennzeichen dieser Zeitung. Keine andere Zeitung bringt zum Beispiel so rasch und informiert Nachrichten aus dem islamischen Umfeld in Deutschland.

Umso unverständlicher finde ich die Schlagseite des Kommentars von Eberhard Seidel, mit dem er das aufklärerische Engagement zivilgesellschaftlicher Gruppen im Blick auf die Bearbeitung des deutschen Verhältnisses zum Judentum und zum Staat Israel in einen Gegensatz zu Beiträgen von Intellektuellen und Kirchen bringt. Ganz abgesehen davon, dass es keinen empirischen Nachweis über die Wirksamkeit der einen oder der anderen Seite gibt, ist es doch unsinnig hier Gruppen der Zivilgesellschaft gegeneinander auszuspielen.

[…] In einer demokratischen Gesellschaft haben wir es weithin gelernt, zwischen einer in der Sache begründeten Autorität und einer angemaßten Autorität zu unterscheiden. Demokratisches und zivilgesellschaftliches Verhalten ist dort zu finden, wo kritische Urteilsfähigkeit geübt wird. Der antikirchliche Affekt von Eberhard Seidel ist da ganz fehl am Platz und sollte die aufgeklärten Demokraten nicht auseinanderdividieren!

ECKHART MARGGRAF, Karlsruhe

Leider nur in einem Punkt kann man Eberhard Seidel zustimmen: „Auf die zivilisatorische Kraft von Diskursen der breiten Öffentlichkeit zu vertrauen“, dafür gab es für Juden in Deutschland bislang verdammt wenig Gründe. Und es sind trotz Möllemann-Affäre keineswegs mehr geworden. Zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung klafft in Sachen Antisemitismus eine gewaltige Lücke.

Deutlich macht das beispielsweise jene demoskopische Erhebung für das ZDF-„Politbarometer“, der zufolge 28 Prozent der Befragten die Ansicht vertreten, Möllemann habe Recht mit seiner Behauptung, Friedman fördere anti-semitische Haltungen. 30 Prozent verweigerten bei dieser Umfrage die Antwort auf die Frage, ob Möllemanns Attacke gerechtfertigt sei oder nicht. Bleibt also die ernüchternde Erkenntnis, dass 58 Prozent mehr oder weniger die Position des FDP-„Tabubrechers“ einnehmen. Man muss schon ein notorischer Optimist sein, um angesichts dieser Sachlage wie Eberhard Seidel dafür zu plädieren, den Antisemitismus in Deutschland von unten zu stoppen. UWE TÜNNERMANN, Lemgo

betr.: Möllemann, Karsli, Antisemitismus

Warum könnt ihr euch in dieser unsäglichen Antisemitismusdebatte nicht so verhalten, wie man es von einer aufgeklärten Zeitung wie der eurigen erwartet: Sie entlarven als das was es ist, eine Seifenblase, die als Wahlkampfvehikel instrumentalisiert wird und dahin geschoben werden sollte, wo sie hingehört, nämlich unter die Rubrik „was fehlt“. Gerade im Journalismus ist wenig häufiger mehr, wie man an eurem fabelhaften Titel über Bushs historische Rede gesehen hat. CHRISTIANE HÖHLING, Hamburg

betr.: „Möllemann freie Zone“

Bravo zur Idee der M-freien Zone. Leider gibt es viel zu wenige solcher. Alle Medien sollten sich nach eurem Beispiel richten.

NORBERT FUNK, Bremervörde

Die Idee mit der Möllemann freien Zone ist super. Ich kann diesen Kerl nicht länger ertragen. Was muss eigentlich passieren, bis dieser „Knilch“ sich verpisst? Wochenlang blockiert dieser „Möllemann“ die Schlagzeilen, als wenn’s nichts Wichtigeres gäbe.

NIKOLAI VON HOLST, Düsseldorf

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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