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■ Mögliche OrteFluchtpunkt Raucherabteil

Die Cafeteria in der Staatsbibliothek gefällt mir überhaupt nicht. Sie ist zu klein, immer vollgestopft, rauchig, stickig und heiß. Die Tische sind übersät mit Abfall und dauernd von einer klebrig-flüssigen Schicht bedeckt, und zudem ist das Angebot schauerlich, vor allem diese unsägliche braune Kaffeebrühe. Und trotzdem war es einer meiner geliebten Fluchtpunkte in jenem Winter, als ich für ein Semester in Berlin studierte und oft in die Staatsbibliothek mußte, da ich ja auch die meisten meiner Bücher in der Schweiz gelassen hatte.

Anfangs war ich sehr beeindruckt, in der größten Bibliothek einer Riesenstadt wie Berlin zu sein. Die Eingangshallen flößen einem auch einen heiligen Respekt ein und das Gefühl, den Ort des Wissens selbst zu betreten. Und dann mußte ich einen dieser durchsichtig-blaubeschrifteten Stabi-Plastiksäcke fassen, und damit gehörte ich plötzlich dazu: Identifikationsmarken für BibliotheksbesucherInnen.

Oben in den Katalogräumlichkeiten ist dann auch alles so dezent: das schummrige Licht, das durch das Glasdach hereindringt, die grauen abgetrennten Arbeitstische mit einer Leselampe für jeden einzelnen, und vor allem die grau-grünen Spannteppiche, die die Schritte förmlich aufsaugen. Das geht mir alles ziemlich auf den Nerv. Ich kann besser arbeiten und lesen in einer Bahnhofshalle als in solchen Bibliotheken, wo jedes Flüstern von Nachbarn zum explosiven, giftigen Zischen verkommt, weil nebenbei alles so nett leise ist.

Zudem habe ich gemerkt, daß es für mich ganz wichtig ist, daß ich beim Lesen meinen Blick schweifen lassen kann. Da ist man gerade an einer ganz schwierigen Stelle, muß den Satz noch mal überdenken, schaut unbewußt vom Buch auf und wird abgelenkt von einem pickligen Medizinstudenten, der sich in der Nase bohrt.

Vor solchen Situationen bin ich dann immer in die Cafeteria geflüchtet und habe mir dort einen Fensterplatz im Raucherabteil erkämpft. Es werden sich schon viele gedacht haben, daß ich auf den Blick hinaus aus war. Der Blick auf Baustellen und vor allem auf den Potsdamer Platz ist ja im Moment etwas vom Prominentesten in Berlin. Aber ich habe diese Baustelle zu lieben begonnen. Draußen war es extrem kalt und der Himmel von klirrendem Blau und davor diese gelben Kräne auf dem lehmig-braunen Boden und die käferartigen Bagger, die aus dem Grundwasserteich den Schlamm gruben.

Manchmal habe ich dann auch Kranzählen gespielt, und es waren viele, etwa 20 schon auf dem Potsdamer Platz, und dann sah man noch weiter, bis auf die Baustellen an der Friedrichstraße. Meistens stehen sie alle unbeweglich, aber plötzlich schaut man genauer hin, und da bewegt sich einer, schwenkt seinen Arm langsam und stetig, und dann sieht man plötzlich drei, vier, die sich bewegen und aus meiner Perspektive scheinen sie kaum aneinander vorbei zu kommen.

Gegen Ende meines Berliner Semesters bin ich dann jeweils dirket in den Katalogsaal, habe mich durch Karteikästen und Mikrofiches durchgearbeitet, um die benötigten Bücher zu bestellen, und bin dann mit der Zeitung drei Stunden, bis ich die Bücher abholen konnte, in der Cafeteria gesessen. Die Cafeteria wurde mit der Zeit sogar Station meiner persönlichen Touristenführung, wenn mich Leute aus der Schweiz besuchten. Die mußten dann durch den Tiergarten oder über den Pariser Platz laufen, um in der Staatsbibliothek einen dieser schrecklichen Kaffes zu trinken. Veronika Grob

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